Zum Hauptinhalt springen

Modifizierte Respiration

Respiration, modifizierte. Vor einigen Jahren machte ich in Pabst’s Allgem. medizinischen Zeitung (1833 Nr. 38) auf das modifizierte Atmen als neues Heilmittel gegen Gemütsbewegungen, Kopfweh u. s. w. aufmerksam. Da dasselbe ein unentgeltiches, stets und allenthalben zu habendes Hausmittel ist, so teile ich das Wichtigste aus jenem Aufsatz hier mit. — Es ist ausgemacht, dass wir im wachenden Zustande ein schnelleres oder langsameres Atmen, modifiziert durch die Akte der kürzern oder längern Inspirationen zu den Exspirationen, ganz in unserer Gewalt haben. Da nun das Atemholen überhaupt einen so bedeutenden Einfluss aufs Nervensystem hat, — da, wie Nasse (Meckel’s Archiv f. Physiol. Bd. 2. Heft 1) so schön dargetan, das Anspannen der intellektuellen Kräfte nicht ohne Rücksicht auf die Respiration ist, so dass Geistesanstrengungen ein langsameres, Gemütsbewegungen ein schnelleres Atmen erfordern; so kam ich auf den Gedanken, dass durch Willkür modifizierte Atmen als Heilmittel gegen verschiedene Krankheiten zu prüfen. Die Idee lag sehr nahe; denn es ist bekannt, wie wirksam das künstlich unterhaltene Atemholen mittelst eines Blasebalgs bei der Engbrüstigkeit, bei Erstickungsgefahr, beim Scheintode u. s. w. ist; auch schrieb schon Kant (s. Dessen kleine Schrift von der Macht des Gemüts, seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden) einen Artikel über die Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle, namentlich des Hustens, Schnupfens, Schluchzens u. s. w. durch den Vorsatz im Atemziehen. — Zu diesem Ende stellte ich an Anderen und an mir selbst mehrere Versuche an, welche meine Leser leicht nachprobieren können, und welche neben einigen anderen Beobachtungen folgende Resultate gaben:

1) Fühlt man nach anhaltender mehrstündiger Geistesanstrengung Eingenommenheit des Kopfes und Geistesabspannung; so wird dieses unangenehme Gefühl schnell dadurch gehoben, dass man in freier Luft oder bei geöffnetem Fenster im Zimmer 100 bis 200 schnelle Atemzüge mit besonders tiefer Inspiration tut, so dass auf die Minute 90 bis 100 In- und Exspirationen kommen.

2) Heftige exzitierende Gemütsbewegungen werden durch nichts so schnell gemildert, als durch ein recht langsames tiefes Atmen in freier Luft; zugleich muss der Gemütsbewegte sich setzen, oder, noch besser, sich horizontal legen, weil dann der Puls bekanntlich schnell langsam wird. Es ist ein Kunstgriff, einen durch Zorn oder Wut in Leidenschaft versetzten Menschen schneller zur Vernunft zu bringen, wenn man ihn, bevor man in seine Ideen eingeht, dahin bewegen kann, dass er zuvor Platz nimmt. Um richtiger zu treffen, schärfer zu sehen und ruhiger und richtiger zu stoßen, bedienen sich gute Billardspieler der Methode, vor jedem Stoss drei- bis viermal recht langsam zu atmen. Auch Stotternde reden besser, wenn sie zu Anfang des Redesatzes, kurz vor dem Auftreten in Gesellschaften, einige Mal tief und langsam Atem holen. — Bei allen Verstimmungen im Nervensystem mit Aufregung des Blutes ist ein anhaltendes, langsames Atmen in freier Luft höchst wohltätig, und es folgt darauf ein angenehmes Gefühl in der Brust, das sich bald über den ganzen Körper verbreitetet. So wie beim Aufhören eines heftigen Affekts und bei wieder zurückgekehrter Gemütsruhe sogleich die Respiration langsamer wird, eben so wird auch im Affekte das Gemüt sehr bald beruhigt, so bald man recht langsam zu atmen beginnt. Es gibt kein besseres Mittel, mit Leichtigkeit seine Affekte beherrschen zu lernen, als Respiratio tarda!

3) Einer jungen, sensiblen, an Starrsucht und Krämpfen leidenden Dame gab ich den Rat, bei dem ersten leisen Gefühle von der Annäherung der Anfälle in frischer Luft schnell zu atmen. Sie befolgte diesen Rat und hat dadurch, nach ihrer Versicherung, öfters die Anfälle teils ganz unterdrückt, teils die Dauer derselben bedeutend abgekürzt.

4) Von keiner Art menschlicher Tätigkeiten fällt es klarer in die Augen, dass ihre Ursache und ihr Gesetz im Menschen selbst liege, als von denen der Seele. Es gibt keine höhere Ordnung von Gesetzen, nach welcher die Psyche wirkt, sondern eine höhere Ordnung von Ideen, nach welcher ihr Wirken gerichtet ist. Da nun die verschiedene Art des Atemholens die verschiedenen periodischen Zustände des Geistes und Gemüts anzeigt, demnach in konstanter Beziehung zu letztern steht; so muss auch ein, jenen Zuständen entgegengesetztes, durch die Kraft des Willens verändertes Atmen den bedeutendsten Einfluss auf die Tätigkeit der Seele haben. Einer Frau, welche an allerlei Gesichtstäuschungen litt, gab ich den Rat, jedesmal, wenn sie dieselben sähe, das Fenster zu öffnen und zugleich 300mal so langsam, als möglich, zu atmen. Der Erfolg war günstig. Unreine, eingeschlossene Zimmerluft ist oft die alleinige Ursache jener sogenannten Geistererscheinungen und Spukgeschichten, welche nicht selten von alten, nicht bewohnten Schlössern erzählt werden. Jedem, der solche Gebäude untersuchen und den Kampf mit solchen Geistern bestehen will, rate ich, zuvor einige Stunden Zugluft zu machen und des Nachts nicht darin schlafend zuzubringen (s. Luft, atmosphärische).

5) Wer am halbseitigen Kopfschmerz leidet, gehe im Freien spazieren, und zwar sehr langsam, atme auch so langsam, als möglich. Wie abhängig die steigende und fallende Bewegung und das Atmen des Gehirns von der Respiration sei, ist aus der Physiologie hinreichend bekannt, so dass bei langsamer Respiration das Gehirn sich langsam, bei schneller schnell bewegt.

6) Der Schlaf ist bekanntlich eins der besten Mittel gegen Verstimmungen im Nervensystem. Menschen, die an periodischem Kopfschmerz, an Hysterie, an Kehlkrampf leiden, haben instinktmäßig Neigung, des Tages eine kurze Zeit zu schlafen. Selbst wenn dieser Schlaf nur wenige Minuten währt, so gibt er doch schon große Erleichterung; auch die meisten Epileptischen schlafen nach dem Anfall; wo kein Schlaf folgt, wo solche Kranke, wie durch einen elektrischen Schlag, der durch alle Glieder zuckt, aus dem Anfalle erwachen, finden wir längere Zeit Unbesinnlichkeit und größere Neigung zu Seelenstörungen, als bei solchen Kranken, die hinterher schlafen. Nur darf hier der Schlaf nicht über eine halbe Stunde währen, soll er nicht andere nachteilige Folgen hinterlassen.

7) Als ein probates Mittel gegen Schlaflosigkeit wird folgendes vom Herrn Gardner empfohlen: Man lege sich bequem auf die rechte Seite, fülle den Raum zwischen Kopf und Schulter genau durch ein Kissen aus, und hole bei verschlossenem Mund tief Atem. Darauf überlasse man die Lungen ihrer freien Tätigkeit, so dass das Atemholen weder beschleunigt wird noch langsamer, wie gewöhnlich geschieht, richte seine ganze Aufmerksamkeit auf das Atemholen und stelle sich vor, dass man die Luft in einem fortwährenden Strom aus der Nase kommen sieht. So wie einem dies gelingt, verfällt man in Schlaf. (S. The Lancet, 22. Octbr. 1842 p. 142.) (Vgl. auch den Artikel: Mittel, schlafmachende.)