Zum Hauptinhalt springen

Kaiserallee 150

Sie suchen eine Wohnung? Aber ich weiß zufällig eine – bitte, ich befasse mich hier und da ein wenig mit solch kleinen Nebenverdiensten – ja, ich weiß eine. Sie liegt sehr gut – nun, nicht gerade im Zentrum der Stadt – man ist ja froh, wenn man überhaupt eine bekommt … Aber doch auch nicht sehr weit draußen – nein. Sie liegt – das Haus, in dem die Wohnung frei ist, liegt auf der Grenze zwischen Wilmersdorf und Friedenau. In der Kaiserallee. Kaiserallee 150.

Sie sehen das Haus schon, wenn Sie vom Kaiserplatz kommen und unter der Bahnüberführung hindurchgehen – Sie sehen es schon von weitem. Es ist ein großer gelber Kasten – ich will Ihnen das Haus nicht besser machen, als es ist. Es ist ganz schmucklos und einfach und hat nicht einmal Stuckverzierung aufzuweisen. Man sagt, dass die Leute in England so bauen. Aber die Leute in England haben keinen Geschmack. Ich bitte Sie: ohne Stuck! Nein, da lob ich mir unsere hochherrschaftlichen Häuser im berliner Westen! Da weiß man doch, wen man vor sich hat.

Das Haus ist also ganz einfach gehalten, ein paar große Bäume stehen davor – aber nicht so, dass dadurch die Aussicht aus den Fenstern gehemmt oder dass die Zimmer etwa dunkel wären. Dergleichen würde ich Ihnen gar nicht empfehlen. Sie treten ein – – Ganz recht: es ist die Wohnung im zweiten Stock rechter Hand, die jetzt frei geworden ist. Zum fünfzehnten Mai ist sie frei geworden; ich werde Ihnen erzählen, warum.

Aber Sie wollen nun gewiß zuerst wissen, in was für ein Haus Sie da ziehen – Sie kennen mich nicht … Eigentlich sollten Sie mich kennen, mich und meinen renommierten Ruf in der Immobilienvermittlung. Also nun das Haus.

Unten links im Erdgeschoß wohnt der Portier. Der Wirt hat ihm diese kleine Wohnung angewiesen, nicht etwa die muffige Kellerwohnung. Der Mann ist Buchbinder, bastelt den ganzen Tag an seinem Werkstattisch und bedient die Tür. Sie treten ein und fragen ihn nach den Bewohnern. Ich habe ihn bereits angewiesen, und er gibt freundlich und bereitwillig Auskunft. (Auch riecht es aus seiner Wohnung nicht nach dem Mittagessen.)

Gegenüber, rechts im Erdgeschoß, sagt er, da wohnt ein pensionierter höherer Verwaltungsbeamter. Ein sehr fortschrittlicher Mann soll es sein. In den Tagen des Kapp-Putsches hat er durchaus nicht mitgemacht, sondern die schwarzweißrote Fahne entfernen lassen, die irgendein Gassenjunge ihm ans Fenster gepappt hat. Nein, Kinder hat er nicht. Er lebt mit seiner Frau allein. Sie tun sehr viel Gutes.

Im ersten Stock wohnt ein Großgrundbesitzer. Dies ist seine Stadtwohnung. Er bekommt keine Sendungen von seinem Gut – nein, er empfängt hier in der Stadt seine Lebensmittelkarten und ißt nur, was ihm darauf zusteht.

Auf der anderen Seite im ersten Stock wohnt ein berliner Theaterdirektor. Er gibt immer den Leuten im Haus Freikarten, ist stets für alle seine Schauspieler zu sprechen und verteilt die Rollen gerecht und richtig. Sagen seine Schauspieler.

Nun weiß der Portier nicht weiter. Aber ich kann Ihnen dienen. Wenn Sie einziehen und mir die kleine Provision von 4 Prozent nicht vorenthalten wollen – – Nein, das wollen Sie gewiß nicht, nicht wahr?

Also im zweiten Stock wohnte bis jetzt der Herausgeber eines – ja- eines nicht sehr sauberen illustrierten Wochenblattes. Sie können sich denken, Nuditäten … und so. (Aber in der Wohnung ist nichts zu sehen – seien Sie unbesorgt!) Und der sah nun eines Tages, dass es so nicht weiterginge, und dass es sich im Grunde doch nicht schicke, solche Dinge herauszugeben – und da ließ er es, und nun bewohnt er an der See ein kleines, vierzehnzimmeriges Häuschen … Der Mann paßte gar nicht in das Haus.

Das wäre also Ihre freie Wohnung. Eine schöne, ruhige Fünfzimmerwohnung, mit Bad und Zentralheizung … Doch. Sie geht. Nein – jetzt natürlich nicht. Aber im Winter – das werde ich Ihnen erzählen, wenn wir vom Wirt sprechen. Die Türen schließen, die Wände sind so dick, dass sie in einem Zimmer nicht hören, was im anderen gesprochen wird; die Badewasserleitung funktioniert, die Wanne ist ganz. Solche Wohnung ist das.

Im dritten Stock wohnt der Wirt. Der Wirt wohnt selbst im Haus. Ja – es ist ein berliner Wirt, oder vielmehr ein friedenauer Wirt, und trotzdem hat er die Mieten noch nicht weiter gesteigert, als die allgemeinen Vorschriften besagen. Das Mietseinigungsamt hat da noch keiner angerufen. Es ist auch gar nicht nötig. Der Mann läßt alle Reparaturen freiwillig ausführen, ohne Prozeß und Quengelei. Er läßt heizen wie im Frieden. Er geht alle Vierteljahr im Haus herum, macht bei den Mietern Besuche und fragt sie, ob sie auch zufrieden wären, und wo es denn fehle …

Im vierten Stock wohnt links eine junge Witwe (mit Einrichtung). Sie will nicht mehr heiraten. Sie ist allein glücklich. Im vierten Stock rechts wohnt eine junge Dame, eine unverheiratete junge Dame. Sie wohnt nun schon zwei Jahre in diesem Hause – aber – das weiß nun wieder der Portier – sie hat noch nie Herrenbesuch gehabt. Und wenn sie abends ausgeht, so kommt sie spätestens um zwölf Uhr allein nach Hause. So ein Haus ist das.

Das wären so die Mieter. Halt! Da habe ich noch vergessen, dass der Großgrundbesitzer von seiner großen Doppelwohnung – er hat zehn Zimmer – vier freiwillig abgegeben hat, und nun haben sie ihm da einen Philosophieprofessor hereingelegt, für den man kein Unterkommen gefunden hatte. Der Mann hat seit dem Jahre 1914 seine Philosophie niemals dazu benutzt, um zu beweisen, dass der Krieg … Aber das gehört nicht hierher.

So ein Haus ist das. Nein, Musik wird nicht gemacht. Die Frau des Wirts übt viel, aber sie hat sich eine stumme Klaviatur machen lassen, aus Rücksicht auf die Mieter. Und die wenigen Kinder, die im Hause sind, gehen gesittet umher und spielen außerhalb. Babys schreien nicht. Teller klappern nicht. Teppiche werden nur freitags und sonnabends geklopft- aber meist arbeitet ein Vakuumreiniger. Papageien kreischen nicht. Dienstmädchen klatschen nicht. So ein Haus ist das.

Sie haben mir bis hierher geduldig zugehört – ich will Ihnen die Wahrheit sagen. Ich habe die zweite Hypothek auf dem Hause – (es hat nur zwei). Daher bin ich ein wenig interessiert, die Wohnung bald zu vermieten. Wollen Sie? –

Also Sie fahren am besten, wenn Sie mit der 66 oder mit der F …

Aber nun lachen Sie und sagen, heller Kopf, der Sie sind, etwas – – – Etwas, das leider stimmt:

»Das Haus gibts ja gar nicht!«

Peter Panter
Berliner Tageblatt, 18.06.1920, Nr. 276.