3. Das Vorurteil von der Minderwertigkeit der Frau.


Zur Rechtfertigung seiner Vormachtstellung wird von Seiten des Mannes außer dem Argument, daß ihm seine Stellung schon von Natur aus zukomme, meist noch angeführt, daß die Frau ein minderwertiges Wesen sei. Die Ansicht von der Minderwertigkeit der Frau ist so weit verbreitet, daß es den Anschein hat, als wäre sie Gemeingut aller Menschen. Hand in Hand damit geht eine gewisse Unruhe des Mannes, die noch aus der Zeit des Kampfes gegen das Mutterrecht herrühren dürfte, wo ja die Frau tatsächlich ein Moment der Beunruhigung für den Mann darstellte. Wir stoßen nämlich in Geschichte und Literatur jeden Augenblick auf Hinweise dieser Art. So sagt ein römischer Schriftsteller: »mulier est hominis confusio«. Auf geistlichen Konzilien wurde lebhaft die Frage besprochen, ob die Frau eine Seele habe, es wurden gelehrte Abhandlungen über die Frage geschrieben, ob sie überhaupt ein Mensch sei. Die jahrhundertelange Dauer des Hexenwahns mit seinen Hexenverbrennungen legen ein trauriges Zeugnis ab von den Irrtümern, von der gewaltigen Unsicherheit und Verwirrung jener Zeit in dieser Frage. Oft wird die Frau als Ursache alles Unheils in der Welt hingestellt, so in der biblischen Darstellung der Erbsünde oder in der Iliade Homers, in der erzählt wird, wie das Wesen einer Frau genügt hat, um ganze Völker ins Unglück zu stürzen. Sagen und Märchen aller Zeiten enthalten Hinweise auf die moralische Minderwertigkeit der Frau, auf ihre Verworfenheit, Bosheit, Falschheit, Unbeständigkeit und Unverläßlichkeit. »Weiblicher Leichtsinn« wird sogar als Argument in Gesetzesbegründungen angeführt. Ebenso wird die Frau bezüglich ihrer Tüchtigkeit, ihrer Leistungsfähigkeit herabgesetzt. Redensarten, Anekdoten, Sprichwörter und Witze aller Völker sind voll herabsetzender Kritik der Frau, der Streitsucht, Unpünktlichkeit, Kleinlichkeit, Dummheit (Lange Röcke, kurzer Sinn) vorgeworfen wird. Ein ungeheurer Scharfsinn wird aufgebracht, um den Beweis der Minderwertigkeit des Weibes zu führen, und die Reihe dieser Menschen — man denke an Strindberg, Moebius, Schopenhauer, Weininger — wird sogar durch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Frauen vermehrt, die in ihrer Resignation dazu gelangten, die Auffassung von der Minderwertigkeit der Frau und der ihr zukommenden untergeordneten Rolle zu teilen. Auch in der Bezahlung der Frauenarbeit, die, unbekümmert darum, ob sie mit Männerarbeit gleichwertig ist oder nicht, weit niedriger gehalten ist als Männerarbeit, kommt die Geringschätzung der Frau zum Ausdruck.

Bei der Vergleichung der Ergebnisse von Begabtenprüfungen hat man nun tatsächlich gefunden, daß für bestimmte Gegenstände, z. B. Mathematik, die Knaben mehr Begabung aufweisen, für andere, z. B. für Sprachen, die Mädchen. Es hat sich gezeigt, daß Knaben in der Tat für solche Gegenstände, die für Männerberufe vorbereiten sollen, mehr Begabung zeigen als Mädchen. Das spricht aber nur scheinbar für ihre größere Begabung. Betrachtet man die Situation der Mädchen genauer, so stellt sich heraus, daß die Geschichte von der geringeren Fähigkeit der Frau eine Fabel ist, eine Lüge, die wie eine Wahrheit aussieht.

Ein Mädchen bekommt auf Schritt und Tritt, sozusagen täglich, und in allen Variationen zu hören, daß Mädchen unfähig seien und nur zu leichteren, untergeordneten Arbeiten geeignet. Es ist nur naheliegend, daß ein Mädchen bei seinem kindlichen Unvermögen, solche Urteile auf ihre Richtigkeit zu prüfen, die weibliche Unfähigkeit als ein unabänderliches Schicksal der Frau betrachten und schließlich selbst an die eigene Unfähigkeit glauben wird. Entmutigt, bringt es dann solchen Fächern — wenn es überhaupt damit je zu tun bekommt — schon von vornherein nicht mehr das nötige Interesse entgegen oder verliert es. So fehlt ihr die äußere und innere Vorbereitung.

Unter solchen Umständen muß natürlich der Beweis der Unfähigkeit der Frau scheinbar stimmen. Dieser Irrtum hat zwei Ursachen. Er wird dadurch gefördert, daß man — vielfach auf einseitige, rein egoistische Beweggründe gestützt — den Wert des Menschen immer noch nach seinen, von einem geschäftlichen Standpunkt aus berechneten Leistungen beurteilt, von welchem Standpunkt aus man es freilich unterlassen kann, der Frage nachzugehen, inwiefern Leistungen und Leistungsfähigkeit mit seelischer Entwicklung zusammenhängen. Würde man derselben allgemein mehr Beachtung schenken, dann käme man auch der andern Hauptursache auf die Spur, welcher der Irrtum von der geringeren Leistungsfähigkeit der Frau sehr viel von seinem Dasein verdankt. Es wird vielfach übersehen, daß dem Mädchen seit seiner Kindheit die ganze Welt mit einem Vorurteil in den Ohren liegt, das nur geeignet ist, den Glauben an seinen Wert, sein Selbstvertrauen zu erschüttern und seine Hoffnung, je etwas Tüchtiges zu leisten, zu untergraben. Wenn es darin nichts als nur bestärkt wird, wenn es sieht, wie Frauen nur untergeordnete Rollen zugewiesen sind, dann ist es begreiflich, wenn es den Mut verliert, nicht mehr recht zugreifen will und schließlich vor den Aufgaben des Lebens zurückschreckt. Dann freilich ist sie untauglich und unbrauchbar. Wenn wir aber einem Menschen gegenübertreten und ihm den Respekt einzuflößen verstehen, der der Stimme der Gesamtheit zukommt, und wenn wir ihm alle Hoffnung absprechen, daß er es zu etwas bringen könne, wenn wir auf diese Weise seinen Mut untergraben und dann finden, daß er nichts leistet, dann dürfen wir nicht sagen, daß wir recht gehabt haben, sondern müssen eingestehen, daß wir das ganze Unglück verschuldet haben.

Leicht ist es also in unserer Kultur für ein Mädchen nicht, Selbstvertrauen und Mut zu bewahren. Übrigens hat sich bei den Begabtenprüfungen selbst die merkwürdige Tatsache herausgestellt, daß eine bestimmte Gruppe von Mädchen, solche im Alter von 14 bis 18 Jahren, eine Begabung aufwiesen, die jener aller andern Gruppen, auch der Knaben überlegen war. Nachforschungen ergaben, daß es lauter Mädchen aus Familien waren, wo auch die Frau, die Mutter, oder nur sie allein einen selbständigen Beruf hatte. Das bedeutet, daß diese Mädchen zu Hause in einer Situation waren, wo sie das Vorurteil von der geringeren Leistungsfähigkeit der Frau nicht oder nur in geringerem Grade zu spüren bekamen, weil sie insbesondere selbst sahen, wie sich die Mutter durch ihre Tüchtigkeit fortbrachte. Sie konnten sich demnach viel freier und selbständiger entwickeln, fast unbeeinflußt von allen Hemmungen, die mit diesem Vorurteil verknüpft sind.

Ein weiteres Argument gegen dieses Vorurteil ist die nicht geringe Zahl von Frauen, die auf den verschiedensten Gebieten besonders der Literatur, Kunst, Technik und Medizin Hervorragendes geleistet haben, die hier Leistungen erbracht haben, die denen von Männern völlig ebenbürtig gegenüberstehen. Übrigens ist die Zahl der Männer, die nicht nur keine Leistungen aufweisen, sondern einen hohen Grad von Unfähigkeit, so groß, daß man mit der gleichen Anzahl von Beweisen, natürlich mit demselben Unrecht, ein Vorurteil von der Minderwertigkeit der Männer vertreten könnte. Eine von schweren Folgen begleitete Erscheinung ist der bereits erwähnte Umstand, daß dieses Vorurteil von der Minderwertigkeit alles Weiblichen zu einer eigenartigen Zweiteilung der Begriffe geführt hat, die sich in der Gepflogenheit äußert, die Begriffe von männlich — wertvoll — kräftig — siegreich einerseits, und die Begriffe weiblich — gehorsam — dienend — untergeordnet — schlechthin zu identifizieren. Diese Denkungsweise hat sich so tief im menschlichen Denken verankert, daß in unserer Kultur alles Vortreffliche einen männlichen Anstrich hat, während alles weniger Wertvolle und Abzulehnende als weiblich hingestellt wird. Bekanntlich gibt es Männer, denen man keine ärgere Beleidigung zufügen kann als die, weibisch zu sein, während aber männliches Wesen bei Mädchen nichts Abträgliches bedeutet. Immer fällt der Akzent so, daß alles, was an das Weib erinnert, als minderwertig dargestellt wird.

Erscheinungen, die vielfach so deutlich für dieses Vorurteil sprechen, sind also bei näherer Betrachtung nichts als Auswirkungen einer gehemmten seelischen Entwicklung. Wir wollen nicht behaupten, daß wir aus jedem Kind einen Menschen machen können, der im Sinne der landläufigen Ansicht als »begabt«, als in hohem Grade leistungsfähig gelten kann, wir würden uns aber immer die Fähigkeit zutrauen, aus ihm einen solchen Menschen zu machen der als unbegabt gelten wird. Wir haben das allerdings noch nie getan, wir wissen aber, daß es anderen gelungen ist. Und daß ein solches Schicksal heutzutage Mädchen häufiger trifft als Knaben, läßt sich leicht denken. Wir haben Gelegenheit gehabt, solche »unbegabte« Kinder zu sehen, die eines Tages als so begabt auftraten, als ob sie geradezu aus unbegabten in begabte Kinder verwandelt worden wären.


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