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Sprache und Industrie

Man glaube nicht, dass diese Heranziehung der banalsten Dinge unter der Würde der Wissenschaft sei. Für die Geschichte der Sprache ist der Bedeutungswandel der Worte von ungleich größerer Wichtigkeit als der Lautwandel, der doch nur untergeordnete Dienste für die Philologie leisten kann. Der Bedeutungswandel aber läßt sich an der Sprache der Technik und Industrie weit besser beobachten als an der abstrakten Sprache etwa der Philosophie. Die Gelehrten des Lautwandels wissen, ohne nach Gebühr mit Galgenhumor davon zu reden, dass aus jedem Laute eigentlich jeder andere Laut werden kann; so kann sich aber auch im Laufe der Entwicklung aus jeder Bedeutung jede andere Bedeutung herausbilden. Wenn wir in einem gelehrten Buche lesen: "Man macht aus dem Hypnotismus mehr Wesens, als dem Wesen dieser Erscheinung zukommt" —, so gehört einiges Sprachgefühl dazu, zu erkennen, dass in diesem Satze das Wort Wesen in fast entgegengesetzten Bedeutungen gebraucht wird. Einmal als äußeres Gerede, das anderemal als das Innere, das man eben nicht kennt. Auf dem Gebiete der Technik und Industrie jedoch geht ein unaufhörlicher Bedeutungswandel der Worte vor sich, der in der Mitte steht zwischen den sterbenden Worten, welche im Lebenskampfe der Sprache veraltet sind, und der Bildung neuer Worte für neue Dinge. Auf diesem Ungeheuern Felde des Bedeutungswandels nun kann man ganz deutlich beobachten, wie das Wort der Umgangssprache technische Bedeutung gewinnt und wie die neue technische Bedeutung das Bestreben hat, sich des Wortes der Umgangssprache zu bemächtigen. Und diese ganze mächtige Bewegung ist doch nur der Schatten der Wirklichkeit. Jeder Fabrikant, der in einem neuen Dinge einen neuen Wert zu erzeugen hofft, bringt etwas hervor, was vorher in der Welt der Wirklichkeit nicht oder nicht so da war. Innerhalb seines Interessenkreises erhält dieses neue Ding gewöhnlich einen technischen Namen. Kaufen die Leute ihm das Ding nicht ab, so bleibt es dabei. Dringt das neue Ding ins Publikum, so entsteht ein neues Wort der Umgangssprache. Hat der Fabrikant vergessen, einen technischen Ausdruck zu erfinden, so wird sein Eigenname in die Umgangssprache eingeführt. Der Maler Daguerre erfand die Lichtbilder. Als alle Welt sich nach diesem Verfahren photographieren ließ, gab es das allgemein verständliche Wort Daguerreotypie; seine Erfindung wurde überholt, das Wort veraltete und wurde wieder zu einem technischen Ausdruck der Geschichte der Photographie. Oder man denke an das Auersche Glühlicht. In der Geschichte des Beleuchtungswesens kann man diese Erfahrung um so häufiger machen, als die beste und wohlfeilste Beleuchtungsart das neue Ding und seinen technischen Ausdruck sehr rasch zum Gemeingut machen kann. In meiner Jugend war mir der Ausdruck Millykerze so geläufig wie heute einem Großstadtkinde das Wort Gasflamme. Es war die praktisch gearbeitete Stearinkerze, die man nach ihrem Fabrikanten benannte. Es ist wirklich so: alle Geistesanstrengung und aufreibende Arbeit aller Erfinder und Fabrikanten ist nur darauf gerichtet, die technischen Worte ihres Interessenkreises zu Worten der Umgangssprache zu machen. Denn erst wenn die Eigenschaften des neuen Dings sich dem Gedächtnis einer großen Mengeeingeprägt haben, erst dann ist der Absatz des neuen Dings gesichert. Die Aufnahme des Worts in die Umgangssprache ist aber nicht nur ein Zeichen, sondern auch ein Mittel des Erfolges.