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Wirtinnen-Verse

In Klabunds Sammlung »Das deutsche Soldatenlied« lautet eine Anmerkung: »Es steht ein Wirtshaus. Aus dem Rheinland. Durch ganz Deutschland. Es existieren noch ungefähr 200 rein erotische Strophen.« Gemeint ist das vielgerühmte Wirtshaus an der Lahn, und zweihundert stimmt nicht, mein Freund Karlchen weiß allein zweihundertundeine. Und da der Deckel dieser Zeitschrift schon rot ist, wollen wir uns das einmal begucken.

Ich kann mir denken, dass es junge Leute gibt, die dieser Abkühlung nicht bedürfen. Unsern aber schadets nicht. Bei dem unseligen Hang der Deutschen, die allerrealsten Dinge mit dem Zauber einer falschen Romantik, mit einem ganz falschen Pathos zu umgeben, steht der Trieb obenan, die Liebe – nicht etwa zu veredeln, sondern mit einem Pelzbesatz zu verbrämen, den sie nur sonntags tragen. Den reißt das Wirtshaus allerdings herunter. Diese plumpen Derbheiten zeigen dem Jüngling zum erstenmal die Komik in der Erotik, die groteske Außenseite, sie zeigen ihm, wie sie der Unbeteiligte sieht. Dieser feierliche Ernst, in dem »das« Thema abgehandelt wird, diese unbeirrbare Sachlichkeit, die noch an die verdrehtesten Vorgänge eine Moral anhängt – das sind die lustigsten Strophen –: all das kühlt ab. Ich kann mir denken, dass es Leute gibt, die zugleich das Heilige und das Skurrile in der Liebe sehen – aber sie sind selten. Und für die andern ist es eine Brause.

Und eine Kinderkrankheit. Schrecklich, wenn ein ausgewachsener Mann die Masern hat, schrecklich, wenn ein alter Spießer von diesen Dingen seiner Jugend nicht lassen kann. Das sollte nicht sein. Aber für die ersten Semester scheint mir jenes Hotel an der Lahn nicht eben gefährlich, eher heilsam zu sein.

Und ich habe immer gefunden, dass der später mit Frauen am zartesten und liebevollsten umzugehen versteht, der einmal jenes Moorbad genommen hat. Er ist gefeit.

Peter Panter
Die Weltbühne, 08.04.1920, Nr. 15, S. 415.