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Der Exodus

Da lesen wir manchmal in den Zeitungen:

»Während der Rede des Kommunisten Mittermeyer verlassen die Mitglieder der Regierung und die meisten Abgeordneten den Saal.«

Die Abgeordneten mögen tun, was ihnen Freude macht. Aber die Regierung? Wozu ist eigentlich ein Parlament da?

Jeder Abgeordnete, wer es auch sei, repräsentiert mindestens 60000 Stimmen; die 60000 Leute, die ihn gewählt haben und sosolala seiner Meinung sind, wollen durch ihn im Parlament vertreten sein; er ist ihr Mund. Und wo ist das Ohr –?

Die Regierung glaubt, dass es eine Auszeichnung bedeute, wenn ihre Vertreter geruhen, eine Rede mit anzuhören. Sie irrt. Es ist ihre Pflicht. Ich spreche nicht von den Ausnahmefällen, wo eine ungebärdige Opposition derart schimpft, dass es keinem zugemutet werden kann, zuzuhören. Aber wenn ein KPD-Mann oder ein Nationalsozialist allerschärfste, aber saubere Opposition macht –: wozu habt ihr eigentlich ein Parlament, wenn ihr nicht hören wollt, was Teile der Bevölkerung durch ihre Vertreter zu sagen haben? Es sei dumm? Und ihr wißt es schon? Dann macht die Bude zu. Entweder man hat einen Parlamentarismus oder man hat keinen. Dann macht eine offene Diktatur.

Dieser Parlamentarismus, der längst seine eigne Karikatur geworden ist, erstarrt immer mehr in törichter und leerer Geschäftsroutine. Maßgeblich ist für die Beamten der Regierung nur, was jene Beamten des Parlaments daherreden, die die Mehrheit haben. Der Rest fällt glatt unter den Tisch – so, wie die Meinung der vierzehn Millionen Deutschen, die gegen die skandalöse Fürstenabfindung gestimmt haben, unter den Tisch gefallen und nicht einmal in der Höhe der Abfindung berücksichtigt worden ist. Ist das Demokratie –? Das ist keine.

Dieser Auszug der Kinder Israel erfolgt nun jedesmal, wenn ein unbequemer Mann auf der Tribüne steht, der keine Mehrheit hinter sich hat, also der Regierung nicht gefährlich werden kann. Solches ist ein Schlag gegen die Wähler.

Bleibt also dem boykottierten Redner nur noch die dünne Zuhörerschaft im Parlament und dann die Presse: der Reichstagsbericht. Und wie sieht der aus – ?

Darüber wollen wir Pantern hören.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 02.12.1930, Nr. 49, S. 839.