Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
10. Chronischer Magenkatarrh ist ein außerordentlich viel vorkommendes Leiden, welches oft durch eigene Schuld entsteht. Die Ursachen sind gewöhnlich verkehrte Lebensweise und Diät (s. Seite 166). Das Übel kann jedoch auch infolge von Kreislaufstörungen bei Herz-, Lungen-, Leber- und Nierenkranken vorkommen und ist dann nicht leicht zu heilen.
Die Hauptsymptome sind: Mangel an Appetit, welcher sogar in Widerwillen gegen jede Nahrung übergehen kann, Druck und schweres Gefühl in der Magengegend, Übelkeit, bitterer oder fader Geschmack, übler Mundgeruch, belegte Zunge, saures Aufstoßen, Verstopfung, mit Durchfall abwechselnd. Bei langer Dauer der Krankheit magern die Kranken ab, werden übelgelaunt, hypochondrisch, klagen über Schwindel und Kopfschmerzen und verlieren die Lust zur Arbeit. Durch eine genaue ärztliche Untersuchung muß in allen langwierigen Fällen festgestellt werden, ob das Leiden ein selbständiger Magenkatarrh ist oder durch eine der obengenannten chronischen Krankheiten verursacht wird.
Die Behandlung ist schwierig, wenn der Patient nicht eine genau bestimmte Diät und geregelte Lebensweise befolgen will. Im allgemeinen sind für chronisch Magenkranke folgende Vorschriften beachtenswert: 1. die Magengegend darf nicht durch zu enge Kleidung gedrückt werden; 2. anhaltendes Gebücktsitzen ist schädlich; 3. die Magengegend muß warm gehalten werden; 4. kleinere Mahlzeiten, etwa 5 mal täglich, sind wenigen großen Mahlzeiten vorzuziehen; 5. langsam essen, tüchtig kauen, nicht zu viel essen und trinken; 6. vor den Hauptmahlzeiten ¼ Stunde ruhen; 7. während der Mahlzeiten nicht viel trinken; 8. alle schwerverdaulichen Speisen und jede Nahrung, von der man aus Erfahrung weiß, daß man sie nicht gut verträgt, müssen vermieden werden; 9. streng verboten sind: Alkohol, Kognak, Liköre, schwere Weine und Biere, starker Kaffee und Tee; das Rauchen und Kauen von Tabak; Senf, Pfeffer und scharfe Gewürze; fettes Fleisch; fette Wurst, fetter Fisch, z.B. Aal; ausgekochtes und gesalzenes Fleisch; hartgekochte und gebackene Eier; Käse; alle Gemüse und Obstsorten, welche viel Holzfaser enthalten, wie Oberkohlrabi, Kohl, rohe Äpfel, Nüsse; frisches und schweres Brot, Kuchen oder Torten, mit vielem Fett zubereitet; schwere Mehlspeisen und Pfannkuchen; alte sauren und zu scharf gesalzenen Speisen; 10. erlaubt sind alle oben nicht direkt verbotenen Speisen und Getränke, besonders aber: durchgesiebte Kartoffel-, Gemüse- und Brotsuppen; mageres, gebratenes Rind- und Kalbfleisch, Geflügel; zarte Gemüse; Kartoffelbrei, mit Milch zubereitet; Obstkompotte; Weißbrot, Grahambrot (wenn der Magen es vertragen kann, was nicht immer der Fall ist); rohe und weich gekochte Eier; Reis, Sago, Griesmehl, Maizena; rohe und gekochte Milch; Buttermilchsuppe, mit Weizenmehl zubereitet (letzteres ein besonders ausgezeichnetes Nahrungsmittel in ernsten und langwierigen Fällen). Zuweilen leistet eine streng durchgeführte Milchkur gute Dienste und in den meisten Fällen ist ein Prießnitzscher Umschlag um die Magengegend, welcher abends angelegt und nachts liegen bleibt, sehr zu empfehlen.
Homöopathische Heilmittel, welche in Betracht kommen, sind: Nux vom. 4 und Natr. muriat. 6 bei Verstopfung; Ipecac. 4, wenn Übelkeit oder Durchfall in den Vordergrund treten; Carbo veget. VI bei Aufstoßen und Ansammlung von Gasen im Magen; Bryon. 3 bei Neigung zu Gelbsucht; Arsen. alb. 5 bei Durst und Magenschmerzen; Natr. sulf. VI bei bitterem Geschmack; Natr. phosph. VI bei Magensäure und brennendem Gefühl im Magen; Lycop. VI bei dunklem, satzigem Urin und hartnäckiger Verstopfung; Sulfur VI als Zwischenmittel in langwierigen Fällen. Für die genaue Wahl dieser Mittel vergleiche man deren Charakteristik im 1. Abschnitt dieses Teiles.