5. Kapitel

Das Tribunat


 

Sobald zwischen den gesetzlich organisierten Teilen eines Staates, kein genaues Gleichmaß hergestellt werden kann, oder sobald nicht zu beseitigende Ursachen die gegenseitigen Beziehungen derselben unaufhörlich stören, dann setzt man eine besondere Obrigkeit ein, die mit den übrigen keinen zusammenhängenden Körper bildet, die jedes Glied wieder in sein richtiges Verhältnis stellt und ein Band oder Mittelglied zwischen dem Fürsten und dem Volke oder zwischen dem Fürsten und dem Staatsoberhaupte oder, wenn es nötig ist, zwischen beiden zugleich ausmacht.

Diese Körperschaft, die ich Tribunat nennen will, ist die erhaltende Macht der Gesetze und der gesetzgebenden Gewalt. Mitunter dient sie zum Schutze des Staatsoberhauptes gegen die Regierung, wie zu Rom die Volkstribunen; bisweilen zur Stütze der Regierung gegen das Volk, wie zu Venedig der Rat der Zehner, und in einzelnen Fällen auch zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes auf beiden Seiten, wie die Ephoren in Sparta. Das Tribunat ist kein wesentlicher Bestandteil des Gemeinwesens und darf deshalb auch weder an der gesetzgebenden noch an der vollziehenden Gewalt Anteil haben; allein gerade dadurch ist die seinige umso größer, denn obgleich es nichts tun kann, vermag es alles zu hindern. Als Verteidiger der Gesetze ist es heiliger und wird mehr in Ehren gehalten als der Fürst, der sie vollzieht, und als das Staatsoberhaupt, das sie gibt. Dies machte sich am deutlichsten in Rom bemerkbar, wenn diese stolzen Patrizier, die zu jeder Zeit das ganze Volk verachteten, gezwungen waren, sich vor einem einfachen Beamten des Volkes zu beugen, der weder Einfluss noch richterliche Gewalt besaß.

Sobald das Tribunat weise beschränkt ist, bildet es diese festeste Stütze einer guten Verfassung, verfügt es jedoch nur über etwas Gewalt zuviel, so wirft es alles über den Haufen. Schwäche liegt durchaus nicht in seiner Natur, und ist es nur erst da, so ist es nie weniger, als es sein soll.

Es artet in Tyrannei aus, sobald es sich die vollziehende Gewalt anmaßt, deren Leiter es nur sein darf, und Gesetze außer Kraft setzen will, die es nur zu beschützen hat. Die übertriebene Macht der Ephoren, die ungefährlich war, solange Sparta seine Sittenreinheit bewahrte, beschleunigte das Umsichgreifen der Verderbtheit, nachdem sie einmal begonnen hatte. Das Blut des von diesen Tyrannen gemordeten Agis wurde von seinem Nachfolger gerächt: das Verbrechen wie die Bestrafung der Ephoren förderten in gleicher Weise den Untergang der Republik, und nach Kleomenes gab es eigentlich kein Sparta mehr. Auf gleichem Wege ging Rom seinem Untergange entgegen; die alles Maß übersteigende Gewalt der Tribunen, die sie aus eigener Machtvollkommenheit an sich gerissen hatten, diente schließlich mit Hilfe der für die Freiheit erlassenen Gesetze den Kaisern, die die Freiheit vernichteten, zur Schutzwehr. Was den Rat der Zehner in Venedig anlangt, so ist er ein Blutgericht, den Patriziern ebenso schrecklich wie dem Volke, ein Blutgericht, das nicht etwa die Gesetze kräftig beschützt, sondern eher dazu dient, dieselben herabzuwürdigen und im Finstern Streiche zu vollführen, die man sich gar nicht zu bemerken getraut.

Wie die Regierung wird auch das Tribunat durch die Vervielfältigung seiner Glieder geschwächt. Als die römischen Volkstribunen, deren Zahl sich anfangs nur auf zwei, später auf fünf belief, letztere Zahl verdoppeln wollten, setzte ihnen der Senat kein Hindernis entgegen, da er überzeugt war, die einen durch die anderen in Schranken halten zu können, was auch nicht zu geschehen verfehlte.

Das beste Mittel, die Anmaßungen eines so furchtbaren Körpers zu verhüten, auf das bis jetzt jedoch noch keine Regierung verfallen ist, wäre, ihn nicht in steter Tätigkeit zu lassen, sondern Zwischenzeiten festzusetzen, in denen seine Tätigkeit unterbrochen wäre. Diese Zwischenzeiten, die nicht so lange währen dürften, dass sich wieder Missbräuche einschleichen könnten, müssten gesetzlich in der Weise bestimmt werden, dass es leicht wäre, sie im Notfalle durch außerordentliche Ermächtigungen abzukürzen.

Dieses Mittel scheint mir ohne Nachteil, weil, wie gesagt, das Tribunat keinen Teil der Verfassung bildet und deshalb, ohne sie zu gefährden, aufgehoben werden kann, und ich halte es für wirksam, weil eine erst vor kurzem wieder eingesetzte Obrigkeit nicht von dem Punkte der Gewalt ausgeht, auf dem sich ihre Vorgängerin befand, sondern von dem, auf den das Gesetz sie stellt.

 


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 08:30:31 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.11.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright