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Zoologie

Die Physiologie, Anatomie und Morphologie der Pflanzen hat seit Linné — wie man so sagt — außerordentliche Fortschritte gemacht. Alles in allem hat man sein künstliches System ausgebaut, sich einem natürlichen System aber durchaus nicht genähert. Soll ich das wenige, was ich von diesen Fortschritten weiß, zusammenfassen, so muß ich sagen: Arbeitsteilung und die Hilfe des Mikroskops hat eine Menge Dinge beobachten lassen, die früher unbeobachtet geblieben waren; zu den tausend beschreibenden Worten Linnés sind viele andere getreten, aber auch ein neuer Linné, der freilich not täte, könnte nicht über eine neue künstliche, beschreibende Klassifikation hinausgelangen. Zuletzt ist auch Physiologie der Pflanzen nur Pflanzenbeschreibung. Der Fortschritt dürfte am Ende aller Enden darin bestehen, dass der alte Botaniker mit Hilfe der Adjektive der Umgangssprache beschrieb (mit den Worten für Farben, für Gerüche, für Ge-schmäcke usw.) und dass der Pflanzenphysiologe chemische Ausdrücke zu Hilfe nimmt, die vorläufig nur der Umgangssprache der Fachmänner angehören. Auch in der Botanik ist gegenwärtig das vorläufig letzte Wort der Erkenntnis diejenige Selbsttäuschung, die wir als die Hypothese des Darwinismus kennen. Die klassifikatorische Nomenklatur der Tiere vermehrt unsere Kenntnisse nicht mehr, als es die technischen Ausdrücke der Botanik tun. Es ist jedoch beachtenswert, dass die Spezies Mensch zu den Tieren gehört, dass also jeder Forscher seit der ältesten bis zur neuesten Zeit in seiner Menscheneigenschaft ein persönliches Interesse an der Zoologie nahm. Von Hause aus kennt der Mensch — soweit er sich selbst kennt — die Organe und die Physiologie des Tiers besser, als die Organe und die Physiologie der Pflanze. So trat er besser ausgerüstet an das Tierreich heran, welches übrigens in seinen größeren Arten wiederum schärfer die Aufmerksamkeit weckte, als die Pflanzenarten es zu tun vermochten. Löwe und Tiger unterscheiden sich auffallender als Buche und Eiche, Fisch und Vogel auffallender als Moos und Gras. Der Mensch ist ja das Maß und danach der Namengeber aller Dinge.1 Dem Maße liegt das Interesse zugrunde. Das Interesse an der eigenen Herkunft hat in neuester Zeit die Hypothese des Darwinismus verbreiten helfen; das Interesse am eigenen Leibe hat eine primitive Physiologie der Tiere schon in urältesten Zeiten entstehen lassen müssen. Die Geschlechtsorgane der Pflanzen z. B. wurden erst vor einigen hundert Jahren entdeckt;2 dass aber Menschen und viele Tiere lebendige Jungen gebären, dass andere Tiere Eier legen, aus denen sich Junge entwickeln, das ist sicherlich eine Beobachtung, so alt wie die Sprache. So ist es zu erklären, dass schon Aristoteles — ungenau und konfus natürlich — die Einteilungsgründe kennt, nach denen man noch heute die größeren und allgemein bekannten Tiere klassifiziert.

An den einzelnen Klassen der Tiere läßt sich beobachten — was mich zu weit führen würde —, wie die beschreibenden Adjektive, welche in der Pflanzenwelt erst durch Linné genügend definiert wurden, so zwar, dass sie in die Umgangssprache der Botaniker aufgenommen werden konnten, bezüglich der Tiere schon viel früher der Umgangssprache angehörten. Schon die Jäger und Fischer, die Fleischerknechte und Opferpriester, welche den Aristoteles bei seiner großen Kompilation unterstützten, waren auf die Zahl und Stellung der Zähne, auf Zahl und Stellung der Flossen, auf den inneren Bau, das heißt auf Herz, Lunge, Leber, Gedärme usw. aufmerksam geworden. Aber gerade durch die vielseitigen Einzelbeobachtungen, durch die Ahnung natürlicher Verwandtschaften wurde die Einführung zahlreicher Trivialnamen erleichtert, die Aufstellung einer allgemeinen Klassifikation erschwert, die für Menschenkenntnisse immer eine künstliche sein muß. Man möchte fast behaupten, dass das persönliche Interesse des Menschen an dem Tierreich, dem er selbst zugehört, die nüchterne tabellarische Benutzung ziffernmäßiger Einteilungsgründe erschwert. Die Pflanzen waren dem Menschen Dinge, Objekte, fremde Körper, an denen er gerade soweit Anteil nahm, als notwendig ist, um sie seinem Gedächtnisse einprägen zu können, um sich ihre Nomenklatur zu ordnen. Erst sehr spät erkannte der Mensch, dass auch die Pflanzen lebten. Die Tiere traten ihm sofort insofern als menschenähnliche Wesen entgegen, weil er ein ihm verwandtes Leben in ihnen sah und benannte. So drängte den Menschen sein verwandtschaftliches Interesse am Tierreich von Anfang an zur Physiologie. Die Klassifikation ist von der Botanik auf die Zoologie übertragen worden, die Physiologie von der Zoologie auf die Botanik. Alle Nomenklatur kann nur beschreiben. Die technischen Ausdrücke der Botanik mußten Naturbeschreibung bleiben. An den Tieren beobachtete der Mensch von jeher sogenannte freiwillige Bewegungen, das heißt Äußerungen, welche nach seinem Selbstbewußtsein mit einem Willen, mit einer Absicht, mit einem Zwecke zusammenhingen. Es war dem Menschen darum natürlich, den Organismus seines Körpers und so jeden tierischen Organismus lieber noch zu erklären als zu beschreiben. Die älteste Physiologie, so falsch und so lächerlich mitunter ihre Beobachtungen sind, sucht dennoch die Absichten der Natur zu ihren falschen Behauptungen. Aristoteles "weiß", warum das Gehirn blutleer ist, er "weiß", warum die eine Körperhälfte kälter ist als die andere. Und so tritt frühzeitig in der Geschichte der technischen Ausdrücke ein Begriff auf, den wir bis heute nicht los geworden sind: der Zweckbegriff. Will man diesen Begriff ernst nehmen, so ist er ein metaphysischer Begriff. Vom ersten Anfang an war die Physiologie, das heißt die Erklärung des Tierlebens metaphysisch, während die Naturbeschreibung der Mineralien und Pflanzen ursprünglich rein physisch war. Die Geschichte der technischen Ausdrücke der Physiologie ist ein ununterbrochener und unbewußter Versuch, den metaphysischen Zweck als eine physische Ursache zu verstehen. Der neueste und in unseren Augen glänzendste Versuch ist der Darwinismus.

Das Besondere an den technischen Ausdrücken der Physiologie besteht nun darin, dass in sehr vielen Fällen uralte Worte reiche und neue Bedeutung gewinnen, so wie die Beobachtung einer Funktion sich erweitert. Ich bin nicht ganz ehrlich, wenn ich das Wort Funktion gebrauche; denn ich meine eigentlich die Tätigkeiten bestimmter Körperteile, welche wiederum erst vorgestellt werden können, wenn wir statt Tätigkeiten Aufgaben sagen, wie denn im Verbum ein Zweck verborgen ist (III. 59). Da halten wir aber wieder an dem Flecke, von welchem aus Linné nicht weiter konnte, als er eingestand, den Charakter der Pflanzengruppen nicht zu kennen. Von dem Charakter eines tierischen Organismus hat man von jeher eine Ahnung gehabt. Von jeher empfand man es als einen notwendigen Gedanken, dass der tierische Organismus eine Einheit sei, das heißt, dass die Tätigkeit aller Organe einem gemeinsamen Zwecke diene, das heißt, dass den Organen Aufgaben zugewiesen seien. Meine Leser werden mir nachfühlen, dass ich unter den "Aufgaben" der Organe nicht viel Deutlicheres verstehen kann, als etwa die Griechen sich bei der Entstehungsgeschichte der Hyazinthe dachten. Hinter Aufgaben müssen Befehle stecken, also Götter; auch der Darwinismus ist mit den Aufgaben und Göttern nicht ganz fertig geworden, wie wir noch sehen werden.

Der Fortschritt in der physiologischen Erkenntnis kann also ebenfalls nur in der besseren Beobachtung oder Beschreibung bestehen. Die Griechen kannten selbstverständlich das Gehirn, die Muskeln, das Blut. Ihr Gebrauch dieser technischen Ausdrücke ist uns aber trotz der Handgreiflichkeit dieser Körper völlig unübersetzbar, weil sie die Tätigkeiten von Gehirn, Muskeln, Blut noch nicht beobachtet hatten. Ihnen erschienen zwar die Leber oder die Nieren und gar das Herz bereits als Organ. Das Blut aber war ihnen ein Stoff, vielleicht ein Produkt wie der Harn. Als nun (1628) Harvey den Kreislauf des Blutes entdeckte, blieb der Ausdruck Blut in der Sprache erhalten, aber er wurde plötzlich zur Bezeichnung eines Organs. Jede mikroskopische Untersuchung seit der Entdeckung des Kreislaufs hat nun diesen technischen Ausdruck verändert. Das Organ "Blut" wird heute in ebenso vielen Büchern beschrieben, als Aristoteles Worte brauchte; und wir halten die ausführliche Beschreibung nach der Gewohnheit unseres Denkens für eine Erklärung. 1 Die biblische Erzählung (Moses I. 2), dass Adam den Geschöpfen ihre Namen gegeben habe, erwähne ich nur, um die tollen orientalischen Legenden anknüpfen zu können, zu denen der kindliche Bericht sich ausgestaltet hat. Satan war zornig über den Vorrang des Menschen; er wollte sich vor dem Herrn an Klugheit mit dem Menschen messen. Doch Satan konnte den Tieren keine Namen geben; der Mensch konnte es. "Wie nun der Satan sah, dass der Herr den Menschen mit großer Weisheit segnete, erhub er ein Geschrei bis zum Himmel. Da frag ihn der Herr: ,Warum schreist du also?' Da erwiderte der Satan: ,Soll ich nicht schreien? Mich hast du von deiner Herrlichkeit erschaffen, und den Menschen schufest du von der Erde Staub; aber ihm gabst du Weisheit und Vernunft'." (Micha Josef bin Gorion: "Die Sagen der Juden" I. S. 256.) Nicht einmal die Engel wußten die Namen der Tiere; die Menschen mußten sie darin unterweisen. (Ebenda S. 342.)2: Der Embryo der Pflanzen wurde erst im 17. Jahrhundert auf Grund mikroskopischer Beobachtungen mit der Leibesfrucht der Tiere verglichen. Die erste Folge war, dass die Entdecker des pflanzlichen Embryos, nämlich Grew und Malpighi, die technischen Ausdrücke der Geburtshelfer auf die Teile der Pflanzenfrucht übertrugen und z. B. von dem Mutterkuchen, der Nabelschnur, dem Amnion sprachen und die Samenlappen mit dem Dotter der Vogeleier verglichen. Die Tatsache, dass bei den Pflanzen eine Befruchtung stattfand, war natürlich schon den Alten nicht ganz unbekannt. Jeder Gärtner mußte eine Ahnung davon haben. Aber das eigentliche Geschlechtsleben der Pflanzen blieb so unerforscht und lag dem christlichen Mittelalter so fern, dass wir einer Erwähnung der Pflanzengeschlechter zum erstenmal bei einem Schriftsteller des 15. Jahrhunderts begegnen, und zwar bei einem Dichter. Man glaubt Heinrieh Heine zu lesen, wenn man in einer lateinischen Dichtung des Spaniers Jovianus Pontanus von der Liebe zweier Dattelpalmen liest, die fünfzehn Meilen voneinander entfernt stehen. Sehr hübsch sagt der Dichter, die männliche Palme könne die weibliche erst befruchten, wenn beide einander erblicken, das heißt wenn sie an Höhe die übrigen Bäume überragen.