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§ 41. Die echte phänomenologische Selbstauslegung des „ego cogito“ als „transzendentaler Idealismus“

Was hat die transzendentale Selbstbesinnung der Phänomenologie dazu zu sagen? Nichts minderes, als daß dieses ganze Problem widersinnig ist, ein Widersinn, in den Descartes selbst verfallen mußte, weil er den echten Sinn seiner transzendentalen epoché und der Reduktion auf das reine Ego verfehlte. Aber noch viel gröber, eben durch völlige Mißachtung der Cartesianischen epoché ist die gewöhnliche nachcartesianische Denkhaltung. Wir fragen, wer ist denn das Ich, das solche transzendentalen Fragen rechtmäßig stellen kann? Kann ich das als natürlicher Mensch, und kann ich das als ernstlich fragen, und zwar transzendental: Wie komme ich aus meiner Bewußtseinsinsel heraus, wie kann, was in meinem Bewußtsein als Evidenzerlebnis auftritt, objektive Bedeutung gewinnen? Sowie ich mich als natürlicher Mensch apperzipiere, habe ich ja schon im voraus die Raumwelt apperzipiert, mich als im Raume aufgefaßt, in dem ich also ein Außer-mir habe. Ist also nicht die Gültigkeit der Weltapperzeption schon in der Fragestellung vorausgesetzt worden, in den Sinn der Frage eingegangen, während doch ihre Beantwortung erst das Recht der objektiven Geltung überhaupt ergeben sollte? Es bedarf offenbar der bewußten Ausführung der phänomenologischen Reduktion, um dasjenige Ich und Bewußtseinsleben zu gewinnen, von dem transzendentale Fragen als Fragen der Möglichkeit transzendenter Erkenntnis zu stellen sind. Sowie man aber, statt flüchtig eine phänomenologische epoché zu vollziehen, vielmehr darangeht, in systematischer Selbstbesinnung, und als reines Ego, sein gesamtes Bewußtseinsfeld enthüllen zu wollen, erkennt man, daß alles für es Seiende sich in ihm selbst Konstituierendes ist, ferner daß jede Seinsart, darunter jede als in irgendeinem Sinne transzendent charakterisierte, ihre besondere Konstitution hat. Transzendenz in jeder Form ist ein innerhalb des Ego sich konstituierender Seinssinn. Jeder erdenkliche Sinn, jedes erdenkliche Sein, ob es immanent oder transzendent heißt, fällt in den Bereich der transzendentalen Subjektivität als der Sinn und Sein konstituierenden. Das Universum wahren Seins fassen zu wollen als etwas, das außerhalb des Universums möglichen Bewußtseins, möglicher Erkenntnis, möglicher Evidenz steht, beides bloß äußerlich durch ein starres Gesetz aufeinander bezogen, ist unsinnig. Wesensmäßig gehört beides zusammen, und wesensmäßig Zusammengehöriges ist auch konkret eins, eins in der einzigen absoluten Konkretion der transzendentalen Subjektivität. Ist sie das Universum möglichen Sinnes, so ist ein Außerhalb dann eben Unsinn. Aber selbst jeder Unsinn ist ein Modus des Sinnes und hat seine Unsinnigkeit in der Einsehbarkeit. Das aber gilt nicht bloß für das faktische Ego und das, was ihm faktisch aus eigener Konstitution zugänglich ist als für es Seiendes, und darin beschlossen eine als für es seiende offene Vielheit anderer Ego's und ihrer konstituierenden Leistungen. Genauer ausgeführt: Wenn in mir, dem transzendentalen Ego, wie faktisch, andere Ego's transzendental konstituiert sind und, als von der mir damit konstitutiv erwachsenen transzendentalen Intersubjektivität ihrerseits konstituiert, eine allgemeinsame objektive Welt, so gilt alles vorhin Gesagte nicht bloß für mein faktisches Ego und für diese faktische in der meinen Sinn und Seinsgeltung gewinnende Intersubjektivität und Welt. Die in meinem Ego sich vollziehende phänomenologische Selbstauslegung, die aller seiner Konstitutionen und für es seienden Gegenständlichkeiten, nahm ja notwendig die methodische Gestalt einer apriorischen an, einer die Fakta in das entsprechende Universum purer (eidetischer) Möglichkeiten einordnenden Selbstauslegung. Sie betrifft also mein faktisches Ego nur, insofern es eine der reinen Möglichkeiten ist, die aus ihm durch freies Umdenken (Umfingieren) seiner selbst zu gewinnen sind, sie gilt somit als eidetische für das Universum dieser meiner Möglichkeiten als Ego überhaupt, meiner Möglichkeiten eines beliebigen Andersseins; demnach also auch für jede auf diese meine Möglichkeiten in korrelativer Abwandlung bezogene mögliche Intersubjektivität und wieder in ihr als intersubjektiv konstituiert zu denkende Welt. Echte Erkenntnistheorie ist danach allein sinnvoll als transzendental-phänomenologische, die, statt mit widersinnigen Schlüssen von einer vermeinten Immanenz auf eine vermeinte Transzendenz, die irgendwelcher angeblich prinzipiell unerkennbarer „Dinge an sich“, es ausschließlich zu tun hat mit der systematischen Aufklärung der Erkenntnisleistung, in der sie durch und durch verständlich werden müssen als intentionale Leistung. Eben damit wird jede Art Seiendes selbst, reales und ideales, verständlich als eben in dieser Leistung konstituiertes Gebilde der transzendentalen Subjektivität. Diese Art Verständlichkeit ist die höchste erdenkliche Form der Rationalität. Alle verkehrten Seinsinterpretationen stammen aus der naiven Blindheit für die den Seinssinn mitbestimmenden Horizonte und für die zugehörigen Aufgaben der Enthüllung der impliziten Intentionalität. Werden sie erschaut und ergriffen, so ergibt sich als Konsequenz eine universale Phänomenologie als eine in steter Evidenz und dabei in Konkretion durchgeführte Selbstauslegung des Ego. Genauer gesprochen, und fürs erste: als eine Selbstauslegung im prägnanten Sinne, die systematisch zeigt, wie das Ego sich als in sich und für sich Seiendes eines eigenen Wesens konstituiert; und dann zweitens als eine Selbstauslegung im erweiterten Sinne, die von da aus zeigt, wie das Ego in sich vermöge dieses Eigenwesens auch Anderes, Objektives konstituiert, und so überhaupt alles, was für es je im Ich als Nicht-Ich Seinsgeltung hat.

In dieser systematischen Konkretion durchgeführt ist die Phänomenologie eo ipso transzendentaler Idealismus, obschon in einem grundwesentlich neuen Sinne; nicht in dem eines psychologischen Idealismus, nicht eines Idealismus, der aus sinnlosen sensuellen Daten eine sinnvolle Welt ableiten will. Nicht ist es ein Kantianischer Idealismus, der mindestens als Grenzbegriff die Möglichkeit einer Welt von Dingen an sich glaubt offen halten zu können — sondern ein Idealismus, der nichts weiter ist als in Form systematisch egologischer Wissenschaft konsequent durchgeführte Selbstauslegung meines Ego als Subjektes jeder möglichen Erkenntnis, und zwar in Hinsicht auf jeden Sinn von Seiendem, mit dem es für mich, das Ego, eben soll Sinn haben können. Dieser Idealismus ist nicht ein Gebilde spielerischer Argumentationen, im dialektischen Streit mit Realismen als Siegespreis zu gewinnen. Es ist die an jedem mir, dem Ego, je erdenklichen Typus von Seiendem, und speziell an der (mir durch Erfahrung wirklich vorgegebenen) Transzendenz der Natur, der Kultur, der Welt überhaupt, in wirklicher Arbeit durchgeführte Sinnesauslegung. Dasselbe aber sagt: systematische Enthüllung der konstituierenden Intentionalität selbst. Der Erweis dieses Idealismus ist also die Phänomenologie selbst. Nur wer den tiefsten Sinn der intentionalen Methode oder den der transzendentalen Reduktion oder gar beider mißversteht, kann Phänomenologie und transzendentalen Idealismus trennen wollen: wer das eine Mißverständnis begeht, ist nicht einmal so weit, das eigentümliche Wesen einer echten intentionalen Psychologie (und darin beschlossen einer intentional-psychologischen Erkenntnislehre) begriffen zu haben sowie ihren Beruf, das Grund- und Kernstück einer wahrhaft wissenschaftlichen Psychologie zu werden. Wer aber Sinn und Leistung der transzendental-phänomenologischen Reduktion verkennt, der steht noch im transzendentalen Psychologismus, er vermengt die aus der Wesensmöglichkeit der Einstellungsänderung hervorgehende Parallele: intentionale Psychologie und transzendentale Phänomenologie, er verfällt dem Widersinn einer Transzendentalphilosophie, die auf dem natürlichen Boden stehen bleibt.

Unsere Meditationen sind so weit gediehen, daß sie schon den notwendigen Stil einer Philosophie als einer transzendental-phänomenologischen zur Evidenz gebracht haben, und korrelativ für das Universum des für uns in Wirklichkeit und Möglichkeit Seienden den Stil seiner einzig möglichen Sinnesinterpretation, nämlich als transzendental-phänomenologischen Idealismus. Zu dieser Evidenz gehört auch, daß sich die durch unsere allgemeinste Vorzeichnung eröffnende Unendlichkeit der Arbeit — daß die Selbstauslegung meiner, des meditierenden Ego, nach Konstitution und Konstituiertem — als Kette von einzelnen Meditationen dem universalen Rahmen einer einheitlichen, synthetisch immer weiterzuführenden einfügt.

Dürfen wir damit abschließen und alles weitere der Einzelausführung überlassen? Ist die gewonnene Evidenz mit ihrem vorzeichnenden Zielsinn schon zureichend, ist die Vorzeichnung hinreichend weit geführt, uns mit jenem großen Glauben an eine in dieser meditierenden Methode der Selbstauslegung hervorgehende Philosophie zu erfüllen — so daß wir sie in unseren Lebenswillen aufnehmen und in freudiger Sicherheit an die Arbeit gehen könnten? Wir haben es natürlich nicht vermeiden können, schon in flüchtigem Hinblick auf das in uns, je in mir, dem meditierenden Ego, als Welt, als Seinsuniversum überhaupt Konstituierte der Anderen zu gedenken und ihrer Konstitutionen. Mittels der in meinem eigenen Selbst konstituierten fremden Konstitutionen konstituiert sich für mich (das erwähnten wir schon) die für uns alle gemeinsame Welt. Dazu gehört natürlich auch die Konstitution einer Philosophie, als einer uns allen als miteinander Meditierenden gemeinsamen — der Idee nach einer einzigen philosophia perennis. Aber wird nun unsere Evidenz — die einer phänomenologischen Philosophie und eines phänomenologischen Idealismus als der einzigen Möglichkeit — standhalten, diese Evidenz, die uns so lange völlig klar und sicher war, als wir, dem Zuge unserer meditierenden Intuitionen hingegeben, die darin zutage tretenden Wesensnotwendigkeiten aussprachen? Wird sie nicht schwankend werden, da wir die methodische Vorzeichnung nicht so weit geführt haben, daß die (wir fühlen es alle, sehr befremdliche) Möglichkeit und die genauere Art des Für-uns-Seins der Anderen nicht dem Wesensallgemeinen nach verständlich und die auf sie bezügliche Problematik nicht ausgelegt ist? Sollen unsere Cartesianischen Meditationen für uns als werdende Philosophen die richtige Einleitung in eine Philosophie und der ihre Wirklichkeit als notwendig praktische Idee begründende Anfang sein (ein Anfang, zu dem also auch die Evidenz eines als ideale Notwendigkeit ‹zu› konstituierenden Weges für Unendlichkeit ausführender Arbeit gehört), so müssen unsere Meditationen selbst so weit führen, daß sie nach dieser Hinsicht nach Ziel und Weg keine Befremdlichkeiten offen lassen. Sie müssen ganz, wie die alten Cartesianischen es wollten, die zur Zweckidee der Philosophie gehörige universale Problematik in restloser Verständlichkeit enthüllt haben (also für uns die konstitutive); und darin liegt, sie müssen in einer größten und doch streng umgriffenen Allgemeinheit den wahren universalen Sinn des Seienden überhaupt und seiner universalen Strukturen schon heraus- gestellt haben — in einer Allgemeinheit, die ausführende ontologische Arbeit in Form einer konkret verbundenen phänomenologischen Philosophie erst möglich macht, so wie dann in weiterer Folge eine philosophische Tatsachenwissenschaft, denn Seiendes ist für die Philosophie und so für die Korrelationsforschung der Phänomenologie eine praktische Idee, die der Unendlichkeit theoretisch bestimmender Arbeit.