[Das Volkshochschulwesen als Zentrum aller auf Hebung der Volksbildung gerichteten Bestrebungen. Schaffung von Beratungsstellen für die Volkshochschulen in Preußen. Keine Übereinstimmung der Ansichten über den Zweck der Volkshochschulen und deren Einrichtungen. Praktische und ideelle Aufgaben dieser Anstalten. Zwei Typen derselben: Volkshochschulen ohne und mit Internat. Gewaltiges Anwachsen der ersteren in jüngster Zeit. Seminaristischer Unterricht an denselben. Meine Ansicht über die Aufgaben der Volkshochschulen und den Unterrichtsbetrieb an denselben.]


Im Zentrum aller auf Hebung der Volksbildung gerichteten Bestrebungen und Veranstaltungen steht bei uns gegenwärtig das Volkshochschulwesen, das in Deutschland erheblich später als in den skandinavischen Ländern zur Entwicklung gelangte. In Dänemark wurde bereits 1844 die erste Volkshochschule gegründet1), während man in Deutschland erst in den neunziger Jahren mit Erschaffung von Volkshochschulen begann. Diese ging lediglich von Vereinen und einzelnen gemeinnützig gesinnten Personen aus, während in neuerer Zeit auch manche Kommunen es für ihre Aufgabe hielten, an der Hebung der Volksbildung durch Errichtung von Volkshochschulen mitzuwirken. Von staatlicher Seite wurde namentlich in Preußen die Förderung der Volkshochschulen als eine wichtige Staatsaufgabe erkannt und durch Schaffung von Beratungsstellen und die Erlaubnis der Benützung von Räumen und Einrichtungen staatlicher Anstalten diese Einsicht betätigt. In Bayern wurde eine Mittelstelle für das Volkshochschulwesen von der Reichszentrale für Heimatdienst, Landesabteilung Bayern (München) gegründet. In Anbetracht des Umstandes, daß an der Gründung der Volkshochschulen sehr verschiedene und voneinander unabhängige Faktoren bisher beteiligt waren, erscheint es sehr begreiflich, daß über den Zweck der Volkshochschulen keine Einhelligkeit der Ansichten besteht und auch die Einrichtung dieser Anstalten mancherlei, z. T. sogar erhebliche Verschiedenheiten aufweist. Es darf hierbei auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß das Volkshochschulwesen noch in einem Stadium der Entwicklung und Versuche sich befindet, dessen Abschluß voraussichtlich noch eine Reihe von Jahren in Anspruch nehmen wird. Nach der vorherrschenden Ansicht soll die Volkshochschule nicht dazu dienen, den Teilnehmern an dem in ihnen gebotenen Unterrichte eine gewisse größere oder geringere Summe von Kenntnissen auf dem Gebiet der Allgemeinbildung oder irgendwelcher Spezialfächer zu verschaffen, sondern die geistigen Fähigkeiten, insbesondere das Denk- und Urteilsvermögen auszubilden, um auch denjenigen, welche keine höhere Schulbildung genossen, ein selbständiges Urteil über öffentliche Angelegenheiten, ebenso wie über ihre beruflichen zu ermöglichen und sie dadurch zu befähigen, den Aufgaben eines Staatsbürgers in vollem Maße zu genügen. Neben diesem im Wesentlichen praktischen Ziele wird der Volkshochschule vielfach — wenn auch z. T. nur sozusagen nebenher — eine rein ideelle Aufgabe zugeteilt, die man sehr verschieden formuliert hat2). Der preußische Kultusminister Haenisch hat an die Universitäten eine Aufforderung gerichtet, aus Dozenten und anderen Personen eine Beratungsstelle für das Volkshochschulwesen zu bilden. Für die Tätigkeit dieser Beratungsstellen hat das preußische Kultusministerium Richtlinien aufgestellt, die z. T. als sehr wohl angebracht, z. T. aber auch als nicht ganz zweckentsprechend und praktisch kaum durchführbar erachtet werden müssen3).

Von den Volkshochschulen in Deutschland lassen sich mehrere Typen unterscheiden. Die Hauptunterschiede bestehen darin, daß ein Teil der Volkshochschulen, und zwar derjenige, dem die große Masse derselben angehört, eine Teilnahme an dem gebotenen Unterricht ohne Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit ermöglicht, während ein anderer Teil den Eintritt der Teilnehmer in ein Internat verlangt, in dem Wohnung und Verpflegung geboten werden und eine berufliche Tätigkeit ausgeschlossen ist. Die Zahl der Volkshochschulen vom ersten Typus hat im Deutschen Reich seit der Revolution gewaltig zugenommen und zählt gegenwärtig nach Hunderten. Nicht nur sämtliche Großstädte, auch ein großer Teil der Mittelstädte und selbst manche kleine Städte sind mit Volkshochschulen versehen. Der Unterricht, der anfänglich nur in Vorträgen aus den verschiedensten Wissensgebieten bestand, die in den Abendstunden abgehalten wurden, hat in neuerer Zeit zumeist eine Umgestaltung erfahren, die ein intensiveres Eindringen der Hörer in den behandelnden Gegenstand herbeiführen soll. Dies geschieht dadurch, daß man, den vom preußischen Kultusministerium gegebenen Richtlinien entsprechend, die Zahl der Teilnehmer an den einzelnen Kursen beschränkt (etwa 30) und an die Vorträge Diskussionen und Übungen geknüpft werden, den Teilnehmern auch Gelegenheit zu selbständigen Arbeiten auf literarischem und naturwissenschaftlichem Gebiet (in Laboratorien) geboten wird. Führungen durch Museen und industrielle Etablissements, sowie Lehrausflüge werden ebenfalls verwertet, um den Gesichtskreis der Teilnehmer zu erweitern. Die in kleineren Städten gegründeten Volkshochschulen dieser Art beschränken ihre Tätigkeit z. T. auf den betreffenden Ort, z. T. veranstalten sie Wandervorträge in der näheren oder entfernteren Umgebung.

Die Volkshochschulen mit Internaten, die im Deutschen Reich noch spärlich vertreten sind, haben ihren Sitz auf dem Lande. Die Dauer des Internats beträgt gewöhnlich ½ Jahr, die Teilnehmerzahl ist beschränkt (etwa 50). Der Unterrichtsplan der einzelnen Anstalten weist erhebliche Unterschiede auf. Das Hauptgewicht wird auf den persönlichen Verkehr der Lehrer mit den Schülern, die Belehrung durch Anschauung und selbständige Tätigkeit der Lernenden gelegt.

 

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Seit dem Jahre 1919 hat sich die Volkshochschulbewegung wie eine wahre Flut über Deutschland ausgebreitet und bereits eine Mehrung dieser Anstalten herbeigeführt, die weit über das früher in einem Jahrzehnt Erreichte hinausgeht. So erfreulich diese Tatsache an sich ist, so wäre es doch irrig, wollte man an dieselbe derzeit schon weitgehende Hoffnungen auf eine baldige und durchgreifende Hebung des geistigen Niveaus unserer Volksgenossen in Stadt und Land knüpfen. Zunächst erhebt sich die Frage, ob die Aufgabe, die man den Volkshochschulen zumeist zuteilt, geeignet ist, zu dem erwünschten Ziele zu führen. Die Volkshochschule soll, wie erwähnt wurde, nicht dazu dienen, den Teilnehmern ein gewisses Maß von Kenntnissen (Wissensstoff) zu verschaffen, sondern ihr Denk- und Urteilsvermögen auszubilden, sie zu selbständiger Geistestätigkeit wenigstens in gewissem Maße zu befähigen. M. E. ist jedoch die geringe Bedeutung, die der Mehrung des Wissens bei dem Volkshochschulunterricht beigelegt wird, nicht ganz gerechtfertigt. Die Ausbildung des Denkmechanismus, die das Individuum zu leichterer und ergiebigerer Denktätigkeit befähigt, kann nur dann zu befriedigenden Leistungen führen, wenn dem Mechanismus das Material zur Verfügung steht, das er im konkreten Falle benötigt. Man darf nicht übersehen, daß selbst eine sehr weitgehende Entwicklung des Denk- und Urteilsvermögens nicht zu unbegrenzten Resultaten führt, sondern nur Leistungen ermöglicht, die dem vorhandenen Materiale an Kenntnissen und persönlichen Erfahrungen entsprechen. Es ist bekannt, daß selbst sehr gelehrte und geistig hervorragende Persönlichkeiten zu schiefen Urteilen gelangen, wenn sie sich auf Gebiete wagen, auf welchen ihnen ihre Fachkenntnisse keine Stütze bieten. Es erscheint mir daher nötig, daß bei dem Volkshochschulunterricht neben der Förderung des Denk- und Urteilsvermögens auch auf Mehrung des Wissensstoffes bei den Teilnehmern Gewicht gelegt wird und zwar insbesondere auf die Vermittlung jener Kenntnisse, deren Besitz für jeden Volksgenossen erforderlich ist, um zu einem selbständigen Urteil über staatsbürgerliche Angelegenheiten zu gelangen. Nur dadurch wird es ihm möglich, sich von der Unterjochung unter die Parteigewalt, von der Bevormundung durch Presseorgane, von der suggestiven Beeinflussung durch Freunde, Nachbarn, Vorgesetzte und insbesondere durch Demagogen zu befreien. Die hier in Betracht kommenden Kenntnisse zu verbreiten, ist daher eine der wichtigsten Aufgaben der Volkshochschule.4) Auch die in den oben erwähnten Richtlinien verlangte und von einer Reihe von Volkshochschulen akzeptierte Verknüpfung der Vorträge mit Diskussionen, Übungen etc. dürfte sich nicht für alle Wissensgebiete empfehlen. Durch diese Art des Unterrichts wird die Teilnehmerzahl beschränkt, so daß selbst in Universitätsstädten die Zahl der Lehrkräfte dem Andrang der Belehrung Suchenden nicht genügen mag. Außerdem ist ein tieferes Eindringen in den vorhandenen Stoff in gar manchen Wissensgebieten nicht nötig, sofern der Erwerb gewisser Kenntnisse zur Erweiterung der Allgemeinbildung genügt und auch eine eingehendere Behandlung des Vortragstoffes bei den Teilnehmern keinen dauernden Besitz verbürgt.

 

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1) Die dänischen Volkshochschulen wurden in der Folge wie die erste auf dem Lande errichtet und mit Internaten versehen, von welchen fast ausschließlich Dauernsöhne Gebrauch machten. Erst 1910 wurde eine derartige Anslalt lür Industriearbeiter gegründet (die Schule von Esbjereh).

2) So soll nach Professor Weitsch die Volkshochschule den Grundstein zum Bau einer geistig gerichteten Weltanschauung legen. Nach Professor Strecker soll in den Volkshochschulen eine Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden gebildet werden, in der jenseits aller Gelehrsamkeit und jenseits aller Alltäglichkeit die Höhen der Menschheit innerlich erlebt werden. Nach Dr. Mahrholz ist man sich darüber einig, daß die Volkshochschule den Sinn und die Aufgabe hat, durch die Ausbildung und Freimachung echten Menschentums den großen Bildungs- und Kulturbesitz unseres Volkes und der Menschheit für jeden Volksgenossen der willigen Herzens ist, lebendig zu machen.

3) Das Wichtigste an den Richtlinien ist die Forderung eines seminaristischen Unterrichtsbetriebes, die z. T. wenigstens als wohl begründet angesehen werden darf. Das Gleiche läßt sich nicht von der Forderung behaupten, daß grundsätzlich keine Vorlesungen, sondern nur freie Vorträge gehalten werden sollen. Hierdurch würde die Auswahl der Lehrkräfte und der zu behandelnden Stoffe in einer nicht zu billigenden Weise beschränkt werden.

4) Ich kann nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß man das Gebiet der staatsbürgerlichen Kenntnisse nicht zu eng auffassen darf. Es darf sich nicht auf die Kenntnis der Verfassung des Reiches und des einzelnen Staates, dem das Individuum angehört und die Einrichtungen in den verschiedenen Sparten der Staatsverwaltung, sowie die wichtigsten Teile der Gesetzgebung beschränken. Hiezu muß die Geschichte Deutschlands, dessen Geographie, Heimatkunde, Geologie, die Anthropologie seiner Bewohner, sowie eine Übersicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse, Aus- und Einfuhr und das Steuerwesen treten.


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