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Unser täglich Brot

An deinem Brot für fünfzehn Mark und achtzig
hängt, wenn du hinsiehst, allerlei –:

Der Landmann läßt sich neue Ställe bauen,
behängt mit Pelz und Perlen seine Frauen;
er zählt das Geld nicht mehr – er muß es wiegen –
wo soll er nur den Krempel unterkriegen?
Im Flusse treibt ein neues Segelboot –
von deinem Brot.

Die Mühlen mahlen. Unternehmer grinsen.
Die Werke tragen unerhörte Zinsen.
Kein Käufer streikt. Er kann und muß es tragen.
In den Garagen summen neue Wagen,
weil man die besten Dividenden bot
von deinem Brot.

Der Bäcker backt. Die Löhne steigen munter,
doch vom Gewinne geht kein Pfennig runter.
Die Menschen leben vom Gehalte in den Mund.
Der Bäcker backt. Und macht sich sehr gesund.
Er ist der Preisekönig, der Despot –
von deinem Brot.

So geht der Kreis: kein Landbetrieb geniert sich.
Die Industrie hingegen revanchiert sich.
Wer hat, der hat. Nun seht ihr andern zu.
Sie teilen sichs. Wer unten liegt, bist du.
Sie klopfen auf die Waren ihres Baus.
Das ist noch drin. Und das muß noch heraus!
Sie wollen alle leben, fett und reich:
in Villen, Autos, teppichwarm und weich …
Goldtaschen, Zobel und der Frauen Lippenrot –:
Das, Deutscher, ist dein Brot.

Theobald Tiger
Die Weltbühne, 01.06.1922, Nr. 22, S. 561.