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Coupletvortrag

Es macht wenig Spaß, für deutsche Schauspieler Couplets zu schreiben. Bezeichnend ist, dass der Deutsche diese Gattung abwechselnd »Chanson« oder »Couplet« nennt, was im Französischen »Strophe« bedeutet – und nun, da der Einfluß Frankreichs auf Deutschland zugunsten der angelsächsischen Länder zurückgetreten ist, nennt er es »song«, wobei er allemal andeutet, dass er dafür kein Wort hat, weil der Begriff fehlt.

Der französische Chansonnier singt seinen Text von einem Blatt Papier ab – kommt also gar nicht dazu, das zu tun, womit Seine Prominenz in Berlin so viele Texte zerstört: nämlich zu »spielen«, sich zwischen das Lied und den Empfänger zu drängen, Sinn und Gehalt zu verfälschen. Es gibt in Berlin ein paar Ausnahmen, die große Valetti voran, Paul Graetz und andre, auf die man sich verlassen kann – der Durchschnitt macht sich mausig, und das Lied ist im Mond.

Schrecklich, wenn sie über die Vers-Enden, die doch einen Einschnitt bedeuten, den Text »sinngemäß« ziehen – während doch der Rhythmus zu herrschen hat; fürchterlich, wenn sie »Nuancen« erfinden, die gar nichts mit dem Lied und alles mit ihrer Eitelkeit zu tun haben. Ein guter Text ist kein Sprungbrett. Es ist nicht wahr, dass diese uns erst zum Leben verhelfen – sie töten.

Wenn sie wissen wollen, wie man so etwas zu machen hat, dann mögen sie sich Columbia 4942 vordrehen lassen – wie da die Dame Tucker in den Refrain »Virginia« steigt, das läßt einem das Herz höher schlagen. Die kanns, die hats verstanden. Aber dazu muß man freilich eine Persönlichkeit sein, und die ist nicht jedem gegeben, der hohe Gagen bekommt.

Nimmt man, abgesehen von der grenzenlosen Unzuverlässigkeit der Direktoren, hinzu, dass es keinen gebildeten Tyrannen des Cabarets gibt, so hat man jenen Tiefstand, den wir alle beklagen. So dringt kaum ein Lied in die Tiefe, keines von Wert geht in die Breite – alles ist auf den Ausruf des Rechtsanwalts im Smoking: »Faabelhaft!« angelegt –: wild gewordene Provinz, darin der Prominente seinem Affen Zucker gibt. Es ist kein Zufall, wie die besten Autoren der lustigen Gattung, Friedrich Hollaender und Marcellus Schiffer, ihre Texte durchsetzen – sicherlich oft gegen den Schauspieler. Wie man ja bei Spitzenleistungen besser tut, nicht auf den Fachmann zu hören; so sind auch im Film die Caligaris aller Arten gegen den Widerspruch der Kommissionäre durchgegangen. Denn hätte man auf sie gehört, so ständen wir heute noch bei »Donauweibchen« und »Ein Bursch am Rhein«.

In der Kunst drängt sich der Kommissionär viel zu sehr hervor, der längst nicht mehr mit der Rolle des Mittlers zufrieden ist – Regisseure, Kunsthändler und sogar gänzlich unproduktive Vermittler werden maßlos überschätzt.

Die schlimmste Zensur für unsereinen sitzt nicht in den Ministerien, sondern in größenwahnsinnig gewordenen Mimen, die, überzahlt, nur das durchgehen lassen, was sie begreifen. Und das ist nicht viel.

Junger Reinhardt des Cabarets – wo bist du –?

Peter Panter
Die Weltbühne, 11.12.1928, Nr. 50, S. 892.