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Wenn man vielleicht …

Es ist nicht üblich. Aber schön wärs doch.

Schön wäre es, wenn Romanfiguren eines Autors in dem Buche eines andern Autors vorkämen, so ganz nebenbei und durchaus nicht als Hauptperson. Wenn also Hans Castorp aus dem ›Zauberberg‹ in einem Roman Wassermanns auftauchte und Etzel Andergast bei Georg Kaiser und so fort und so weiter.

Man sähe dann nämlich, dass die sogenannte Hauptperson auch nur ›ein andrer‹ ist – man sähe, wie geschickt jeder Roman den Rahmen um seine Hauptfigur legt, legen muß, und wie das doch künstlich ist. Hauptpersonen gibt es im Leben des einzelnen nur eine: das ist er selbst. Und keiner will vom andern recht glauben, dass auch der ein Schicksal habe, mit Innenleben, Bandwurm, Liebe und dem ganzen Komfort. Na ja, er hat es, aber so schön wie meins …

Sinclair Lewis hat das mit seinen Figuren oft gemacht, da wandern sie von einem Buch ins andre, und es macht einen merkwürdigen, einen beinah unheimlichen Eindruck, wenn im ›Elmer Gantry‹ oder sonstwo von Babbitt die Rede ist. Balzac hat es getan und, wenn ich mich recht erinnere, Zola auch. Es ist so, wie wenn in einem Kriegsroman ein österreichischer Feldwebel sagte: »Da habe ich mal einen Kerl getroffen, der hieß Schwejk … « und weiter nichts. Wir wüßten Bescheid; für den Feldwebel aber wäre es nur eine flüchtige Begegnung … Hauptpersonen gibt es nicht. Von der Geschichte deines jeweiligen Landes abgesehn.

Weil aber jeder Künstler seine Welt neu schafft, so braucht er diesen Gegensatz: ich und die andern, wobei fast jeder ängstlich vermeidet, zu sagen, dass der Herr Ich eben auch nur ein andrer ist. Und um sich da herauszuhelfen, schreiben sie Stoßbrigaden-Romane, wobei man die Brigaden untereinander auswechseln kann, ohne dass es einer merkt. Die Autoren kann man auch auswechseln.

Verschiebung der Perspektiven aber ist immer gut. »Unsre Zeit sucht das Absolute! Nieder mit Einstein! Wir müssen in das Innere der Dinge vorstoßen! Heil! Hoch! Nieder! Haut ihn!« Alle Mann auf Kaspar Hauser los. Als sich der Knäul auflöste, ergab es sich, dass sie einander gar kräftig gedroschen hatten, denn der relative Kaspar war längst nicht mehr da.

Kaspar Hauser
Die Weltbühne, 05.04.1932, Nr. 14, S. 532.