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Schriftsteller

Die Lage des deutschen Schriftstellers ist haltlos. Wenn er nicht Glück oder sehr viel Marktgeschick hat oder einen guten Nebenberuf, kann er verhungern. Die Löhne des Schriftstellers sind nicht in gleichem Schritt mit denen andrer Berufe gestiegen; die gestiegenen Unkosten treffen auch ihn. Ob diese Lage zu verbessern ist und wie, soll hier untersucht werden.


Unter Schriftsteller sei hier einer verstanden, der nur davon lebt, dass er mit seinen vervielfältigten Geistesprodukten auf andre zu wirken versucht.

Der Schriftsteller hat drei Möglichkeiten, seine Ware abzusetzen: das Buch, das Theater, die Presse.

Für das Buchgeschäft ist zu sagen, dass die Kontrolle des Autors an dem Absatz des Verlegers im allgemeinen mangelhaft ist. Neben der großen Zahl anerkannt reeller deutscher Verleger gibt es eine Unzahl kleiner Firmen, von denen die Sage geht, dass sie mehr drucken als verrechnen. Der Autor kann das niemals nachprüfen noch beweisen. Seine Beteiligung am Gewinn ist nicht groß. Sie beträgt heute durchschnittlich fünfzehn Prozent – der immerhin sekundäre Apparat, der seine Ware marktfähig macht, überwiegt also derartig, dass er von einem Dreimarkbuch zwei Mark fünfundzwanzig abgeben muß. Die verbreitete Klage, der Verleger tue nichts für seine Autoren, ist nur zu oft begründet – kaum ein Vertrag schützt davor.

Beim Theater liegen die Dinge ein wenig besser, beim Film schlechter. Die in Betracht kommenden Theaterautoren sind sehr stramm organisiert (ein Zeichen, dass es also geht, und dass die Geistigkeit des Berufes, die mit seinen Marktprodukten nicht verquickt werden darf, kein Hindernis für eine gewerkschaftsähnliche Organisation ist). Der Filmautor ist im Vergleich zum Regisseur und zum Darsteller meist ein armes Luder. Er wird mit kleinen festen Honoraren abgespeist.

Die Verhältnisse in der Presse sind beängstigend schlecht. Die Honorare der gelegentlichen Mitarbeiter sind ein Hohn; die tariflich geregelten Normalgehälter der Redakteure etwas niedriger als die der Maschinenmeister. Es muß dabei gesagt werden, dass die Dinge bei der sozialistischen Presse oft schlimmer liegen als bei der kapitalistischen.

Die Organisation der freien Schriftsteller ist mangelhaft. Der einzige in Betracht kommende Verband, der Schutzverband Deutscher Schriftsteller, wirkt in kleinen Bezirken mancherlei Gutes; er hilft seinen Mitgliedern prompt und rechtschaffen in den Streitfällen des täglichen Lebens – an den Grundfehlern hat er bisher nichts zu ändern vermocht. Typisch auch für diese Organisation ist, dass sie das Schriftstellerelend mit Almosen zu heilen glaubt, wo Kardinalbauten am Platze wären. Ihr Vorsitzender, Robert Breuer, ist Regierungsmitglied – eine Inkompatibilität, die ihm aus politischen Gründen im Verein vorgeworfen wird, ihn reizbar gemacht hat und die praktische Arbeit oft lahmt. Der Kernpunkt liegt aber nicht da. Mit einem Wechsel des Vorsitzenden wäre in politischer Hinsicht viel, in wirtschaftlicher gar nichts getan. (Der Wechsel ist inzwischen eingetreten.)

Was not tut, ist dies:

Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller, der nicht die Schlechtesten von uns umfaßt, müßte durch ununterbrochene öffentliche Bearbeitung des deutschen Publikums vor allem einmal auf die Erkenntnis hinwirken, dass das Schriftsteller-Honorar kein hingeworfenes Geschenk, sondern ein erarbeiteter Verdienst ist. Er müßte, zweitens, die in Frage kommenden deutschen Schriftsteller zu der Auffassung erziehen, dass es sehr wohl ehrlos ist, gegen die Organisation oder gar zu billig zu arbeiten. Die meisten von uns arbeiten zu billig. Sie sagen, sie seien dazu gezwungen, um überhaupt leben zu können. Das ist für den Standpunkt von heute richtig. Wer noch nicht einen festen Marktwert besitzt, kann sich mit seinen Leistungen so weit er will über das allgemeine geistige Niveau erheben – es zahlt ihm keiner einen Pfennig dafür.

Ja, es geht weiter. Wer von uns nicht Vermögen hat, ist gezwungen, eine Nebenbeschäftigung zu suchen. Liegt sie auf ganz anderm Gebiet als auf dem literarischen, so ist das für ihn schlimm. Muß er aus seiner Kunst eine Butterfabrik machen, dann ist es umso schlimmer für ihn. Es fällt keinem ein Stein aus der Krone, wenn er für das Cabaret oder den Film schreibt – aber es geht doch aus diesem wirtschaftlichen Druck hervor, dass er von seinen rein politischen, rein literarischen Arbeiten nicht leben kann.

Mir ist bei fast allen Vertragsabschlüssen mit der Presse und mit dem Buchverlag aufgefallen, dass der Unternehmer mit den Unkosten für Papier, Satz und Druck als absolut feststehenden Faktoren rechnet, an denen nicht zu drehen und zu deuteln ist. Der Rest ist nach Abzug der übrigen Unkosten Reingewinn, und von dem darf sich der Schriftsteller nach etzlichem Knapsen und Würgen etwas für sich heraushandeln. In allen andern Fragen steht der Unternehmer im Buchverlag und im Zeitungswesen geschlossenen Gruppen gegenüber, mit denen nicht zu spaßen ist. Den Schriftsteller nimmt er sich einzeln vor. Und siegt.

Es ist nicht richtig, wenn die Laschen und Lauen unsres Standes immer sagen, man könne uns nicht alle unter einen Hut bringen, weil wir zu verschieden seien. Wir sind es, Gott sei Dank, in geistiger Hinsicht. In wirtschaftlicher gar nicht. Ein Verlagsvertrag des Grafen Ernst zu Reventlow und einer von mir sind juristisch und wirtschaftlich der Art nach nicht verschieden. Was wir bei der Lampe machen, ist eine andre Sache. Draußen verkaufen wir Ware.

Es ist auch nicht richtig, dass eine straffe Schriftstellerorganisation wegen des Außenseitertums der Dilettanten nicht haltbar sei. Auf die Dauer kann weder die Presse noch etwa der Buchverlag vom schreibenden Dilettanten leben. Der Universitätsprofessor, der sich in seiner Zeitung gedruckt sehen will, ist nicht die Gefahr. Für die Lyrik schwitzende Jung-frau ist heute ohnehin bei der herrschenden Papierknappheit wenig Platz. Die Gefahr steckt anderswo.

Die Gefahr sind wir selbst. Es gibt viel zu viele unter uns, die, wenn sie noch nicht arriviert sind, sich geschmeichelt fühlen, mit einem Verleger überhaupt sprechen zu dürfen, und die finanziell nachgeben. Es gibt viel zu viele unter uns, die nicht begreifen, daß die patriarchalische Stellung des Unternehmers vorbei sein muß, und dass dieses: ›Treue um Treue‹ eine höchst einseitige Geschichte ist, und die finanziell nachgeben. Wir, wir selbst sind die Gefahr.

Es kommt kaum vor, dass Leute von Ruf den Preis verderben. (Obgleich ich mich schon oft gewundert habe, für wie wenig Geld selbst die großen Familienblattkanonen zu haben sind.) Der Erfolgreiche hat aber in allen Organisationsfragen wenig oder gar keinen Sinn für seinen Stand, dessen Namen er an hohen Feiertagen tönend im Mund führt.

Ich bin Mitglied des Vereins Berliner Presse und muß immer leise lächeln, wenn ich von den pomphaften Empfängen und Festen dieses Vereins lese. Sie sind letzten Endes Benefizabende eines armen Provinzschauspielers, und das Wort ›beneficium‹ schließt Ehre und Geschenk gleichermaßen in sich. Diese Veranstaltungen bedeuten: Bei uns ist etwas nicht in Ordnung. Wie jede Wohltätigkeit, nach Multatuli, anzeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Die Tatsache, dass der deutsche Redakteur in finanzieller Hinsicht meist ein ziemlich trauriges Dasein führt, paßt so gar nicht zu den Festsprüchen toastender Redner. »Meine Herren von der Presse … !« Du lieber Gott! Das lebt mit Frau und drei Kindern für vierzehnhundert Mark und weiß oft nicht, wovon die nächsten Schuhsohlen zu bezahlen sind.

Dem freien Schriftsteller gehts noch elender. Er stirbt aus. Er wird als wirtschaftliche Erscheinung bald gar nicht mehr zu denken sein. »Schriftstellern ist kein Beruf – das ist eine Beschäftigung.« Der freie Schriftsteller verschwindet – und das bedeutet das Ende einer Gattung Mahner des öffentlichen Gewissens.

Ich gehöre zu den Leuten, die glauben, dass das Ende des Künstlers noch nicht das Schlimmste wäre, weil ich glaube, dass für die kommende Zeit Kunst nicht das wichtigste Ding sein wird. Aber ich meine, dass es kulturschädlich ist, wenn der verschwindet, der unabhängig und desinteressiert den Leuten die Wahrheit sagen kann. Schriftsteller kauft man sich heutzutage schon gar nicht mehr, weil Pfenniggeschäfte nicht lohnen. Heute kauft man Zeitungen. Zeitungen mit dem ganzen an ihnen hängenden Publikum und mit der Setzerei und der Druckerei und der Falzerei und, richtig, auch mit dem Redaktionsstab. Einer der Herren geht? Aber wir bekommen fünf neue.

Wir wissen alle, was das bedeutet. Wir wissen, daß die Presse in Deutschland nicht in dem Sinne korrupt ist, dass sie für einen Betrag von zehntausend Mark einen Angriff liefert. Aber wir wissen doch auch alle, dass ein großes Blatt eine Interessensphäre vertritt, die nicht ganz unabhängig vom wirtschaftlichen Standpunkt des Inseratengeschäftes ist und sein kann. (Ein witziger berliner Journalist pflegt zu sagen: »Die Unabhängigkeit des Inseratenteils ist garantiert.«) Und es ist natürlich sehr wichtig, zu kontrollieren, wer hinter einer solchen Zeitungsmacht steckt. Aber es ist noch wichtiger, die Existenz von Schriftstellern zu ermöglichen, die von gar keiner abhängen.

Der Schriftsteller außerhalb der Partei und außerhalb eines Pressekonzerns ist, im Gegensatz zu diesen Institutionen, erst der rechte und wahre Förderer der Kultur. Er und nur er kann, unbeschwert von allen Rücksichten und ohne Manöver des Taktes, das sagen, was zu sagen so oft bitter not tut. Er und nur er hat, wenn er ein rechter Kerl ist, keinen zu fürchten. Der Typ ist heute am Verhungern.

Ob von diesem Staat etwas zu erwarten ist, weiß ich nicht. Daß von dieser Gesellschaftsform nichts zu erwarten ist, scheint mir sicher. Wenn der Schriftsteller sich nicht sein Recht erkämpft, bekommt ers nie. Der Weg dorthin geht nur über den gewerkschaftlichen Zusammenschluß aller deutschen Schriftsteller mit klaren und festen Tarifverträgen. Der Tarif regelt nicht den Geist – er regelt den Verschleiß der Ware. Und wenn einer beim Verkauf mit Idealen kommt, dann ist das Geschäft faul, und wir werden betrogen. Wir werden betrogen. Wir lassen uns betrügen.

Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller kann allein nichts tun, auch wenn er wollte. Wenn ihr euch nicht alle zusammenschließt, wenn ihr nicht alle so viel Solidaritätsgefühl füreinander aufbringt, wenn ihr nicht alle den einen Schuft nennt, der den Streik bricht – heute traut ihr euch noch nicht einmal, zu streiken, weil ihrs gar nicht könnt –, wenn ihr nicht zusammenhaltet: dann ist es mit dem freien Schriftsteller aus.

Man sollte glauben, die wirtschaftliche Not zwänge den Stand zur Erkenntnis seiner Lage. Aber so groß ist die Macht anerzogener und gewohnter Laschheit, dass kaum einer muckt, und dass sie so stolz, erhobenen Hauptes, und voll von Idealen, wie es gebildeten deutschen Männern gebührt, wirtschaftlich verkommen.

Wollt ihr euch, wollt ihr den deutschen freien Schriftsteller vor dem Untergang bewahren? Dann tut etwas. Tut euch zusammen, tretet in den Schutzverband Deutscher Schriftsteller ein, und wirkt in ihm dafür, dass ihr wirtschaftlich besser dasteht als eure Waschfrau. Gebt nicht nach, bevor ihrs erreicht habt!


1910 schrieb Wilhelm Schäfer in der noch heute geltenden ausgezeichneten Monographie ›Der Schriftsteller‹ (bei Rütten & Loening in Frankfurt am Main): »So ist die Lage des Schriftstellers in Deutschland die einer als Beruf nicht anerkannten Existenz, der trotzdem letzten Grundes keine andre Pflichterfüllung möglich ist als die ihres innern Berufs, und die darum äußerlich in schwierigen und haltlosen Verhältnissen lebt. Diese Verhältnisse bedrohen nicht einen beliebigen Stand, sondern grade den, der als der Hüter der Sprache auch der Träger der deutschen Bildung ist.« Das gilt noch heute.

Ich habe hier nichts zu enthüllen gehabt. Keine Zeile in diesem Aufsatz ist ein versteckter Angriff auf irgend jemand, keine Wendung verschleiert Namen. Ich hätte sie genannt, wenn ich gewollt hätte. Ich habe keine einzelnen Namen zu nennen. Keiner ist von Belang. Wichtig allein ist die Gesamtlage des Standes.

Die große Presse hat für die Geräusche in ihrem eignen Innern kein rechtes Ohr. Man kann wohl auch keinem Unternehmer zumuten, sich selbst einen Tadel ins Klassenbuch zu schreiben. Darum habe ich meinen Notschrei hier erhoben.

Kurt Tucholsky
Die Weltbühne, 10.06.1920, Nr. 24, S. 691.