§ 42. Jakob Böhmes Bedeutung für die Geschichte der Philosophie

 

Es ist noch besonders zu bemerken, daß Jakob Böhme diese seine eben angedeuteten wesentlichen Gedanken nicht oft genug wiederholen kann und daß er da, wo er die allgemeinen Grundsätze seiner Theosophie ausspricht, eine bewundernswürdige Klarheit mit der größten Tiefe verbindet, daß man ihm aber ins bunte Gewimmel des Besondern nicht folgen kann, ohne daß einem hier wie in der tollsten Märchenwelt alles vor den Augen flimmert, alle bestimmte Begriffe ausgehen. Der Grund hiervon liegt keineswegs nur darin, daß ihm alle Methode und Logik, alle Werkzeuge, sich der Gegenstände zu bemächtigen und sie gehörig zu bestimmen, abgehen, daß er statt Erkenntnisse gewährender Denkbestimmungen Formen des Gemütslebens und der Sinnlichkeit, sinnliche Beschaffenheiten zur Bezeichnung der Gegenstände anwendet, Vorstellungen daher gibt, die ebenso dunkel sind wie die Gefühle und sinnlichen Empfindungen, und in dem Drang seines Geistes, seine Gedanken zutage zu fördern, oft zu den allerwillkürlichsten und kuriosesten Zeichen und Hülfsmitteln seine Zuflucht nimmt. Der Grund liegt tiefer. Jakob Böhme ist ein theosophischer oder religiöser Naturphilosoph. Er will uns nicht nur erklären, wie aus der Natur Gottes der Geist Gottes, sondern auch, wie aus der Natur oder dem Wesen Gottes die wirkliche Natur entsteht — erklären, wie Sonne, Mond und Sterne, Himmel und Erde, Feuer und Wasser, Berge und Steine, Bäume und Kräuter, Tiere und Menschen, Franzosen und Schwären, Krätze und Aussatz entstehen, kurz, er will uns alle Geheimnisse der Astronomie, Physik, Geologie, Mineralogie, Physiologie und Pathologie aufschließen, befangen in dem Glauben, daß, weil alles aus Gott geworden, auch alles aus ihm erkannt werden könne, daß in Christo oder Gott die Schätze alles Wissens verborgen lägen, daß man daher, um alles zu wissen, nur Gott zu wissen brauche. Er will uns also, und zwar die allerspeziellsten, Aufschlüsse über Dinge geben, von denen er gar nichts weiß, gar keine Vorstellungen hat als höchstens die oberflächlichen, welche ihm die Eindrücke derselben auf sein Gemüt und seine Phantasie geliefert haben — kein Wunder, daß er hier in die willkürlichste, bodenloseste und selbst oft unsinnigste und abgeschmackteste Phantastik verfällt. Jakob Böhme ist das direkte Gegenteil Bacons. Während dieser alles von außen, von der Erfahrung ableitet, deduziert dagegen jener, der Philosophus Teutonicus, alles a priori aus Gott, d.h. aus sich. Jakob Böhme ist die sich als göttliche Allwissenheit geltend machende menschliche Unwissenheit. Aber gerade in dieser durch keine Einwürfe der Empirie in dem Glauben an ihre Allwissenheit gestörten, göttlichen, in sich seligen Unwissenheit, in diesem mystischen Helldunkel seiner gemütlichen und phantastischen, nicht durch das profane, enttäuschende Sinnenlicht aufgeklärten Weltanschauung liegt — abgesehen von der Eigentümlichkeit seiner Sprache — der Grund von dem zauberhaften Eindruck, den Jakob Böhme auf viele Gemüter macht, denn in dem Lichte, das in einem Dom durch buntbemalte Fenster oder durch trübe Glasscheiben in die Stube eines Schusters fällt, ist es vielen Menschen wohler zumute als in dem Lichte, das durch reine, ungefärbte Fenster fällt oder unmittelbar aus der Hand der Natur uns zukommt.75)

Der Grund des magischen Reizes, den Jakob Böhme auf viele Gemüter macht, läßt sich auch so erklären und veranschaulichen. Da ihm die klare, einfache Form des Gedankens, die ausbreitende, entwickelnde Methode der Philosophie abgeht, so schießt bei ihm der Baum der Erkenntnis aus Mangel des Sonnenlichtes des ungetrübten Gedankens nicht schlank und gerade in die Höhe empor, so ist alles bei ihm chaotisch beisammen, die Materie seines Denkens gleichsam in einen engen Raum zusammengedrückt, so daß das ganze JakobBöhmische Gebäude den Umfang und das Ansehen einer Schusterwohnung bekommt. Und wie überhaupt im ganzen der Mensch nur glücklich ist innerhalb der Beschränkung, so gibt es natürlich viele Menschen, die sich wohler, heimischer fühlen in einer beschränkten, engen Schusterwohnung als in den großen, weiten Tempeln und Hallen der reinen Philosophie; denn mit dem Raume erweitert sich auch die Aussicht und verliert sich der einzelne in dieser Erweiterung aus dem Gesichte, sieht sich als einen Punkt im Ganzen verschwinden; in einem engen Raume aber, da findet sich der Mensch zu Hause, wird er auf sich gedrängt, verliert er sein beschränktes Dasein nicht aus dem Auge und hat er alles, was er ist und hat, in einem praktischen Enchiridium oder Kompendium kurz und gut beieinander.

 

_________________

72) »Ich verstund zuvor«, sagt Jakob Böhme von sich selbst, wie er vom Ursprung seiner schriftstellerischen Tätigkeit spricht, »wenig die hohen Glaubens-Artikel, als der Laien Art ist, viel weniger die Natur, bis mir das Licht in der ewigen Natur anhub zu scheinen, davon ich so sehr lüstern ward, daß ich anfing und wollte mir mein Erkenntnis zu einem Memorial aufschreiben. Denn der Geist ging hindurch als ein Blitz, und sahe in Grund der Ewigkeit; oder wie ein Platzregen fürübergehet, was er trifft, das trifft er; also ging's auch in mir: Ich fing an zu schreiben als ein Knab in der Schule und schrieb also in meiner Erkenntnis und eifrigem Trieb immerhin fort.« »O höre, Pasquill!«, so redet Jakob Böhme seinen Gegner B. Tilken an, »hastu Kunst von dieser Welt, so hab ich Kunst von der göttlichen Welt: Du hast deine gelernet, und meine ist mir aus Gnaden in der Liebe Gottes geschenket worden.« (»Erste Apologie wider B. Tilken«, Vorrede, § 27, 28, 93)

73) Darauf deutet auch Leibniz schon, wenn er sagt: »Pour rendre ces notions (nämlich von den divines personnes als trois differents concrets respectifes dans un seul concret absolu) plus aisées par quelque chose d'approchant, je ne trouve rien dans les creatures de plus propre à illustrer ce sujet, que la reflexion des esprits, lorsqu'un même esprit est son propre objet immediat, et agit sur soi même, en pensant à soi même et à ce qu'il fait. Car le redoublement donne un image ou ombre de deux substances respectifs dans une même substance absolue. savoir de celle, qui entend, et de celle, qui est entendue, l'un et l'autre de ces êtres est substantiel, l'un et l'autre est un concret individu, et ils different par des relations mutuelles, mais ils ne sont qu'une seule et même, une substance individuelle absolue.« (Remarque de Mr. Leibn. sur le livre d'un Anti-Trinitaire, in Leibn. »Miscellanea«, IV) Darauf deuten auch Lessings bekannte Äußerungen über diesen Gegenstand. Freilich muß man das Bewußtsein nicht in seiner gewöhnlichen, gemeinen Bedeutung nehmen.

74) Zur Erläuterung und Bestätigung dieser Exposition folgende Stelle aus des J. Böhmisten Dippel »Fatum fatuum« (d. i. die törige Notwendigkeit, Altona 1730) »Wie alles gegenwärtige Geschöpf einen geistlichen Wirker in sich hat, der die äußere Materie disponieret und belebet, so kann unser Verstand einigermaßen dergleichen Analogie in dem Wesen Gottes selbst erblicken, ehe noch alle Ding gemacht. Dann sonst könnte auf keinerlei Weise befasset werden, wie Gott in seinem eigenen Wesen Vollkommenheit habe oder vergnügt und selig sein könne, wo nicht in dem Wesen Gottes ein passiver Grund gefunden würde, in welchen sich die Aktivität terminiert und sich selbst erkenntlich wird, daß also die allzu scharf abstrahierende Metaphysicunculi und scholastische Grillenfänger durch ihre läppische Definition des Wesens Gottes, wenn sie Gott actum purum oder nur Tat nennen, den Grund zum Atheismus gelegt; dann ist Gott als Gott nur eine Tat, so kann er nicht in sich selbst bestehen... sondern muß notwendig objecta außer sich haben, in welchen er seine Aktivität ausübet.« (S. 127)

75) Höchst charakteristisch in dieser Beziehung ist, was A. Ruge (Gesamm. Schriften, I. Bd.) aus Stillings »Leben« anführt: »Wenn sie das Wort ›Rad der ewigen Essenzienden‹oder auch ›schielender Blick‹ und andere mehr aussprachen, empfanden sie eine ganz besondere Erhebung des Gemüts. Ganze Stunden lang forschten sie in den magischen Figuren und meinten, die vor ihnen liegenden Zauberbilder lebten und bewegten sich; das war denn so rechte Seelenfreude, im Taumel groteske Ideen zu haben und lebhaft zu empfinden.« Ja wohl! Je schiefer, je tiefer.

 


 © textlog.de 2004 • 22.05.2025 21:57:08 •
Seite zuletzt aktualisiert: 07.09.2005 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright