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§ 297 / Unzucht zwischen Männern

Die Ziffer 4 des § 297 des »Entwurfs eines ›Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches‹« ist ein Verbrechen; seine ›Begründung‹ ist unzureichend und mit den Tatsachen als nicht im Einklang stehend zu bezeichnen.

Die sogenannte ›Begründung‹ der einschlägigen Paragraphen (296 und 297) gibt zunächst zu, dass die Gründe gegen diese Art von Gesetzgebung »ernst zu nehmen« sind. Die Begründung gibt ferner zu, dass diese Paragraphen geeignet sind, Unschuldige zu schädigen und zu vernichten. Trotzdem hält der Entwurf diese Paragraphen nicht nur aufrecht, sondern er bringt auch eine Verschärfung des geltenden Sexualrechts. Woran liegt das? –

Man muß zunächst wissen, wer eigentlich bei einem Entwurf für ein solches Gesetz gehört wird. Von allen Philosophen, Soziologen, Ärzten und Erziehern, die der Doktor Magnus Hirschfeld hier seit Jahren zu diesem Thema sprechen läßt, ist wohl der allerkleinste Teil auch nur einer Anfrage der beamteten Gesetzgeber gewürdigt worden. Diese Gesetze kommen zustande unter Hinzuziehung des finstersten Provinzmuffs: ehrgeiziger Kleinstädter, Vereinsvorsitzender, engstirniger Geistlicher, saurer Frauen, die in unglücklichen Ehen unbefriedigt leben – wie überhaupt das Motiv der Rache hier viel größer ist, als die Beteiligten selbst wissen. Sittliche Eiferer lassen sich leicht analysieren – ihre Untaten werden dadurch nicht kleiner.

Das so hergestellte Material gerät nunmehr in die Hände scholastisch verbildeter Juristen, die, kalt, gefühllos und ohne Kenntnis des Stoffes, deshalb sachlich zu sein glauben, weil sie von der Materie nichts verstehen. Rechnet man noch die militaristische Grundstimmung hinzu, die den Wert eines Volkes nach seiner Zahl mißt und achtzig Millionen schlecht genährter Individuen sechzig Millionen vorzieht, die in Menschenwürde aufwachsen, so ergeben sich aus diesem Brei von verklemmter Erotik, finsterstem Katholizismus und falscher Soziologie solche Phrasen.

»Dabei ist davon auszugehen, dass der deutschen Auffassung die geschlechtliche Beziehung von Mann zu Mann als eine Verirrung erscheint, die geeignet ist, den Charakter zu zerrütten und das sittliche Gefühl zu zerstören. Greift diese Verirrung weiter um sich, so führt sie zur Entartung des Volkes und zum Verfall seiner Kraft.«

Dieser Satz ist falsch.

Den Verfassern fehlt jede Legitimation, für das deutsche Volk zu sprechen – sie sprechen höchstens für einen unaufgeklärten und ungebildeten Teil. Vor allem aber ist es unstatthaft, ein Gefühl so zu überbetonen, dass die, die dieses Gefühl nicht teilen, als Verbrecher bestraft werden.

Mir ist die sexuelle Beziehung eines Mannes zu einem Mann schlecht vorstellbar – aber niemals wagte ich, dieses mein Sentiment zur Grundlehre einer Sittenlehre zu machen. Mit demselben Recht könnte man ein Gesetz gegen rothaarige Frauen entwerfen oder gegen Männer, die stark schwitzen. Solange die Spielarten der Sexualität die Gesellschaft nicht schädigen, solange hat sie kein Recht einzugreifen.

Die Schädlichkeit der Homosexualität ist nicht nachgewiesen, sie wird von den Ministerialräten nur behauptet. Ein Strafgesetzbuch ist keine Sittenfibel, und die sittlichen Grundauffassungen der katholischen Kirche, die, bei ihren unbestreitbaren Verdiensten um die Gesellschaft, die Hauptschuld an dieser Gesetzesmacherei trägt, sind diskutierbar und nicht die Basis aller Dinge. Das ist Terror, den wir uns verbitten.

Die ›Auslegung‹ der sachlich unfundierten Bestimmungen des geltenden Rechts hat zu einer Reichsgerichtsjudikatur geführt, die zu dem Widerwärtigsten gehört, was in deutscher Sprache gedruckt worden ist. Diese scholastische Pornographie unterscheidet zwischen »beischlafähnlichen Handlungen« und anderen Handlungen; der neue Entwurf baut diese Unsauberkeit noch weiter aus.

Der ›gewöhnliche‹ Mann darf andere als ›beischlafähnliche Handlungen‹ mit einem Mann ausführen; der Arbeitslose, der sich aus Verzweiflung prostituiert, darf nicht einmal das; die Begründung zeigt die ganze Hilflosigkeit der Gesetzesmacher einer hauptsächlich als sozial zu rubrizierenden Erscheinung gegenüber. Inwieweit männliche Prostituierte dem Verbrechertum näher stehen als andere Männer; inwieweit sie der Gesellschaft durch andere als geschlechtliche Handlungen mehr schaden als weibliche Prostituierte, das ist eine Polizeifrage, die keinesfalls dazu führen darf, unmotivierte und falsch begründete Gesetze anzufertigen.

Wenn man sich ferner überlegt, wer über die Gültigkeit solcher Bestimmungen zu beschließen hat, wenn man sieht, wer in den Reichstagskommissionen sitzt: welche Mediokrität der Lebensbildung, des Verstandes, des Herzens – so wird man die Schlauheit der Gesetzesfabrikanten nicht mehr so sehr bewundern. Vor diesem Gremium wären noch viel törichtere und gefährlichere Paragraphen durchzubringen.

Der Entwurf ist eine Schande.

Ignaz Wrobel
Beitrag für: »§ 297 Unzucht zwischen Männern«?
Ein Beitrag zur Strafgesetzreform.
Herausgegeben von Richard Linsert,
Neuer Deutscher Verlag, Berlin 1929, S. 127.