5. Unterwürfigkeit.


Ein Typus, der sich ebenfalls wenig für Stellen eignet, die Initiative erfordern, sind jene Menschen, die von einer Art Dienerhaftigkeit erfüllt sind und sich nur dort wohl fühlen, wo es Befehle auszuführen gibt. Für einen Dienenden gibt es nur Gesetze und Regeln. Dieser Typus nun sucht eine dienende Stellung mit einem gewissen Gefühlsüberschwang. Man kann das in den verschiedensten Beziehungen des Lebens wahrnehmen, schon in der äußeren Haltung eines solchen Menschen, der gewöhnlich eine etwas gebückte Haltung einnehmen und immer geneigt sein wird, sich eher noch etwas tiefer zu bücken, der immer auf das Wort des anderen acht gibt, nicht um zu überlegen, was er da hört, sondern um zuzustimmen und es zu erfüllen. Es sind Menschen, die Wert darauf legen, sich immer unterwürfig zu zeigen. Diese Neigung findet man manchmal in den unglaublichsten Graden. Es gibt Menschen, die sich mit einem wahren Genuß unterordnen. Es soll damit nicht gesagt werden, daß das Ideal in jenen Menschen zu suchen wäre, die sich immer nur überordnen wollen. Es sollen aber die Schattenseiten des Lebens jener beleuchtet werden, die nur in der Unterordnung die wahre Lösung der Aufgaben des Lebens erblicken.

Da fällt uns ein, daß es eine ungeheure Menge Menschen gibt, für die Unterordnung ein Lebensgesetz zu sein scheint. Gemeint sind nicht die dienenden Klassen, sondern es handelt sich um das weibliche Geschlecht. Daß sich die Frau unterzuordnen habe, ist wie ein ungeschriebenes, aber allen eingeprägtes Gesetz, an dem noch unendlich viele Menschen wie an einem Dogma festhalten. Sie glauben, daß die Frau nur dazu da sei, damit sie sich unterordne. Gewöhnlich ist die Folge davon die, daß sie sich überzuordnen versucht. Obwohl man mit solchen Anschauungen alle Beziehungen der Menschen vergiftet und zerstört hat, ist es immer noch wie ein unausrottbarer Aberglaube, der sogar unter den Frauen viele Anhänger hat, die sich unter ein ewiges Gesetz gestellt glauben. Es ist aber noch kein Fall bekannt, wo jemand von solcher Anschauung einen Nutzen gehabt hat. Es kommt sogar immer wieder die Zeit, wo der eine oder andere darüber klagt: Wenn die Frau sich nicht so untergeordnet hätte, wäre alles viel besser gekommen.

Abgesehen davon, daß es keine Menschenseele gibt, die die Unterordnung glatt verträgt, wird eine solche Frau meist veröden und unselbständig werden, wie ein kleiner Fall zeigen soll. Es war die Frau eines bedeutenden Mannes, die aus Liebe geheiratet hatte, aber sich streng an oben erwähntes Dogma hielt, an das auch ihr Mann glaubte. Sie war mit der Zeit zu einer kompletten Maschine geworden, für die es nichts anderes gab als Pflicht, Dienst und wieder Dienst. Jede selbständige Regung war aus ihr verschwunden. Die Umgebung, die daran gewöhnt war, hat allerdings nicht viel Anstoß daran genommen, was aber auch kein Vorteil ist. Dieser Fall ist nur deshalb nicht zu größeren Schwierigkeiten ausgeartet, weil er sich unter verhältnismäßig hochstehenden Menschen abspielte. Bedenkt man aber, daß ein großer Teil der Menschen in der Unterordnung der Frau ein selbstverständliches Schicksal derselben sieht, so erkennt man die Unmasse von Konfliktstoff, die darin liegt. Denn wenn der Mann diese Unterordnung für selbstverständlich hält, dann kann er ja immer Anstoß nehmen, so oft er nur will, weil eine solche Unterwerfung in der Tat unmöglich ist.

Manchmal findet man Frauen, die den Geist der Unterwerfung in einem solchen Maß in sich tragen, daß sie gerade solche Männer suchen, die herrschsüchtig oder brutal auftreten. Nach kurzer Zeit geht dieses unnatürliche Verhältnis in einen großen Konflikt über. Man hat dann manchmal den Eindruck, als ob diese Frauen die Unterordnung der Frau ins Lächerliche ziehen und beweisen wollten, was das für ein Unsinn ist.

Wir kennen bereits den Weg, der aus dieser Schwierigkeit herausführt. Ein Zusammenleben von Mann und Frau muß eine Kameradschaft, eine Arbeitsgemeinschaft sein, in der niemand untergeordnet ist. Und wenn das vorläufig noch ein Ideal ist, so wird es uns immer wenigstens einen Maßstab dafür abgeben, wieweit ein Mensch einen kulturellen Fortschritt aufweist, bzw. wie weit er noch davon entfernt ist, und wo Fehler begangen werden.

Die Frage der Unterwerfung spielt nicht nur in das Verhältnis der Geschlechter hinein, sie belastet nicht nur den Mann mit einer Unsumme von Schwierigkeiten, denen er nicht gewachsen sein kann, sondern sie spielt auch im Völkerleben eine große Rolle. Wenn man bedenkt, daß einst das ganze Altertum in seiner ökonomischen Situation, in seinen Herrschaftsverhältnissen auf der Sklaverei aufgebaut war, wenn man bedenkt, daß vielleicht die meisten der jetzt lebenden Menschen aus einer Sklavenfamilie stammen, wenn man sich vorstellt, daß Jahrhunderte verflossen sind, in denen zwei in so krassem Widerspruch zueinander stehende Klassen gelebt haben und daß auch heute noch bei gewissen Völkern der Kastengeist noch ganz prinzipiell durchgeführt ist, dann kann man schon verstehen, daß das Prinzip der Unterordnung und die Forderung danach noch immer in den Gemütern der Menschen rege ist und einen Typus zu formen vermag. Bekanntlich bestand im Altertum die Anschauung, daß die Arbeit als ein verhältnismäßig schmähliches Gewerbe von Sklaven zu verrichten sei, daß sich der Herr durch Arbeit nicht beschmutzen dürfe, daß er ferner nicht nur Befehlshaber war, sondern alle guten Eigenschaften in sich vereinige. Die herrschende Klasse bestand aus den »Besten« und das griechische Wort »aristos« bedeutet beides. Aristokratie war die Herrschaft der Besten. Entschieden wurde das aber natürlich nur durch Machtmittel, nicht etwa durch eine Prüfung der Tugenden und Vorzüge. Eine Prüfung und Klassifikation fand höchstens bei Sklaven, also bei Dienenden statt. Der beste war aber derjenige, der die Macht ausübte.

Bis in unsere Zeit hinein sind die Anschauungen durch dieses Zusammenklingen von zwei Erscheinungsformen des menschlichen Wesens beeinflußt, die für unsere Zeit der Bestrebungen, die Menschen einander näher zu bringen, jeden Sinn und jede Bedeutung verloren haben. Man erinnere sich, daß sogar der große Denker Nietzsche die Herrschaft der Besten und die Unterwerfung der anderen verlangt hat. Es ist heute noch immer schwer, sich die Einteilung der Menschen in dienende und herrschende aus dem Kopf zu schlagen und uns völlig als gleich und gleich zu fühlen. Und es bedeutet schon der Besitz dieses Gesichtspunktes einen Fortschritt, der geeignet ist uns zu helfen und vor schwerwiegenden Irrtümern zu bewahren. Denn es gibt Menschen, die so dienerhaft geworden sind, daß sie immer froh sind, daß sie sich bei jemand für ein Nichts bedanken dürfen und sich ununterbrochen geradezu dafür entschuldigen, daß sie auf der Welt sind, wobei man natürlich nicht annehmen darf, daß sie diese Haltung gut vertragen; sie fühlen sich dabei oft recht unglücklich.


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