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Lebensverjüngungskunst

Lebensverjüngungskunst. Eine für die gesamte gebildete Lesewelt, nicht bloß für Ärzte, geschriebene, höchst lehrreiche Schrift, deren Hauptzweck die Gesundheitslehre und Diätetik ist, hat Dr. C. H. Schultz in Berlin, der geistvolle Forscher und Verfasser der wichtigen Schrift über die Zirkulation des Blutes (von 1836), jüngst im Druck erscheinen lassen. Sie führt den Titel: „Über die Verjüngung des menschlichen Lebens und die Mittel und Wege zu ihrer Kultur (Berlin 1842), und verdient die ausführliche Besprechung, welche A. Crailsheim ihr in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik (Januar 1843. Nr. 1 bis 8) hat zu Teil werden lassen. Auch für die Volksmedizin ist der Gegenstand als ein neuer und wenig bekannter zu wichtig, um mit Stillschweigen übergangen zu werden. „Gesundheit und kräftiges Leben“ — sagt Schultz — „werden weder von Außen eingeflösst, noch durch Ersparnisse in der Konsumtion der Lebenskräfte wesentlich gefördert, sondern der Organismus erhält auch in dieser Beziehung sich selbst, und so kann Gesundheit und Jugendkraft nur sein eigenes Werk sein. Um also wahrhaft praktische Regeln zur Erhaltung dieser Güter auffinden zu können, muss zuerst die Selbsterhaltung, d. i. der Lebensprozess befragt werden.“ Hier hat Sch. in seiner Schrift recht viel Interessantes über die Grundzüge des Lebens, über Lebenserregung, über den Stoffwechsel im Organischen, über Lebensenergie u. s. f. mitgeteilt (s. Abschnitt 1 und 2), und dann über die Kultur der Verjüngung (Abschnitt 3) im Pflanzen- und Tierreich gesprochen. Verjüngung ist, nach ihm, die innere Metamorphose der organischen Substanz, wobei das Alte ausgeworfen und durch Neues ersetzt wird, die Erhaltung des Organismus durch beständige Erneuerung seiner Substanz, durch beständige Wiedererzeugung aus seiner eigenen Zerstörung (s. auch Luft, atmosphärische). Und ferner heißt es (S. 22): „Der Verjüngungsprozess bewirkt eine Wiedergeburt des Körpers, dessen Substanz sich dadurch immer erneuert, so dass nach gewissen Lebensperioden der Körper seine ganze Substanz verändert und in neue verwandelt hat, kein altes Stück mehr enthält, gleich dem Schiffe der Argonauten.“ Die alte chemische Ansicht und Lehre vom Stoffwechsel kann in unserer Zeit nicht mehr genügen, weil hier nur von formlosen Stoffen und chemischen Qualitäten die Rede ist. Daher zeigt auch Sch. in seiner Verjüngungslehre, dass die Lebenskräfte und Lebenseigenschaften sich niemals an den formlosen Stoff, sondern nur an den organisierten Formen ausbilden, während der chemische Stoff auch nur chemische Eigenschaften hat und niemals als solcher der Träger des organischen Lebens wird (s. §. 134).

"Das Blut als Mittelpunkt des gesamten bildenden Lebens ist auch die Grundlage aller Verjüngung im ganzen Körper. Das Blut ist eine lebendige, organische Substanz, der flüssige Leib! — Bei der Verjüngung des Blutes, bei der Bildung und Entbildung desselben spielen die Blutbläschen die Hauptrolle. Die Bildung der letzteren beginnt in dem unfertigen, venösen Blute, wird aber darauf im arteriellen, fertigen Blut in den Lungen vollendet; die Entbildung der Bläschen oder ihr Untergang als Auswurfsstoff geht im venösen Pfortaderblut vor sich und hat die Gallenbildung zur Folge“ (§. 27—39). Das Pfortaderblut hat nur eine geringe Lebenserregung, beherbergt daher leichter fremdartige Stoffe und gibt so dem Organismus Gelegenheit, sich vieler unverdauten Substanzen, welche bei der Digestion sich zufällig mit eingedrängt haben, in der Gallenabsonderung zu entledigen, noch ehe sie durch die Hohlader in den allgemeinen Blutstrom übergeführt, daselbst schädliche Reaktionen erregen könnten. So erklärt es sich, wie Opium und andere narkotische Stoffe heftiger in Klistieren, als durch den Mund genommen, wirken; denn auf jenem Wege kommen sie durch die Mastdarmvenen schnell in den allgemeinen Blutstrom, auf diesem zunächst nur in die Pfortader.

Die Kunst, sich in jedem Lebensalter zu verjüngen und so die Gesundheit zu erhalten, dadurch die Schönheit zu bewahren und das Leben zu verlängern, besteht in der richtigen, zeitgemässen Anwendung solcher Mittel, welche unser Blut verjüngen. Die vorzüglichsten Mittel dazu sind folgende:

1) Man sorge nicht allein für gesunde Nahrung, sondern auch für reine, frische Luft zum Atmen; denn nur allein die reine, frische, atmosphärische Luft vermag ein frisches, kräftiges Blut zu schaffen, indem dadurch die aus dem Speisesafte ins Blut getretenen Chyluskügelchen sich nur allein zu vollkommenen Blutbläschen bilden und keine Wiederbelebung des Blutes ohne Assimilation der Luft mittels der Lungen gedacht werden kann. Man gehe also täglich mehrere Stunden ins Freie, wo man durch Gehen, Reiten, Fahren, körperliche Arbeiten sich erfrischt und verjüngt (s. Luft).

2) Je einfacher wir im Essen und Trinken leben, desto besser bleibt unsere Verdauung, desto kräftiger sondert sich der feine Nahrungssaft, der Milchsaft ab, ohne welchen ein frisches, kräftiges Blut nicht wieder erzeugt oder unterhalten werden kann.

3) Ist unsere Verdauung überhaupt schwach, so esse man nur in kleinen Portionen, damit der Magen nicht belästigt werde, und vermeide besonders die starken Abendmahlzeiten. Hat man sich den Magen durch Überladung verdorben, so esse man wenig, faste selbst einen Tag, vermeide besonders allen Fleischgenuss; sonst bilden sich immer mehr unverdauliche, faulige Stoffe in den Verdauungsorganen, welche ins Blut gelangen, dasselbe teilweise entmischen, Krankheiten aller Art begünstigen und den steten Verjüngungsprozess im Blut hindern. Am besten ist’s, wenn man viel Zuckerwasser bei Indigestionen trinkt, und dabei sich viel im Freien bewegt, wodurch die Verdauung gestärkt wird.

4) Man trinke täglich drei bis sechs Maß frisch geschöpftes, reines Wasser, zumal des Morgens nüchtern, dann zwei Stunden nach dem Mittagsessen und Abends spät bis zum Schlafengehen, welche Zeiten die besten zum Wassertrinken sind, — und lasse es nie an gehöriger Körperbewegung fehlen. Das Wasser reinigt das Blut, indem es die Harn- und Hautfunktionen vermehrt, nicht allein von allen fremdartigen Stoffen, sondern es dient auch dazu, den Auswurf des Blutes, das verbrauchte Blut (Schnitz’s Blutmauser), so wie alle Unreinigkeiten, — im Magen und den Gedärmen, in den Nieren und der Harnblase durch die Leibesöffnung und durch die stärkere Urinabsonderung zu entfernen.

5) Das tägliche Wassertrinken befördert die so notwendige Gallenabsonderang in der Leber, wodurch es noch besonders den Abgang des Blutauswurfs oder der Blutschlacke, die die Blutverjüngung hemmt, betätigt. Wird aber dieser notwendige Abgang des unbraachbar gewordenen schwarzen Blutes nicht befördert, gerät es ins Stocken, so entstehen Verhärtungen in der Leber und Milz, Gelbsucht, Gicht, Hämorrhoiden, Steinplage und andere schlimme Leiden. Um diese za verhüten und ein hohes Alter za erreichen, sorge man daher noch

6) für gehörige Leibesöffnung, damit sowohl alle im Darmkanal sich befindende anreine Stoffe und schädliche Gasarten, als auch die Stoffe, welche durch die Galle aus dem Blute geschieden werden, nicht stocken und die genannten Krankheiten erregen, des Schlagflusses und vieler Arten von Krämpfen, die auch daraus entstehen können, nicht zu gedenken.— So finden wir gegenwärtig auf wissenschaftliche Weise gedeutet, was ältere Ärzte empirisch wussten, nämlich: dass wir im Mannesalter, wo jene Stockungen und Verjüngungshemmnisse im Blut so leicht stattfinden, durch Mittel, die auf die Leber und die Galle und so auf die Leihesöffnung wirken, alle drei bis fünf Tage, oder, wenn es nötig ist, öfterer genommen; z. B. durch etwas Aloe, Rhabarber, Cremortartari u. s.w. unsere Gesundheit erhalten und unser Leben verlängern können. Fast in allen sogenannten Lebenselixieren älterer Zeit findet man Rhabarber, Aloe, Zedoar, Gentian u. s. w. So z. B. in dem Elixier ad vitam longam des schwedischen Dr. Gernert, welcher Im 104. Jahre durch einen Sturz vom Pferde starb, dessen Grossvater 103, dessen Mutter 104 und sein Vater 112 Jahre alt geworden. Sie nahmen täglich einige Tropfen des Elixiers, dessen Bereitung ich oben angegeben habe (s. S. 168). — Ich kenne 80jährige gesunde Greise, welche dasselbe Elixier seit 40 Jahren wöchentlich ein- bis zweimal noch fortwährend gebrauchen.

7) Auch die sogenannten Frühlingskuren (s. oben S. 195) sind wichtige Mittel, das Leben im Mannesalter zu verjüngen; denn diese Kuren, in jedem Frühling drei bis fünf Wochen lang, nach Vorschrift des Arztes gebraucht, sind nicht allein zur Heilung, sondern auch zur Verhütung der Blut-, Schleim- und Gallenstockungen im Unterleibe (Infarkten) und der daher rührenden Gicht, Hämorrhoiden, Hypochondrie, Melancholie, Schwermut mit Lebensüberdruss (Taedium vitae) von der großesten Wichtigkeit. Die Anlage zu diesen Leiden, die für den Kranken, wie für dessen Umgebung so quälend und dabei so hartnäckig und langwierig sind, auch in den höhern Graden den Kranken nicht selten zum Irrenhause führen, erkennt der Arzt oft schon früh an den gewöhnlichen Zeichen einer schlechten Verdauung, eines sogenannten schwachen Magens. Diese sind: Druck in der Herzgrube, Aufblähungen des Leibes, viele Blähungen, nach oben und unten (Ructus — Flatus), Gefühl von Angst und Atemnot nach der Mahlzeit, Kolikschmerzen, unregelmäßige, bald zu sparsame, steinharte, bald zu reichliche, dünnflüssige Leibesöffnung, abwechselnd mit drei-, ja sechs- und mehrtägiger Verstopfung des Leibes. Gewöhnlich glauben solche Kranke, dass es in diesen Fällen hinreiche, Purgierpillen und sonstige Mittel zu nehmen, welche die Verstopfung des Darms entfernen; aber sie schaden sich dadurch noch mehr; denn das starke Purgieren ruiniert die Digestionsorgane immer mehr, und das ihnen so wohltätige Trinken von Molken, vielem frischen Wasser, von Kräutersäften u. s. w. scheuen sie aus Vortirteil und eingebildeter Furcht, indem sie glauben, dass es schwäche, und setzen es in der Regel (denn es macht anfangs Vapeurs, Druck in der Herzgrube, Übelkeit, Erbrechen und andere Beschwerden) nach ein- bis dreitägigem Gebrauch völlig aus (s. Wasser). Nun flüchten sie zu bitteren, sogenannten stärkenden Magentropfen, um die reizlosen Häute des Magens und der Gedärme vermeintlich zu stärken. Es scheint auch in den ersten Stunden wirklich, als wenn solche Tropfen recht gut bekämen, aber kaum sind sie einen halben Tag gebraucht, so vergeht die Esslust wieder, es stellen sich Blutwallungen, fliegende Hitze und Auftreibung des Leibes ein, wobei Angst und ein solches Gefühl von Schwäche in den Gliedern bemerkt wird, dass der Kranke sich kaum von der Stelle bewegen kann. Es ist daher eine falsche Ansicht, dass man durch Magentropfen und Purgiermittel gegen solche Unterleibsstockungen heilsam einwirken könne. Durch eine gute Diät, durch viele Bewegung im Freien, durch den täglichen Genuss von 10—20 Gläsern frischen Wassers, durch Vermeidung aller starken Mittagsmahlzeiten und der gänzlichen Enthaltung des warmen Abendessens kann man am besten jenen Stockungen vorbeugen und seine schlechte Verdauung verbessern. Aber zu solcher Diät und Lebensweise hat nicht Jedermann Lust, denn die Genüsse der Tafel werden leicht zur Gewohnheit. Bei den meisten anscheinend Gesunden bilden sich durch die mancherlei feindseligen Einflüsse, welchen man nicht immer ausweichen kann, oder welchen man sich durch fehlerhafte Körper-und Seelendiät freiwillig hingibt, nach und nach dergleichen Stockungen, welche, sich selbst überlassen, immer an Umfang gewinnen und entweder im Verlaufe der Zeit wesentliche Störungen für die Verrichtung der Eingeweide verursachen, und somit Krankheiten hervorbringen, oder andere zufällige fieberhafte, vielleicht von Witterungseinflüssen erzeugte Übelseinsformen durch ihr gleichzeitiges Vorhandensein gefährlich machen. — Frühes Aufstehen, mehrwöchentliche Enthaltung eines jeden warmen, erschlaffenden Getränkes am Morgen, Vermeidung aller leidenschaftlichen Aufregung, zu starker geistiger und körperlicher Anstrengungen, eine Diät, bei welcher alle geistige, erhitzende Genüsse, alle schwerverdauliche Speisen vermieden werden, regelmäßige, hinreichende Bewegung in freier Luft und der Genuss der herrlichen Natur reichen oft schon hin, die Stockungen in den verschiedenen Gebilden des Unterleibes zu beseitigen, welche die oft luxuriöse Lebensweise bei einer reich besetzten Tafel und bei zu geringer Körperbewegung im Herbst und Winter zurückgelassen hat (s. E. F. W. Streifs Gesundheitszeitung, 1829. Nr. 7).