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K.-K.

Wenn hier die Fanfare geblasen und so ein respektvolles Schweigen unterbrochen wird, so geschieht das, um die Begriffe »Kunst« und »Geschäft« scharf zu trennen, nicht aber handelt es sich um die einzelnen. Die Redaktion war für Andante, ich für Presto – so entstand ein munteres Allegro. Dem Schriftleiter habe ich zu danken, weil er es für zweckmäßig hielt, ein Tempo nicht zu zügeln, das ihm noch immer zu geschwind erschien; so wie er gewiß auch Angegriffene zu Worte kommen lassen wird.

Nicht etwa: Karikaturisten-Klub. Sondern: Konfektionskommis. –

Denn was hier in Berlin jetzt vorgeht, ist dies: das Niveau ist erfreulich gleichmäßig. Bernhard und Klinger haben eine Tradition geschaffen, auf deren breiten Bahnen jeder einigermaßen intelligente Kunstschüler behaglich einherwandelt, das Interesse für Plakate ist noch immer nicht erloschen, der Bedarf wächst, und so finden alle, was sie brauchen. Man müßte also denken, die Plakatmaler dieser großen Geschäftsstadt wären eine geruhige Gilde, die längst weiß, dass ihr Gewerbe mit Kunst nichts zu schaffen hat, da sie ja dem Kapital dienen, allwelche Faktoren nur den Anfangsbuchstaben gemein haben. Aber … Aber statt dessen sehen wir einen lärmenden Hühnerhof mißgünstiger Krakeeler, voll Konkurrenzgekakels.

Obersatz: hier wird geschwindelt. Es wird vorgetäuscht, man mache »Kunst«, man verschönere das äußere Leben auf angenehme und geschmackvolle Art. Schwindel – man will Geld verdienen. Es wird vorgetäuscht, man habe eine Hebung der Berliner Kultur im Auge, wolle Geschmacklosigkeiten ausrotten, die armen Blinden an der sicheren Künstlerhand geleiten. Schwindel – man will Geld verdienen. Warum sagt man das nicht? – Ist es eine Schande? – Die Herren fühlen: dass sie Geld verdienen, gewiß nicht – wie sie es tun, allerdings.

Fakten: Die Karikaturisten veranstalteten einen Ball. Aber nicht so einen, wie es Künstler wohl zu tun pflegen: voller Laune, die auf nichts Rücksicht nimmt als auf den guten Geschmack, wirbelnd, tobend … nein, so nicht. Sondern fein – was der Berliner so fein nennt, mit »Stimmung – Humor – Betrieb«, teuren Weinen und viel Kokotten. Und überall, im Festzug, in den dort verteilten Drucksachen – überall schimmerte die zarte Rücksichtnahme durch, die man auf die Herren Auftraggeber zu nehmen hatte, von Geschäfts wegen, das uns reich und angesehen macht, dass wir unseren Nächsten auf die Stiefel spucken können, amen! –

Sie veranstalten ein Zirkusfest. Es geht schief, sie werden ausgepfiffen – gut. Das passiert auch sonst. Aber warum es geschah, ist interessant zu untersuchen. Keiner ordnete sich dem andern unter, jeder wollte die günstige Gelegenheit benutzen, für sich und seine »Marke« soviel Reklame wie möglich herauszuschlagen. Und unvorbereitet und sich selbst überschätzend stellten sie ihre wirklich nicht gut gewachsenen Persönlichkeiten heraus und fielen herein. Sela. Nun haben wir hier in Berlin, wie sich das auch für einen ordentlichen Stand gehört, zwei Gruppen: die eine und die andere. – Waren die einen hereingeplumpst, so ließen jetzt die anderen eine Annonce los und erklärten sich für nicht identisch. Und motivierten das mit wirtschaftlicher Notwendigkeit. »Uns ist es ja gleich, aber die Kaufleute … «

Und hier sitzt der Kern: Die Berliner Plakatmaler haben sich völlig den Kaufleuten untergeordnet. Die Folgen sind ersichtlich: Die Kaufleute werden größenwahnsinnig, die Künstler werden ruiniert. Noch keinen sah ich fröhlich enden … Der Kaufmann, dem man so lange einen guten Maler als etwas Erhebliches hingestellt hatte, klopft auf die Tasche und kauft sich einen. Nun, er hat ihn, und das kriecherische Benehmen des Malers bestärkt ihn in der Annahme, dass er die deutsche Kunst gerettet habe und überhaupt. – Jedenfalls übernimmt nun der Kaufmann die gesamte Regie des Künstlers: er bestimmt, was herausgeht und was nicht; das heißt: der, der ihn beraten sollte, in Dingen, von denen er nichts verstand, unterliegt nunmehr wiederum der Kontrolle des Laien. Sie alle können ein Lied davon singen, was an guten Plakaten abgelehnt wird, was an Schätzen in den Papierkorb geht – verfertigt hat sie der Fachmann, abgelehnt der Laie. Nein, es soll ihm kein fremder Geschmack aufoktroyiert werden, aber der soll bestimmen, der es gelernt hat, nicht der Laie. Daß es so ist, ist die Schuld der Maler: Hielten sie zusammen, schmeichelten sie nicht ihren Auftraggebern, schlügen sie auch einmal einen Auftrag aus, weil sie ihn mit ruhigem künstlerischem Gewissen nicht ausführen können – es würde besser werden. Aber so … Sie protzten mit der Person des Gekauften, und manche haben nichts dagegen: eine der widerlichsten Reklamen machte die Direktion des Berliner Eispalastes. In einer ekelhaft süßlichen Textannonce wurde ein Maler wie ein Frauenzimmer herausgestellt, was seine körperlichen Fähigkeiten anging: diesmal handelte es sich noch ums Tanzen … Nun, es traf keinen Verkehrten, denn dieser Herr ertanzt sich seine Aufträge, läßt sich und fähige Zeichnungen kinematographieren und lächelt von der Leinewand gewinnend ins Parkett. So sind sie alle, fast alle, und so groß ist ihr Eifer, dass sie vor nichts zurückschrecken, wenn es nur einen Auftrag bringt. Sie machen alles, was die Leute wollen. Sie lassen sich von den übelsten Schmocks die Texte ihrer Programms machen, sie werfen sich an alles, was Geld hat, heran – und unterstützen so Kunstfeinde und Gegner des Geistes. – Sie machen alles.

Sie veranstalten ein Ding, das sie Modenschau nennen – in einem Berliner Haus, das mit Kunst handelt, und sie machen dabei alle Konzessionen, die zu machen sind, und noch ein paar mehr. Sie tun sich mit den Elementen zusammen, die in zwanzig Jahren Geld und Kultur um jeden Preis machen wollen. Resultat: Berlin. Sie sind in guter Gesellschaft. Als das Zirkusfest ins Wasser gefallen war, schrieb Edmund Edel wimmernd, er erkenne wieder einmal seine guten Berliner, dieselben, die er so oft schmeichelnd in all ihrer Knotenhaftigkeit bestärkt hatte, wenn es galt, gegen etwas Neues, Unverstandenes zu pöbeln … Der Montmartre, Steinlen und der einzige Toulouse-Lautrec haben kein Geld verdient, aber sie hatten ein Gefühl für sauber gewaschene Hände.

Das gibt es in Berlin kaum noch. Nimmt man Lucian Bernhard aus, der zu klug, und Scheurich, der zu fein für die anderen ist, so bleibt – einer wie der andere eine Gruppe von Herren, die als Inkarnation Berlins alle Wesensmerkmale dieser Stadt in sich vereinigen: Klamauk, Überzeugungslosigkeit und bedingungsloses Kriechen vor einer Hootfollé, die, aus Posen zugezogen, mit Geld alles kaufen zu können glaubt. Aber es geht nicht. Gott sei Dank geht es nicht.

Und wenn das Konfektionshaus in der Leipziger Straße »seinen« Maler als Einkäufer nach Paris schickte, anstatt ihn Inserate zeichnen zu lassen, und so einem Plakatmaler die Stellung verschaffte, die er schon lange verdient hat – es geht nicht.

Und wir können es uns nicht mehr schweigend ansehen. Was nur für Geld gemacht, von irgendeinem mit Bekleidungsgegenständen handelnden Menschen aus irgendwelchen Gründen gebilligt, als Plakat gedruckt wird, können wir hier nicht mehr ernsthaft und ästhetisch besprechen. Wir müssen uns einmal klarwerden: was momentan aus Berlin kommt, ist – mit geringen Ausnahmen – Handwerk.

Und Handwerk hat goldnen Boden. Aber mit Kunst hat das nichts zu tun.

Kurt Tucholsky
Das Plakat, 31.05.1913, Nr. 3, S. 114.