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Caput Nili

Afrika-Bücher sind gewöhnlich etwas höchst Schaudervolles.

Denn entweder sind sie von guten Fachleuten geschrieben und dann meist so langweilig, dass sie der, der nicht drüben gewesen ist, überhaupt nicht verdauen kann, oder sie stammen von Schmöcken, die sich im Schmuck ihres Tropenhelms unendlich wichtig vorkommen, mehr Löwen schießen, als guttut, und den schwarz-weiß-roten Laden noch ärger blamierten als seine bestallten Vertreter. Nein, ich kann mich mit den üblichen »Reisebeschreibungen«, die von vielen Leuten so verschlungen werden, nicht befreunden, weil mir der Kopf des – zum Glück oft mitfotografierten – Autors selten gefällt. Und sein Kopf ist der Spiegel, und wenn der nicht blitzblank ist, dann braucht man wohl nicht hineinzusehen.

Aber dieses hier ist doch etwas andres. Dieses hier: das ist »Caput Nili«, eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils von Richardt Kandt (bei Dietrich Reimer in Berlin).

Der Verfasser war Arzt – er fiel im Kriege – und ist in den Jahren 1897 bis 1902 zu dem Quellengebiet des Nils vorgedrungen. Über die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Reise mögen sich andre äußern – er stellt sie in seinem Werk nicht in den Vordergrund. Aber was hat dieser Mann nicht alles gesehen –!

Er ist so gereist, wie man wirklich reisen soll: er hat seine Heimat zwar für sich und in sich mitgebracht, aber er verglich nicht, sondern er erlebte: Afrika.

Erlaßt mir, aufzuzählen, was er alles nicht tut: wie er nicht als Regierungsassessor Afrika in Kompetenzen aufteilt, wie er nicht als wildgewordener Tropenoffizier in Negernhintern tritt – Vajiß die Peitsche nicht –, und wie er nicht Feuilletons erlebt. Er reist und sieht.

Und erzählt. Und das ist so sauber und männlich, dass man nur wünschen kann, Deutschland hätte viele solcher wirklichen Männer. Er beschäftigt sich mit den Negern, er sucht sie zu verstehen, aus sich selbst heraus zu verstehen – und frißt nicht morgendlich dreie zum Frühstück, wie der weiland Peters, und missioniert nicht an ihnen herum, wie irgendeine protestantische Tränensuse –, er steht einfach zu ihnen wie ein Mensch zum andern und bejaht sie und verneint sie, wo sie eben zu bejahen und zu verneinen sind. Und die Kapitel, zum Beispiel, über das Liebesleben des Negers sind so sachlich und gut, dass man sie heute, da dergleichen bei uns irrsinnig überschätzt wird, mit doppelter Freude liest. Landschaftsschilderungen sind in dem Buche, die durch ihre Anspruchslosigkeit eindringlicher wirken als schlechte Poesie, und alle Mensch-Beziehungen des Verfassers sind rein und blank. Im zweiten Band – am Anfang des achtzehnten Briefs – ist eine ganz merkwürdige Stelle, die der Leser des Buches sehr aufmerksam ansehen wird: ein fast antiker Glaube an eine Art Unverletzlichkeit eines Unglücksboten. Und wie liebevoll sich Kandt in die Korbhütten des Negers versenkt hat –: das müßt ihr selbst lesen.

Alles in allem: nicht das Buch eines großen Forschers, auch nicht das eines Fachmannes, auch nicht das eines alten Afrikaners oder das eines verkleideten Schriftstellers – aber das eines Menschen.

Peter Panter
Die Weltbühne, 27.05.1920, Nr. 22, S. 637.