Zum Hauptinhalt springen

Malende Eisenbahner

Beim Fotografen Manuel in Paris. Ein paar kleine Zimmerchen voller ölgemalter Bilder, hübsch im Rähmchen und brav im Sujet: Bäume mit See, Bäume ohne See, Kirchturmspitze und Blumenvase, Dorf bei Gewitter und schöne Frau mit rundem Kinn – es ist alles da. Was ist das?

Das ist eine kleine Bilderausstellung von französischen Eisenbahnbeamten. Alle diese Maler sind Beamte der Staatsbahn oder Angestellte der »Compagnies«, die das französische Eisenbahnnetz unter sich aufgeteilt haben.

Man kann nun gewiß auch eine Ausstellung von Künstlern organisieren, die mit einem A anfangen, oder von Rothaarigen oder von Malern, die einmal in ihrem Leben geschieden sind. Diese Ansammlung harmloser Amateur-Arbeiten ist wohl auch weniger als Kunstausstellung gedacht denn als Band der Kameradschaft unter den Angehörigen eines Berufs. Wenn grade kein Dienst gewesen ist; wenn draußen die Güterzüge von andern bedient wurden; wenn andere über die Weichen donnerten; wenn die Kameraden den Hebel umlegten –: dann saßen die Stationsvorsteher und Weichensteller und Lokomotivführer und mehr wohl noch die Schalterbeamten und Buchhalter und Schreiber an friedlichen Staffeleien und pinselten, sanft vor sich hinpfeifend, ihre kleine Privatvision auf die geduldige Leinwand.

Sagte ich: »Stationsvorsteher«? Kein Franzose, der hier nicht lächelte – denn an den »chef de gare« hängt das französische Gassenlied einen bösen Vers; der sagt diesem braven Beamten nach, dass ihn seine Frau zu hintergehen pflege, und wie viele angesoffene Reservisten schon Arrest bekommen haben, weil sie in lärmendem Übermut diese Zeile (»Il est cocu le chef de gare«) aus den Fenstern gebrüllt haben, ist schwer auszurechnen.

Plötzlich wird es in den beiden Zimmerchen so seltsam still; ein leises Rauschen entsteht hinter mir … Der Herr Minister! Der Minister der öffentlichen Arbeiten, und damit der Eisenbahn, Herr Tardieu, eröffnet die Ausstellung. Kleine Pause.

Herr Tardieu sieht aus wie ein gut genährter Börsianer an einem ziemlich festen Börsentage, durch die Nase pustet er Luft, und er hat einen reichen und energischen Unterkiefer.

Und nun spielt sich, im kleinen, dieses süße Spiel ab, das wir im großen so oft gesehen haben, und das in Frankreich doch etwas weicher, schmiegsamer, eleganter gespielt wird als anderswo. Der Minister muß sich etwas ansehen, was ihm gänzlich Wurscht ist; die Veranstalter wissen das; der Minister weiß, dass sie wissen; sie wissen, dass der Minister … und währenddessen bleibt also Tardieu vor manchen Bildern stehen und sagt seins. Wo in aller Welt lernen die Minister, was man in solchen Fällen zu sagen hat? Es muß sehr schwer sein. »Hübsche Landschaft!« – »Das ist sehr nett. Wo ist das?« – »Ah, der Genfer See« – und so.

Drum herum keine krummen Rücken. Natürlich die leicht gedämpften Stimmen des Respekts, aber nicht peinlich, das kann man nicht sagen. Der arme Minister – der einzige Lichtblick ist die Plastik eines Künstlers, der modelliert, wie Henri Rousseau gemalt hat –: in Gips steht da ein kleines Mädchen mit einem Lamm, und das Kind hat ein Gesicht wie ein lächelnder Eierkuchen.

Armer Minister!

Da hat neulich einer das Tagesprogramm des französischen Präsidenten Doumergue aufgeschrieben; das ging zwischen Eröffnungen und Besichtigungen immer auf und ab, und abends war Galavorstellung, und ich möchte nicht Präsident sein.

Die Eisenbahner malen; die Minister weihen ein – man muß sich wundern, dass die Eisenbahner überhaupt noch fahren. Aber von der Eröffnung dieser Ausstellung bis zum Ausbruch des Vesuv gibt es in Europa nichts ohne eines: die Spitzen der Behörden.

Peter Panter
Tempo, 03.11.1928.