§ 15. Die Methode der Naturwissenschaft

 

Gott und vielleicht auch den Geistern kommt wohl die Kraft zu, unmittelbar auf dem Wege bloßer Affirmation, schon mit dem ersten Blicke die Dinge zu erkennen, wie sie sind, aber dem Menschen ist es nur vergönnt, erst durch vorausgegangene Unterscheidung und Ausschließung der negativen Fälle die affirmativen Bestimmungen einer Sache zu ermitteln. Die Natur muß daher förmlich anatomiert und zerlegt werden, freilich nicht vermittelst des Feuers der Natur, sondern des göttlichen Feuers des Geistes. Die Aufgabe der wahren Induktion ist also, das Ja erst auf das Nein, die Affirmation erst auf die Negation folgen zu lassen, erst dann eine Sache positiv zu bestimmen, wenn sie alle Bestimmungen, die nicht zu ihr gehören, von ihr abgesondert und weggeworfen hat. (»N. O.«, II, A. 15, 16)

Wenn also irgendein konkreter Gegenstand, z.B. die Wärme, untersucht und ihr Wesen aufgefunden werden soll, so muß nach den Gesetzen der wahren Induktion diese Untersuchung folgendermaßen angestellt werden. Zuerst muß ein Verzeichnis von allen Dingen gemacht werden, die ungeachtet der verschiedenen Materie, woraus sie bestehen die Beschaffenheit der Wärme miteinander gemein haben, d. i. warm oder doch empfänglich für die Wärme sind, wie z.B. die Strahlen der Sonne, zumal im Sommer und mittags, die reflektierten und kondensierten Sonnenstrahlen, die feurigen Meteore, die zündenden Blitze, die erwärmten Flüssigkeiten, kurz, alle Körper, sowohl feste als flüssige, sowohl dichte als dünne (wie z.B. die Luft selbst ist), die auf eine Zeit dem Feuer genähert wurden, usw. (»N. O.«, II, A. 11)

Dann muß das Verzeichnis von den entgegengesetzten, den negativen Instanzen gegeben werden, d.h. nicht nur überhaupt von den Dingen, denen die Beschaffenheit der Wärme abgeht, die aber übrigens die größte Verwandtschaft mit den Dingen haben, welchen die Beschaffenheit der Wärme zukommt39), wie z.B. die Strahlen des Mondes, der Sterne und Kometen, die für das Gefühl keine Wärme haben, sondern auch von den besondern Einschränkungen oder Limitationen der affirmativen Instanzen.

Hierauf muß eine Vergleichung zwischen den warmen oder wärmefähigen Materien angestellt und die Verschiedenheit der Wärmegrade derselben bemerkt werden, und zwar stufenweise von den Materien an, die durchaus keinen bestimmten Wärmegrad für das Gefühl, nur die Möglichkeit der Wärme oder Empfänglichkeit für sie haben, bis zu den Materien hinauf, die wirklich oder dem Gefühl nach warm sind. (l. c., A. 13)

Nachdem dieses geschehen ist, folgt erst der wichtigste Akt, mit dem daher auch erst eigentlich das Geschäft der Induktion angeht, der Akt der Ausschließung aller Bestimmungen, die nicht zum Wesen der Wärme gehören, z.B. der Bestimmung der Himmlischkeit, weil sie nicht nur den Himmelskörpern, sondern auch dem gemeinen, irdischen Feuer zu kommt, der Bestimmung der Dünnheit, weil auch die dichtesten Materien, wie das Metall, warm sein können, der Bestimmung der örtlichen Fortbewegung, usw. (l. c., A. 18 et 20). Erst nach diesen Negationen kommt dann endlich die wahre Induktion zur Position, zur affirmativen Bestimmung des Wesens der Wärme.

Sosehr sich aber die wahre Induktion von der bisher üblichen unterscheidet, sosehr unterscheidet sie sich auch von der Methode der Empirie. Denn die Empirie kommt nicht über das Besondere hinaus, sie schreitet immer nur von Erfahrungen zu Erfahrungen, von Versuchen zu neuen Versuchen fort; die Induktion dagegen zieht aus den Versuchen und Erfahrungen die Ursachen und allgemeinen Sätze heraus und leitet dann wieder neue Erfahrungen und Versuche aus diesen Ursachen und allgemeinen Sätzen oder Prinzipien ab. Die Induktion bleibt daher nicht auf der Ebene stehen, sie steigt gleichsam immer bergauf, bergab, hinauf zu den allgemeinen Sätzen, herab zu den Experimenten. (l. c., I, A. 117, 103, 82)

 

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38) »Spes est una in inductione vera.« »N. O.«, I, A. 14.

39) Es stand hier in der ersten Ausgabe ebenso wie am Schlusse des § 11 eine tadelnde Bemerkung über die Methode Bacons. Ich habe sie aber gestrichen, nach abermaliger Lektüre des »Neuen Organs« und anderer Schriften Bacons von ihrer Unrichtigkeit und Oberflächlichkeit überzeugt. Es wurde nämlich bemerkt, daß Bacon »uns dem Zufall preis gebe und, statt die langen Wege der Erfahrung zu verkürzen, sie bis ins Ziellose ausdehne«. Allerdings ist die Erfahrung ein langsamer Weg; aber eben die »contractio inquisitionis« ist selbst ein Moment der Baconschen Methode. Das ganze II. Buch des »Nov. Org.« beschäftigt sich mit den Prärogativen der Instanzen, d.h. mit solchen Instanzen, welche die Induktion abkürzen, den Nagel auf den Kopf treffen. Nur das dürfte in dieser Beziehung an Bacon auszusetzen sein daß er nicht das Talent das Ingenium mit in Anschlag bringt, gleich als könnte dieses durch eine Methode ersetzt oder gar überflüssig gemacht werden.

 


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