§ 89. Die Affektionen der Attribute und die Wirkungsweise Gottes


Gottes Wesen ausdrückende Bestimmungen oder Attribute sind also Denken und Ausdehnung, in denen alle Dinge begriffen sind. Alle besondere Dinge sind daher nichts als Affektionen der Attribute Gottes oder Arten und Weisen, welche die Attribute Gottes auf eine bestimmte Weise ausdrücken. (»Eth.«, P. I, Prop. 25, Coroll.)

Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein noch gedacht werden. Alles drückt auf eine bestimmte Weise Gottes Wesen aus. Das Vermögen oder die innere Naturkraft jedes Wesens ist die Kraft Gottes selbst. (Ebd., Pr. 15, Pr. 36, Dem., u. »Tract. Theol.pol.«, c. 6)

Gott ist daher in- (sich) bleibende (immanens), nicht die über- (sich auf andres) gehende (transeuns161)) Ursache der Dinge, und er ist nicht nur die Ursache von der Existenz der Dinge, sondern auch von ihrem Wesen. — Gott aber wirkt (oder ist tätig) allein nach den Gesetzen seiner Natur und von niemandem gezwungen, Gott allein ist daher freie Ursache, denn es kann nichts außer ihm sein, wovon er zum Handeln bestimmt oder gezwungen werden könnte. Aus Gott oder dem unendlichen Wesen ist Unendliches auf unendliche Weisen, d. i. alles notwendig gefolgt und folgt immer mit derselben Notwendigkeit aus ihm, ebenso wie aus der Natur des Dreieckes von Ewigkeit in Ewigkeit folgt, daß seine drei Winkel zweien Rechten gleich sind. Von Ewigkeit her war die Allmacht Gottes tätig und wird bis in Ewigkeit in derselben Tätigkeit beharren. (»Eth.«, P. I, Pr. 16-18 u. Pr. 25)

Der (wirkliche) Verstand, er mag nun endlich oder unendlich sein, sowie Wille, Begierde, Liebe usw. müssen nur auf die bewirkte Natur (oder Wesenheit), naturam naturatam, nicht auf die ursachliche oder ursprüngliche Natur, naturam naturantem, bezogen werden. Unter der natura naturans nämlich muß man das verstehen, was in sich ist oder durch sich gedacht wird, oder solche Attribute der Substanz, welche ewige und unendliche Wesenheit ausdrücken, d.h. Gott, inwiefern er als freie Ursache betrachtet wird; unter der bewirkten Natur aber alles, was aus der Notwendigkeit der Natur Gottes oder eines seiner Attribute folgt, d.h. alle Arten und Weisen (oder Beschaffenheiten) der Attribute Gottes, inwiefern sie als Dinge betrachtet werden, welche in Gott sind und ohne Gott nicht sein noch gedacht werden können. Zur natura naturans kann nun aber der Verstand nicht gerechnet werden, denn unter Verstand verstehen wir, wie von selbst erhellt, nicht das absolute Denken, sondern nur eine bestimmte Art und Weise des Denkens, welche als eine Art und Weise von andern Arten und Weisen wie Liebe, Begierde usw. unterschieden ist und daher (Def. 5) durch das absolute Denken muß begriffen werden, nämlich (Lehrs. 15 u. Def. 6) durch ein Attribut Gottes, welches die ewige und unendliche Wesenheit des Denkens ausdrückt, so begriffen oder gedacht werden muß, daß sie ohne dasselbe weder sein noch gedacht werden kann, und muß daher nur auf die entstandene oder bewirkte Natur bezogen werden. (Pr. 29, Schol., Pr. 31)

Der Wille kann nicht eine freie Ursache, sondern nur eine notwendige oder gezwungene genannt werden. Denn der Wille ist wie der Verstand nur eine bestimmte Art des Denkens; und es kann daher, da alles Einzelne nur durch Einzelnes, alles Bestimmte nur durch Bestimmtes bestimmt wird (Pr. 28), kein Willensakt existieren oder zum Wirken bestimmt werden, wenn er nicht von einer andern Ursache bestimmt wird, diese wieder von einer andern und so fort bis ins Unendliche. Der Wille kann also nur eine notwendige, d. i. bestimmte oder gezwungne Ursache genannt werden, nicht aber eine freie. Gott handelt darum nicht aus Willensfreiheit, und der Wille gehört nicht zu ihm. Wille und Verstand verhalten sich nur so zum Wesen Gottes wie Bewegung und Ruhe und überhaupt alles, was aus der Notwendigkeit der göttlichen Wesenheit folgt. Wenn Verstand und Wille zum ewigen Wesen Gottes gehörten, so müßte man wenigstens etwas ganz andres unter diesen beiden Attributen verstehen, als man gewöhnlich darunter versteht. Denn zwischen dem Verstand und Willen Gottes und unserm Verstand und Willen müßte ein himmelweiter Abstand stattfinden, sie könnten nichts gemein haben als den bloßen Namen, gleich wie das Himmelsgestirn des Hundes und der Hund, das bellende Tier, nichts als den Namen miteinander gemein haben. (Pr. 32 u. 17, Schol.)

Gott wirkt daher nicht aus Absicht oder irgendeines Zweckes wegen; denn das ewige und unendliche Wesen, nämlich Gott oder die Natur, wirkt aus derselben Notwendigkeit, aus der es ist. So notwendig nämlich, als seine Existenz, aus seinem Wesen folgt, ebenso notwendig folgt auch sein Wirken aus ihm. Die Ursache daher oder der Grund, warum Gott wirkt, und die Ursache oder der Grund, warum Gott existiert, ist einer und derselbe. Wie er also keines Zweckes wegen existiert, so wirkt er auch keines Zweckes wegen, sondern wie seine Existenz, so hat auch sein Wirken keinen Zweck und Grund. (»Eth.«, IV, Praef.)

Die Zweckursachen sind überhaupt nur menschliche Erfindungen oder Erdichtungen, denn alles quillt aus der ewigen Notwendigkeit und höchsten Vollkommenheit der Natur hervor. Die Annahme von Zwecken in der Natur kehrt daher die ganze Natur um. Denn das, was wahrhaft Ursache ist, macht sie zur Wirkung und umgekehrt, ferner das, was der Natur nach früher ist, zum Spätern, und endlich das, was das Höchste und Vollkommenste ist, zum Unvollkommensten. Denn die vortrefflichste Wirkung ist die, welche von Gott unmittelbar hervorgebracht wird; je mehr Mittelursachen zur Hervorbringung einer Sache erfordert werden, desto unvollkommener ist sie. Wenn nun aber die unmittelbar von Gott hervorgebrachten Dinge deswegen gemacht wären, damit Gott durch sie seinen Zweck erreichte, so müßten notwendig die letzten, weil ihretwegen die früheren hervorgebracht sind, die allervortrefflichsten sein. Endlich hebt jene Annahme die Vollkommenheit Gottes auf; denn wenn Gott eines Zweckes wegen wirkt, so begehrt er etwas, was er nicht hat. (»Eth.«, P. I, Pr. 36, Append.)

Die Dinge konnten auf keine andere Weise und in keiner andern Ordnung von Gott hervorgebracht werden, als sie hervorgebracht sind. Denn alle Dinge sind notwendig aus der Natur Gottes gefolgt. (»Eth.«, I, Pr. 33)

In der Wirklichkeit gibt es nichts Zufälliges, sondern alles ist von der Notwendigkeit des göttlichen Wesens bestimmt, auf eine gewisse Weise zu existieren und zu wirken. (Ebd., Pr. 29)

Wenn aber alles aus der Notwendigkeit des vollkommensten Wesens Gottes gefolgt ist, woher, kann man fragen, kommen so viele Unvollkommenheiten in der Natur wie Verderbnis der Dinge bis zum Gestank, ekelerregende Häßlichkeit, Wirrwarr aller Art, Übel, Sünde? Allein, die Vollkommenheit der Dinge ist allein nach ihrer Natur und ihrem Wesen zu schätzen, und deswegen sind die Dinge nicht vollkommner oder unvollkommner, weil sie die Sinne der Menschen ergötzen oder beleidigen, der menschlichen Natur nützlich oder zuwider sind. Die Menschen nennen nur aus einem Vorurteile die Dinge der Natur vollkommen oder unvollkommen. Nachdem nämlich die Menschen allgemeine Ideen zu bilden, Musterbilder von Gebäuden, Türmen und dergl. sich zu machen und die einen den andern vorzuziehen angefangen hatten, kam es natürlich dahin, daß sie das vollkommen nannten, was mit ihrer allgemeinen Idee übereinstimmte, und das dagegen unvollkommen, was mit dem Modell, das sie in ihrem Kopfe entworfen hatten, nicht übereinstimmte, wenn es gleich im Sinne des Baumeisters ganz vollendet sein mochte. Aus demselben Grunde nannten sie nun auch die Dinge der Natur vollkommen oder unvollkommen; denn auch von ihnen wie von den Werken der Kunst machen sich die Menschen allgemeine Ideen, die sie gleichsam für die Modelle oder Urbilder der Dinge halten und die nach ihrer Meinung selbst die Natur sich zum Muster nimmt. Finden sie daher etwas in der Natur, was nicht mit dem Bilde übereinstimmt, das sie sich davon gemacht haben, so glauben sie, die Natur habe einen Fehler gemacht und es in einem unvollendeten Zustande gelassen. Die Fehler und Unvollkommenheiten der Natur sind daher menschliche Erdichtungen. Vollkommenheit und Unvollkommenheit sind in der Tat nichts weiter als gewisse Denkweisen, nämlich Begriffe, die wir aus der Vergleichung der Individuen derselben Art oder Gattung untereinander bilden; daher auch dasselbe zu verstehen ist unter Realität und Vollkommenheit. Denn wir sind gewohnt, alle Individuen der Natur auf eine Gattung, welche die allgemeinste heißt, zurückzuführen, d. i. auf den Begriff des Wesens, der sich schlechthin auf alle Individuen der Natur erstreckt. Inwiefern wir daher die Individuen der Natur auf diesen Gattungsbegriff zurückführen und untereinander vergleichen und bemerken, daß die einen mehr Realität oder Wesenheit haben als die andern, nennen wir die einen vollkommner als die andern, und inwiefern wir ihnen Prädikate beilegen, die Negation enthalten, wie Grenze, Unvermögen, nennen wir sie unvollkommen, weil sie unsern Geist nicht auf dieselbe Weise affizieren als die Dinge, die wir vollkommen nennen, aber nicht deswegen, weil ihnen etwas, was zu ihnen gehört, fehlt oder die Natur einen Fehler gemacht hat. Denn nichts gehört zur Natur eines Wesens, außer was aus der Notwendigkeit der Natur seiner Ursache folgt, und alles geschieht notwendig, was aus der notwendigen Natur der wirkenden Ursache folgt. Wie aber die Unvollkommenheit nichts Reelles in der Natur ist, so ist auch das Böse, der Irrtum, die Sünde als Sünde nichts Positives, was Wesen ausdrückt, Gott daher nicht ihre Ursache; denn er ist nur die Ursache von dem, was Wesen ausdrückt. Alle Beraubung, alle Privation ist aber nichts Positives, sie ist nur etwas in Beziehung auf uns, aber nicht auf Gott, sie ist nur eine endliche Vorstellungsart, ein Begriff, den wir uns aus der Vergleichung der Dinge untereinander machen. (»Epist.« 36, 34, 32, 25; »Eth.«, P. I, Pr. 36, App., u. P. IV, Praef.)

 

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161) So, nicht »vorübergehend«, wie es früher gedankenloserweise hieß, muß transeuns übersetzt werden, wie Sigwart in der zitierten Schrift, S. 61 und 242 bemerkt.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 06:15:19 •
Seite zuletzt aktualisiert: 07.09.2005 
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