Denken und Anschauung, Herz und Kopf


Die wesentlichen Werkzeuge, Organe der Philosophie sind der Kopf, die Quelle der Aktivität, der Freiheit, der metaphysischen Unendlichkeit, des Idealismus, und das Herz, die Quelle der Leiden, der Endlichkeit, des Bedürfnisses, des Sensualismus - theoretisch ausgedrückt: Denken und Anschauung; denn das Denken ist das Bedürfnis des Kopfes, die Anschauung, der Sinn das Bedürfnis des Herzens. Das Denken ist das Prinzip der Schule, des Systems, die Anschauung das Prinzip des Lebens. In der Anschauung werde ich bestimmt vom Gegenstande, im Denken bestimme ich den Gegenstand; im Denken bin ich Ich, in der Anschauung Nicht-Ich. Nur aus der Negation des Denkens, aus dem Bestimmtsein vom Gegenstande, aus der Passion, aus der Quelle aller Lust und Not erzeugt sich der wahre, objektive Gedanke, die wahre, objektive Philosophie. Die Anschauung gibt das mit der Existenz unmittelbar identische, das Denken das durch die Unterscheidung, die Absonderung von der Existenz vermittelte Wesen. Nur da also, wo sich mit dem Wesen die Existenz, mit dem Denken die Anschauung, mit der Aktivität die Passivität, mit dem scholastischen Phlegma der deutschen Metaphysik das antischolastische, sanguinische Prinzip des französischen Sensualismus und Materialismus vereinigt, nur da ist Leben und Wahrheit.

Wie die Philosophie, so der Philosoph, und umgekehrt: die Eigenschaften des Philosophen, die subjektiven Bedingungen und Elemente der Philosophie sind auch ihre objektiven. Der wahre, der mit dem Leben, dem Menschen identische Philosoph muß gallo-germanischen Geblütes sein. Erschreckt nicht, ihr keuschen Deutschen, über diese Vermischung! Schon Anno 1716 haben diesen Gedanken die Acta Philosophorum ausgesprochen. »Wenn wir die Deutschen und Franzosen gegeneinanderhalten, so haben zwar dieser ihre ingenia mehr Hurtigkeit, jene aber mehr Solidität, und man könnte füglich sagen, das temperamentum Gallico-germanicum schicke sich am besten zur Philosophie, oder ein Kind, welches einen Franzosen zum Vater und eine Deutsche zur Mutter hat, müßte (caeteris paribus) ein gut ingenium philosophicum bekommen.« Ganz richtig; nur müssen wir die Mutter zur Französin, den Vater zum Deutschen machen. Das Herz - das weibliche Prinzip, der Sinn für das Endliche, der Sitz des Materialismus - ist französisch gesinnt; der Kopf - das männliche Prinzip, der Sitz des Idealismus - deutsch. Das Herz revolutioniert, der Kopf reformiert; der Kopf bringt die Dinge zustande, das Herz in Bewegung. Aber nur wo Bewegung, Wallung, Leidenschaft, Blut, Sinnlichkeit, da ist auch Geist. Nur der Esprit Leibniz, sein sanguinisches, materialistisch-idealistisches Prinzip war es, was zuerst die Deutschen aus ihrem philosophischen Pedantismus und Scholastizismus herausriß.


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