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Der Reichstagsbericht

Ich weiß nicht, ob Sie sich besinnen … wir haben in Deutschland einen Reichstag. Meist ist er vertagt – aber manchmal ist er auch da. Die Tribünen sind klein; es ist nicht jedermanns Sache, sich da anzustellen. Radio wollen die Herren Abgeordneten nicht … sie haben Angst, die Antennen könnten sich verbiegen. Da sind wir denn also auf die Reichstagsberichte in den Zeitungen angewiesen.

Die sehen ulkig aus. Jede Zeitung bringt nur Ausschnitte – und wie ist das geschnitten! Sie schneiden sich heraus: die Ministerreden sowie die Rede des Abgeordneten der Partei, der die Zeitung angehört oder der sie nahesteht. Das ist verständlich. Die Reden der Gegner aber richten sie derartig zu, dass nur noch übrig bleibt: »Abg. Krummholz (Nat.-Soz.) macht auf die Zustände im Ruhrrevier aufmerksam.« Und dann wieder eine lange Rede des befreundeten Parteimannes. Muß das so sein –?

Nein, das muß gar nicht so sein.

Was die Zeitungen da machen, ist recht töricht. Wenn ein Parlament überhaupt einen Sinn haben soll, dann ist es doch der, dass sich die verschiedenen Meinungen untereinander ausgleichen. Dazu muß man sie erst einmal alle kennen. Ich weiß sehr gut, dass im Reichstag Reden zum Fenster hinaus gehalten werden – aber das Fenster ist ja verschlossen! Der Kommunist spricht für seine Parteizeitungen; der Nationalsozialist auch; der Hugenberg-Mann auch … alle ignorieren den Gegner, indem sie seine Rede so zusammenhauen, dass kaum etwas von ihr übrig bleibt. Für wen spricht der Mann also?

Es ist auch deshalb dumm, die gegnerischen Reden zu ignorieren, weil so der Leser immer nur das hört, was er schon weiß und wovon er längst überzeugt ist. Ist das Demokratie? Das ist Schwindel. Natürlich hat ein Nationalsozialist genau dasselbe Anrecht, in einer Demokratie gehört zu werden, wie jeder andere auch; es wäre zum Beispiel sehr klug gewesen, die ersten Nazi-Erklärungen ganz ausführlich zu veröffentlichen: man hätte nämlich dann ihre schreckliche Gedankenarmut noch besser zu schmecken bekommen. Nichts davon geschieht – für teures Geld lassen sich die Zeitungen den verstümmelten Bericht telefonieren, der keiner mehr ist, oder sie zerschneiden die Bogen des Wolffschen Telegraphen-Büros oder der Telegraphen-Union. Es ist ein Elend.

Vorschlag zur Vernunft:

Man redigiere durch eine paritätische Kommission im Reichstag nach den Stenogrammen zwei Berichte: einen ausführlichen und einen gekürzten. Die Zeit drängt, wie? Tut euch doch bloß nicht so amerikanisch! Am nächsten Morgen kommt der Bericht immer noch zurecht. Und dann ist er wenigstens anständig: es ist sehr wohl möglich, alle Reden ganz gleichmäßig zu kürzen, so dass die Wiedergabe alles Wesentliche enthält. Man zwinge die Zeitungen durch Gesetz, diesen Bericht zu veröffentlichen; will ein Blatt die Reden mancher Abgeordneter ausführlicher bringen, so mag es das tun. Dann hat wenigstens jeder Redner sein Minimum in der Presse. Und dann wird keiner mehr gegen eine Wand sprechen, sondern wirklich zum Volk.

Was die Parteipresse aber gar nicht will. Es könnte dann nämlich Gottbehüte herauskommen, dass die Meinungen der andern auch bemerkenswert sind und dass der Gegner nicht nur Unsinn schwatzt oder doch den gleichen wie alle. Worauf also wohl alles beim alten bleiben wird.

Peter Panter
Die Weltbühne, 02.12.1930, Nr. 49, S. 839.