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Erotika

Der preußische Staat ist grade dabei, die erotische Literatur wieder aus der Baisse in die Hausse zu treiben. Die Sittenschutzleute laufen herum und konfiszieren abwechselnd Büstenhalter, Faust und den Boccaccio, manchmal aber auch Gummiwaren und ein bißchen Tizian. Und das Interesse für die Ware, die der Buchhändler dem guten Kunden zwinkernd im Privatkontor vorzulegen pflegt, wird wieder gesteigert.

Ich glaube, der Hauptreiz der erotischen Literatur liegt in ihrer Unbekanntheit. Je weniger einer davon kennt, desto mehr ist er hinter diesen Bänden her. Nachher legt sich das. Er lernt dann unterscheiden, dass es zweierlei Arten gibt. Erstens: Kunst, die sich einen erotischen Stoff hergenommen hat. Die ist selten; das Wesentliche davon hat Franz Blei (den man nun aber nicht immer und immer wieder als Erotiker abstempeln soll) auf eine sehr graziöse, Eduard Fuchs auf eine sehr ungeschickte und klobige Art gesammelt. Es ist nicht allzuviel: unter den Malern an erster Stelle Klimt und Zichy; die Wortkunst der Erotik steht in den »Opalen« und im »Amethyst«.

Zweitens gibt es, sagen wir, Gebrauchsgegenstände.

Ein Handwerker sagte mir einmal trocken: »Sowat braucht man eben manchmal«, und damit hatte ers getroffen. Ob das nun Aktfotografien sind oder etwas gradlinige Dinge, Terrakotten oder japanische Holzschnitte – man bekommt das sehr schnell über, und schließlich interessieren nur noch die kleinen Menschlichkeiten, die Environs solcher Atelieraufnahmen und dergleichen. Aber nachher schwindet auch das, und im Kriminalmuseum des berliner Polizeipräsidiums verweilten wir nur einen Augenblick vor den alten Bildern von 1880, wo die Damen noch die Kleidung unserer Großtanten trugen, Puffärmel und biedere Kapotthütchen. Der Rest der Bilder kontrastierte dann einigermaßen.

Aber letzten Endes sind das doch alles Kindereien. Kleinpaul hat einmal sehr gut bemerkt: »Die Menschheit ist liebestoll. Man kann nicht umhin, ihre ewig auf das Geschlechtliche gerichtete Phantasie halb krankhaft, halb lächerlich, am Ende langweilig zu finden. Das Männliche, das Weibliche will ihr gar nicht mehr aus dem Sinn: sie kann keinen Stiel und kein Loch sehen, ohne daran zu denken.« Man sollte, wie Chesterton will, nicht mit Gegenargumenten irritieren, sondern den Gesichtskreis erweitern und zeigen, dass es etwas Reineres, etwas Erfrischenderes außerhalb der erstickenden Atmosphäre gibt. Aber ob sich grade der Trinker zum Abstinenzlerhirten eignet, ist fraglich, und wir kleben schließlich alle an der Erde. Zur Höhe des lieben Gottes können wir uns nur aufschwingen, wenn wir als Normale einen Masochisten beobachten. Das ist das Tollhaus, denn wir empfinden nicht, warum der wimmert, der Zweck seiner Übungen ist uns dunkel, und wir habens leicht, ihm gutmütig auf die Schulter zu klopfen: »Du guter, alter Narr!« Und es ist schrecklich, sich auszudenken, dass uns auch wieder einer, bei dem Wohlbefinden und Fortpflanzungstätigkeit nicht verknüpft sind, auf die Schulter klopfen und sprechen könnte: »Guter, alter Narr!«

Es empfiehlt sich vielleicht, mit den Eroticis nicht gar so feierlich zu verfahren. Ich habe eine ganze Menge, aber sie sind eingestaubt, und wenn nicht ein Freund sie besichtigen will – ich ziehe sie kaum noch hervor. Ich denke da immer an die kleine Geschichte, die Albert Moll erzählt hat: In seiner Schulzeit trieb ein Buchhändler sein Unwesen mit pornographischen Büchern; um den Ankauf zu erleichtern, setzte er den Jungen auf die Rechnung die Reden des Isokrates. Wir haben alle einmal Isokrates gelesen, aber man muß nicht zeitlebens bei der Jugendlektüre stehenbleiben. Die soll man getrost den Sittlichkeitsvereinen überlassen.

Peter Panter
Die Schaubühne, 11.06.1914, Nr. 23, S. 636.