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Die moderne politische Satire in der Literatur

Roda Roda sagt: »Humor ist die Verdauung der Satten, Satire der Schrei der Hungrigen.« Das ist das Wesen der Satire, aber wie erreicht sie ihre großen Wirkungen, mit welchen Mitteln arbeitet sie? Ich möchte hier einige Ausführungen des Genossen Eduard Fuchs zitieren: Jede Kunst, sagt Eduard Fuchs, ist Karikatur, wenn man nämlich unter Karikatur Hinweglassung des Unwesentlichen und die dadurch notwendige Betonung des Wesentlichen versteht. In ganz besonderem Maße wendet die Satire die Karikatur als Mittel an.

Aus diesen klaren und richtigen Worten folgt zweierlei: erstens, dass man verstanden haben muß, bevor man karikiert, dass man überhaupt nur das satirisch behandeln kann, was man in seinem tiefsten Kern begriffen hat, und zweitens, dass notwendigerweise die rechtsstehenden Parteien keine gute Satire haben können, weil das restlose Kapieren der Dinge Objektivität und oft genug Respektlosigkeit erfordert. Der Satiriker darf keine, aber auch gar keine Autorität anerkennen. Das widerstrebt den Priestern der Autorität und den Halben, Lauen, und niemals werden sie eine künstlerisch gute Satire hervorbringen können (Ludwig Thoma hat das einmal im März sehr lustig gegen das Zentrum bewiesen).

Die Satire der rechtsstehenden Parteien ist denn auch danach. Die Witzblätter sind fade, lasch, feige und behandeln alles mehr von der komischen Seite aus, anstatt anzugreifen und niederzureißen. Niemals stehen diese gewerbsmäßigen Witzemacher über der Sache: ihre Pfeile gehen stets von unten nach oben. Da sind die Lustigen Blätter in Berlin, die ohne Gesinnung, aber mit viel Ungeschick alles bewitzeln, da ist der Kladderadatsch, der sich zu einem langweiligen Witzprofessorenkollegium entwickelt hat, da sind die Bücher bürgerlicher Autoren, die in Vers und Prosa nach links um sich hauen. Wilhelm Hegeler: »Des Königs Erziehung«, eine dumme utopistische Geschichte, in der die »Handleute«, wie er die sozialdemokratischen Arbeiter nennt, sich als versoffene und verlauste Trottel repräsentieren. Das Gesudel von Max Brinkmann: »Genosse Tuteweit« ist geistloser und sehr schlecht kopierter Busch.

Das wäre die rechte Gegend. Ganz links, auf anarchistischer Seite, steht Erich Mühsam, der eine Zeitlang die Canaille, ein wöchentlich erscheinendes Beiblatt zum Freien Arbeiter, redigierte. Eines seiner Gedichte, »Der Revoluzzer«, ist ausdrücklich der deutschen Sozialdemokratie gewidmet. Die Tendenz ist die bekannte: Ihr seid im Grunde auch zu schlapp! Aber Mühsam ist ein ausgezeichneter Formenkünstler, und der Angriff kann sich sehen lassen.

Die gute politische Satire ist, wie wir gesehen haben, ein Vorrecht der Opposition. Und hier finden sich auch ihre besten Vertreter. In der Partei selbst Rudolf Franz, der hie und da im Vorwärts seine Beiträge veröffentlicht, gut pointierte und scharfe Gedichte, und der auch durch sein witziges Buch »Die politischen Märchen« bekannt geworden ist. Der süddeutsche Postillion, den Eduard Fuchs zirka sieben Jahre redigiert hat, ist leider eingegangen. Heinrich v. Reder, Otto Erich Hartleben, Henckell, Holz, Ernst Klaar zählten zu seinen Mitarbeitern, und eine Sammlung Aphorismen aus diesem Blatt, die anonym unter dem Titel »Gedanken eines arbeitslosen Philosophen« erschienen ist, enthält das Beste, was in Deutschland in epigrammatischer Form über Politik gesagt worden ist. Politische Satiren gibt es auch von dem großen Stilisten Gustav Meyrink. Eine ist im März erschienen, eine ist in seinem Buch »Gustav Meyrinks Wachsfigurenkabinett« nachzulesen. Meisterhaft, wie hier das Grausige und das Scharfe, das fast an Majestätsbeleidigung grenzt, ineinandergearbeitet sind. Bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung: gerade in der politischen Satire ist die Form gar nicht hoch genug zu schätzen. Es kommt bei vielen Ideen nur auf die Formulierung an. Es müssen sich die geprägten Schlagworte und Pointen dem Leser sofort einprägen, und man kann sogar sagen, dass das sicherste Kennzeichen für die Güte eines politischen Gedichts ist, dass man Stellen daraus sofort auswendig weiß. Ein Meister in solcher Formulierung ist Roda Roda, der wundervoll Geschichten erzählen kann, wie zum Beispiel die von dem alten Grenadier Pospischill, der vierzehn Jahre lang in derselben Stube in der Kaserne in demselben Bett geschlafen hat und nun in ein anderes Stockwerk übersiedeln soll: »Verfluchtes Zigeunerleben«, sagte er. Diese Geschichte ist »Konservativ« überschrieben. Oder die Geschichte von dem Sozialdemokraten: Der Leutnant Franzl kommt bei der Musterung der neuen Rekruten purpurn erregt angelaufen und sagt: »Denkt's euch, – ich hab' an Sozialisten.« – »Was du nicht sagst«, antwortet alles wie aus einem Mund. – »Ja. Aber es scheint ein ganz gutartiger zu sein – ich hab' ihn probiert mit 'n Säbel in Hintern zu pieken – er hat nichts dergleichen getan.« (Zu finden in »Der Schnaps, der Rauchtabak und die verfluchte Liebe«, Schuster u. Löffler, Berlin.)

Neben Ludwig Thoma ist der bedeutendste politische Satiriker Alfred Kerr, dessen Gedichte einhauen wie ein gutsitzender Säbelhieb. Da ist im Pan, einer berliner Zeitschrift, seinerzeit ein Gedicht von ihm erschienen: »Der deutsche Schwund«, und es hatte Strophen über Moabit, immer mit dem Kehrreim »wenn ihr man Geschäfte macht«:

Wenn sie sanken, wenn sie lagen,
wurden sie halbtot geschlagen;
mancher, wenn sein Krafthieb saß,
scherzte: »Hure, Saustück, Aas!«
Greise haut man über 'n Kopp;
rote Suppe … na und ob.
Leidet's Kinder, gebt nicht acht –
wenn ihr man Geschäfte macht!

Eine Sammlung dieser famosen politischen Gedichte existiert leider nicht. Es wäre zu wünschen, dass sich dieser bedeutendste Kritiker Deutschlands einmal dazu entschließt, diese unglaublich schlagsicheren Verse gesammelt herauszugeben.

Das A und O der politischen deutschen Satire ist der Simplicissimus. Dieses herrliche Blatt ist 1896 gegründet worden und hat am Anfang ungeheures Aufsehen und bis heute eine tiefe Wirkung auf das Bürgertum ausgeübt. Die ersten fünf Jahrgänge des Blattes sind vergriffen und werden hoch bezahlt. An ihm arbeitet seit 1899 ein satirisches Genie: Ludwig Thoma. Was dieser grobe und kräftige Mensch in diesen dreizehn Jahren geleistet hat, ist ungeheuer. Er hat überhaupt erst wieder eine gute politische Satire geschaffen, vorbildlich in der Form, rücksichtslos im Inhalt. Wir haben allen Grund, diesem einzigen Künstler dankbar zu sein; er hat unendlich viel Gutes getan. Er schlägt, und die Getroffenen stehen nicht wieder auf. Er lacht, und der Blamierte kann sich in den Erdboden verkriechen. Hier eine Probe:

Die Agrarier


Das rafft sich aus des Lebens Schüssel
Und nimmt sich, ohne lang zu schauen
Und will nicht erst ästhetisch kauen
Und trägt die Seligkeit im Rüssel.

Und was euch andre sagen mögen –
So einfach ist ihr ganzes Wesen!
Sie wünschen ohne Federlesen
Allein zu sein an vollen Trögen.

Nichts von Ideen, Interessen!
Nichts in das Allgemeine schweifen,
Nichts Unbegreifliches begreifen
Nein, weiter nichts als einfach fressen.

Und steht das Futter bis zum Rande,
Beginnt's wohl einem aufzustoßen,
So nebenbei ein Wort vom großen,
Von unserm teuren Vaterlande.

Evoë, Peter Schlemihl, Evoë!

Peter Schlemihl – das ist das Pseudonym Ludwig Thomas, und wenn man sieht, dass ein Gedicht so unterzeichnet ist, dann weiß man: hier bekommt es einer ab, aber ordentlich. Vorzüglich ist auch Dr. Owlglaß oder – wie er sich manchmal nennt: Ratatöskr –: niederträchtig und bitter, überlegt und weise. Seine beiden Gedichtsammlungen, die leider nicht alles enthalten, was er geschrieben hat, sondern nur eine Auswahl, heißen: »Der saure Apfel« und »Gottes Blasbalg«.

Es ist eine Freude, in den alten Jahrgängen des Simplicissimus zu blättern. Immer wieder springt ein gut formulierter Witz heraus; Dinge, die längst die Aktualität verloren haben, sind wieder so lebendig wie am ersten Tag, und man freut sich immer wieder dieser kleinen tapferen Schar, die über aller Tendenz das Künstlerische nie vergessen hat (aber auch über dem Künstlerischen die Tendenz nicht).

Für die Wirkung dieser Satiren gibt es keinen besseren Beweis als die Unterdrückungsversuche der Behörde. Die Satire, die sich ganz systematisch und beinahe abgegrenzt gegen die einzelnen Ressorts der Verwaltung richtet: Justiz, Polizei, Äußeres, Inneres, Militär, Steuern, Beamte – ist der Zielpunkt vieler (danebengegangener) behördlicher Angriffe gewesen. Auf Grund der §§ 20, 21 und 23 des Preßgesetzes vom 7. Mai 1874 können periodisch erscheinende Druckschriften unter gewissen Voraussetzungen beschlagnahmt werden. Es gibt zwar keine Präventivzensur bei uns; aber die Zeitschriften müssen mit einigen Ausnahmen sofort nach Erscheinen unentgeltlich der Behörde zugestellt werden. Diese hat dann das Beschlagnahmungsrecht und, falls durch richterliche Entscheidung ein bezügliches Urteil erfolgt, auch die Befugnis (§§ 41, 42 Strafgesetzbuch), die Exemplare, die im Besitz des Druckers, Verlegers und Redakteurs sind, oder zum öffentlichen Verkauf ausliegen, zu vernichten, und die zur Herstellung benutzten Formen und Platten unbrauchbar zu machen. Das ist seinerzeit mit Nr. 31 des dritten Jahrgangs des Simplicissimus geschehen, die heute eine großen Wert repräsentiert. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist gleich Null. Weder die widerliche Schikane, den Simplicissimus nicht auf den Bahnhöfen zu verkaufen, noch die Vorstrafen, die fast alle großen Satiriker auf sich sitzen haben, erreichten einen anderen Zweck als das fabelhaft witzige Reagieren der Betroffenen, die die armen Opfer, die als Gegenhilfe nur den Schutzmann und den Richter kannten, völlig in Grund und Boden verhöhnten.

Es ist zu wünschen, dass sich auch in unseren Blättern das Verständnis für gute Satire immer mehr entwickelt, damit man auch von ihr sagen kann, was Ludwig Thoma zum zehnten Geburtstag des toten Simplicissimushundes, des Sinnbilds dieses Blattes, gesagt hat:

Doch wie ich dieses Hundsvieh kenne,
hilft alles nichts: das Luder beißt!

Kurt Tucholsky
Dresdner Volkszeitung, 14.05.1912, Nr. 110.