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Der Offizier der Zukunft

Arno Voigt, als Miles einer der wenigen deutschen Offiziere, die im Kriege die Wahrheit zu sagen sich nicht gescheut haben, gibt (bei Engelhorn in Stuttgart) ›Gedanken eines Unmilitärischen‹ heraus: ›Der deutsche Offizier der Zukunft‹.

»Vielleicht«, heißt es einmal bei Nietzsche, »habe ich niemals etwas gelesen, zu dem ich dermaßen, Satz für Satz, Schluß für Schluß, bei mir Nein gesagt hätte wie zu diesem Buche: doch ganz ohne Verdruß und Ungeduld.«

Der einleitende Rückblick zwar ist ausgezeichnet. Er faßt noch einmal die schweren Sünden des Offizierkorps im Kriege zusammen, in einem Kriege, der den deutschen Offizieren für immer den Ruf der Unbemakeltheit genommen hat, und das von Rechts wegen. Leute, die heute noch an dem alten Idol festhalten, tun dies aus politischen Gründen – sie wollen nicht erkennen, und verdienen daher nicht, überzeugt zu werden. Wir andern wissen, was auch Voigt bestätigt: »Offiziere – Bürger – Landser: das war die Gliederung.« Und: »Das Charakteristikum des alten Offiziers war seine Isoliertheit.« Und weiter jene Melodie, die heute noch viel zu wenig und viel zu zaghaft bei uns gesungen wird: das Lied vom deutschen Offizier im Kriege – und es ist ein etwas mißtönendes Lied.

Aber das Buch heißt: ›Der deutsche Offizier der Zukunft‹. Wie nun ändern? Wie bessern? Und Voigt schlägt vor.

Der deutsche Offizier der Zukunft soll ein geistiger Mensch sein. Das ist in einem Satz das Postulat dieses Offiziers, der selbst sicherlich ein guter Offizier war. Er verlangt von einem Führer mit Recht größere Qualitäten, als sie in den kümmerlichen Offiziersexamen und in der mangelhaften Kasinoerziehung heraussprangen: er verlangt menschliche Qualitäten.

Wozu? Zum Mord. Denn hier ist das, was das ganze Buch wertlos und die Vorschläge utopisch macht: es wird sich eben kein geistiger Mensch bereit finden, sein Leben und seine Person für einen solchen Quark, wie es die nationalistischen Interessen eines Staates sind, aufs Spiel zu setzen. Er wird, wenn er ein wertvoller Mensch ist, dieser kümmerlichen Angelegenheit sein Leben eben nicht widmen. Wohl wird er Führer sein wollen – aber niemals Schlächtermeister. Und die Gedankengänge Voigts erinnern an die Schilderungen Hearns, wenn er von den japanischen Geishas spricht: vor lauter Lyrismen vergißt er ganz, dass es sich doch immerhin um Frauen handelt, um Frauen aus Fleisch und Blut, die man sich kaufen kann und die jeden Abend einem andern gehören.

Wenn der Offizier der Zukunft all diese guten Ratschläge Voigts befolgt, so wird er ein Adelsmensch werden, meinetwegen auch vielleicht ein Führer seiner Volksgenossen: aber er wird kein Mann sein, der Blut vergießt um des Staates willen. Denn die Mittel und die Werkzeuge des Geistes lassen sich nicht prostituieren (wie der Militarismus irrtümlich 1914 glaubte, als er die reklamierten Dichter mobil machte) – sie sind um ihrer selbst willen da und gänzlich unpraktisch. Es war klug vom ancien régime, dem Offizier nicht so viel zum Lesen in die Hände zu geben; denn dann hätte er denken gelernt, und das war nicht gut. In den Büchern stand: Du sollst nicht töten!

Wir sehen zu sehr auf die Außenseite. Wir hatten alle vergessen – aber jetzt wissen wir es –, dass ein Mörder ein Mörder ist, auch wenn er hohe Lackstiefel trägt und ein blonder, schlanker, eleganter und amüsanter junger Mann ist. Und wir haben nicht gearbeitet, um dessen Stellung zu befestigen.

So wird also Arno Voigt, der es so gut gemeint hat, fragen: »Ja, aber wie denn? Ungeistig ist es nicht recht – und nun versuche ich es geistig, und da ist es wieder nicht recht … ? Welcher Offizier der Zukunft wird denn von dir herbeigewünscht?«

Und wir antworten: Gar keiner.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 05.06.1919, Nr. 24, S. 661.