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Heimarbeiter

Von Zeit zu Zeit sickern Lohnzahlen aus dem Erzgebirge durch, die auf ein gradezu grauenhaftes Ausbeutersystem und auf ein schreckliches Elend in der dortigen Heimarbeiterschaft schließen lassen. Ich sehe noch die erschrockenen Augen Ernst Tollers, als er von seiner Reise ins Erzgebirge erzählte – er hat seinerzeit hier darüber berichtet. Ich glaube, dass in der Bekämpfung dieser Zustände ein grundsätzlicher Fehler gemacht wird.

Wer sind die Firmen, die von diesen Schandlöhnen profitieren? Es gibt da Menschen, die – im Jahr! – dreihundert Mark verdienen; man kann sich den Rest ausmalen. Reportage! Reportage! Wo sind unsre Leute –?

Und wenn einer hinreist, so ist mit Deklamationen gar nichts getan. Da muß nicht nur eine sorgfältige Untersuchung über die Wirtschaftslage von Arbeitern und Fabrikanten angestellt werden –:

es müssen vor allem die Namen der Zwischenmeister, der Unternehmer, der Firmen mit voller Adresse genannt werden, und es muß an diese Nennung die Aufforderung zum Boykott geknüpft werden, und wenn sich die Syndici der Herren auf den Kopf stellen. So viel soziales Gewissen wird doch in breiten Kreisen noch zu finden sein, dass der Verbraucher solche Waren zurückweist, die aus dem Blut, dem Schweiß, der Tuberkulose, aus Kinderarbeit und der Arbeit schwangerer Frauen herrührt. Namen nennen! Namen nennen!

Ich weiß, dass damit die soziale Frage nicht gelöst wird. Das Erzgebirge ist nur eine kleine Flocke im Ozean unrechtmäßig usurpierter Arbeitskraft – aber auch Kampf im kleinen hilft, nichts ist umsonst getan. Namen nennen! Namen nennen!

Freilich, wo fängt das an, und wo hört das auf! Der Name des Leuna-Werks ist ja oft genug genannt worden, und doch blüht es, wächst und gedeiht.

Es wird aber in Blättern, die gelesen werden, viel zu wenig aus den Betrieben heraus geschrieben, was ja nicht immer einfach ist: denn es müssen solche Leute schreiben, die sozial weitblickend sind und nicht ihren Personalchef und eine kleine Ungerechtigkeit der Fabrikleitung für das Ende aller Dinge ansehen. Wenn man in dieser Welt kämpft, dann muß konkret gekämpft werden. Einer, der nur ›sachlich‹ ist; hat Angst vor dem, was in Wahrheit die Welt regiert: die Angst vor der einzelnen Person.

Namen nennen! Namen nennen!

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 21.08.1928, Nr. 34, S. 297.