4. Das Unbewusste.


Bei unseren Schilderungen wird es bereits aufgefallen sein, daß es sich oft um Vorgänge und Erscheinungen handelt, über die deren Träger meist nicht viel aussagen kann. Ein aufmerksamer Mensch wird selten sagen können, warum er z. B. sofort alles sehe. Es gibt also Fähigkeiten des seelischen Organs, die nicht im Bereich des Bewußtseins zu suchen sind. Obwohl auch eine bewußte Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen Grade zu erzwingen ist, sitzt doch die Anregung für die Aufmerksamkeit nicht im Bewußtsein, sondern im Interesse und dieses wieder liegt zum größten Teil in der Sphäre des Unbewußten. Dieses ist in seinem ganzen Umkreis eine Leistung des seelischen Organs und zugleich der stärkste Faktor im seelischen Leben. Dort sind die Kräfte zu suchen und zu finden, die die Bewegungslinie eines Menschen, seinen (unbewußten) Lebensplan ausgestalten. Im Bewußtsein ist nur ein Abglanz, manchmal sogar das Gegenteil davon vorhanden. So wird z. B. ein eitler Mensch in den meisten Fällen von seiner Eitelkeit keine Ahnung haben, sondern sich im Gegenteil so verhalten, daß seine Bescheidenheit jedem in die Augen springt. Um eitel zu sein, ist es eben gar nicht nötig, es auch zu wissen und sich klarzumachen. Ja, es ist für den Zweck dieses Menschen nicht einmal gut, denn sonst könnte er gar nicht so handeln. Er gewinnt seine schauspielerhaft anmutende Sicherheit vielfach nur, wenn er von seiner Eitelkeit nichts sieht und seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenkt. So verläuft der ganze Prozeß größtenteils im dunkeln. Versucht man mit ihm darüber zu sprechen, so wird man bemerken, daß ein Gespräch darüber sehr schwer zustandekommt, weil er die Neigung hat, sich umzudrehen, auszukneifen, um gleichsam nicht gestört zu werden. Das kann aber unsere Auffassung nur erhärten. Dieser Mensch will sein Spiel weiterspielen und empfindet jeden, der den Schleier davon lüften will, als Störenfried, gegen den er sich nun zu Wehr setzt.

Nach dieser Verhaltungsweise kann man die Menschen auch einteilen in solche, die von den Vorgängen in ihrem Innern mehr wissen oder weniger als der Durchschnitt, deren Bewußtseinskreis also größer oder kleiner ist. In den meisten Fällen wird sich dies damit decken, daß einer auf einen kleineren Kreis des Lebens konzentriert oder daß er vielseitig angeschlossen ist und für einen größeren Kreis des menschlichen Lebens und des Weltgeschehens Interesse hat. Wir können auch schon verstehen, daß meist jene, die sich bedrängt fühlen, zu denen gehören werden, die sich auf einen kleinen Ausschnitt des Lebens beschränken, daß jene, die dem Leben etwas abgewandt sind, die Fragen des Lebens nicht mit solcher Klarheit sehen wie andere, die gute Mitspieler sind. Sie werden die Feinheiten nicht so erfassen können, weil sie nur ein begrenztes Interesse haben, sie werden von einer Lebensfrage nur einen kleinen Teil sehen und den Gesamtumfang derselben nicht recht durchleuchten können, weil sie vermeiden, damit nur Kraft zu vergeuden. In bezug auf die Einzelerscheinungen des Lebens kann man oft wahrnehmen, daß einer von seinen Fähigkeiten für das Leben nichts weiß, daß er sie unterschätzt, aber auch über seine Fehler nicht hinreichend unterrichtet ist, sich etwa für einen guten Menschen hält, während er in Wirklichkeit alles aus Egoismus tut, oder daß er sich umgekehrt für einen Egoisten hält, während man bei näherer Beschäftigung mit ihm darauf kommt, daß es ein Mensch ist, mit dem sich ganz gut reden läßt. Sowie es überhaupt nicht darauf ankommt, was einer von sich denkt (oder was sich andere von ihm denken), sondern auf seine Gesamtstellungsnahme innerhalb der menschlichen Gesellschaft, von der alles, was er in dieser Welt will und was ihn daran interessiert, bestimmt und geleitet wird.

Es handelt sich in der Tat um zwei Typen von Menschen. Die einen sind solche, die bewußter leben, den Lebensfragen objektiver gegenüberstehen, keine Scheuklappen tragen und solche, die mit einer vorgefaßten Meinung nur ein kleines Stück des Lebens und der Welt erblicken, die sich immer unbewußt dirigieren und unbewußt argumentieren. So kann es geschehen, daß zwei Menschen, die miteinander leben, dadurch Schwierigkeiten finden, daß der eine forwährend in der Opposition ist, ein nicht seltener Fall, der bezüglich seiner Häufigkeit vielleicht noch von jenem Fall übertroffen wird, daß beide Teile fortwährend in Opposition sind. Der Betreffende weiß nichts davon, er glaubt sogar und bringt auch Argumente dafür, daß er immer für den Frieden eintrete und daß er die Eintracht aufs höchste schätze. Aber die Tatsachen widerlegen ihn und in Wirklichkeit findet man, daß der eine kaum ein Wort sagen kann, ohne daß ihm der andere in die Flanke fällt und eine Gegenbemerkung macht und wäre diese äußerlich noch so unscheinbar und unauffällig. Genauer betrachtet ergibt sich, daß sie von einer feindseligen, kriegerischen Stimmung eingegeben ist.

So entwickeln viele Menschen in sich Kräfte, die wirksam sind, ohne daß sie etwas davon wissen. Diese im Unbewußten liegenden Kräfte beeinflussen das Leben der Menschen und können, wenn sie nicht aufgedeckt werden, zu schweren Folgen führen. Dostojewski hat einen solchen Fall in seinem Roman »Der Idiot« in einer Weise dargestellt, die immer die Bewunderung der Psychologen erregt hat. Es ist die Begebenheit, bei der eine Dame gelegentlich einer gesellschaftlichen Zusammenkunft zu einem Fürsten, der Hauptperson des Romans, in etwas stichelndem Ton sagte, er möge acht geben, daß er nicht die kostbare chinesische Vase in seiner Nähe umwerfe, worauf er versicherte, er werde acht geben. Aber einige Minuten später lag die Vase schon zerbrochen am Boden. Niemand von der Gesellschaft hat darin einen Zufall erblicken wollen, sondern eine ganz folgerichtige Handlung, die aus dem ganzen Charakter dieses Menschen, der sich durch die Worte der Dame beleidigt gefühlt hatte, entsprungen war.

Bei der Beurteilung eines Menschen sind wir nicht nur darauf angewiesen, aus seinen bewußten Handlungen und Äußerungen Schlüsse zu ziehen. Sehr oft sind wir von kleinen Details in seinem Denken und Handeln, die ihm entgehen, viel richtiger und sicherer geleitet. So wissen z. B. Menschen, die auffällige Unarten, wie Nägelbeißen, Nasenbohren u. dgl. aufweisen, gar nicht, daß sie damit verraten, daß sie trotzige Menschen sind, weil sie die Zusammenhänge nicht kennen, die zu diesen Unarten führen. Denn es ist klar, daß ein Kind wegen derlei Unarten wiederholt ermahnt worden sein muß, und, wenn es trotzdem nicht davon ließ, ein trotziger Mensch sein muß. Wäre unser Blick geübter, dann müßten wir aus allen Bewegungen eines Menschen die weitgehendsten Schlüsse ziehen können, ohne daß jemand etwas davon weiß. Denn auch in allen diesen Kleinigkeiten steckt sein ganzes Wesen.

Zwei Fälle sollen zeigen, welche Bedeutung es hat, daß die im folgenden darzustellenden Vorgänge unbewußt geblieben sind und es bleiben mußten, daß also die menschliche Seele die Fähigkeit hat, das Bewußtsein zu dirigieren, d. h. etwas bewußt zu machen, wenn es für den Standpunkt der seelischen Bewegung notwendig ist und umgekehrt, etwas im Unterbewußtsein zu belassen oder es unbewußt zu machen, wenn dies für den gleichen Zweck erforderlich erscheint.

Im ersten Fall handelt es sich um einen jungen Mann, der als Erstgeborener neben einer Schwester aufwuchs, dessen Mutter gestorben war, als er im 10. Lebensjahr stand. Von da an mußte der Vater, ein sehr intelligenter, wohlwollender und ethisch sehr hochstehender Mann, die Erziehung leiten, wobei er immer bestrebt war, den Ehrgeiz des Sohnes zu entfalten und anzuspornen. Dieser trachtete auch immer, in der vordersten Reihe zu stehen, entwickelte sich ausgezeichnet und stand tatsächlich in bezug auf seine ethischen und wissenschaftlichen Qualitäten in seinem Kreis immer an erster Stelle, sehr zur Freude seines Vaters, von dem er schon frühzeitig ausersehen worden war, im Leben eine wichtige Rolle zu spielen.

Im Verhalten dieses jungen Mannes zum Leben trat aber so manches in Erscheinung, das dem Vater Sorge machte und das er zu ändern suchte. Dem Burschen war in seiner Schwester eine hartnäckige Rivalin erwachsen. Sie entwickelte sich ebenfalls sehr gut und war immer bestrebt, mit den Waffen des Schwächeren zu siegen und ihre Geltung auf Kosten des Bruders zu vergrößern. Sie gewann auch ziemlich Raum in der kleinen Häuslichkeit und für den Bruder war dieser Kampf ein hartes Stück Arbeit. Bei ihr konnte er nicht erreichen, was ihm sonst so leicht fiel zu erreichen, Ansehen, Geltung und eine gewisse Unterordnung, wie sie ihm zufolge seiner Fortschritte von Seiten seiner Kollegen regelmäßig zuteil wurde. Der Vater bemerkte bald, daß der Junge, besonders als er in die Pubertät kam, im gesellschaftlichen Leben eine sonderbare Art annahm, die kurz darin bestand, daß er überhaupt nicht gesellschaftlich wurde, eine Abneigung bekundete, mit Bekannten oder gar fremden Leuten zusammenzukommen und geradezu Reißaus nahm, wenn es sich um Bekanntschaften mit Mädchen handelte. Anfangs schien dies dem Vater recht zu sein. Später nahmen aber diese Erscheinungen solche Dimensionen an, daß der Junge fast gar nicht mehr aus dem Haus ging, daß ihm sogar Spaziergänge, außer in späten Abendstunden, unangenehm wurden. Er schloß sich so sehr ab, daß er seine Bekannten nicht einmal grüßen wollte. Dabei war seine Stellung in der Schule und dem Vater gegenüber immer durchaus untadelig und man konnte jederzeit mit seinen Qualitäten rechnen.

Als es so weit gekommen war, daß man ihn überhaupt nirgends mehr hinbringen konnte, kam der Vater zum Arzt, und es konnte nach einigen Unterredungen folgendes festgestellt werden: der junge Mann stand auf dem Standpunkt, daß er zu kleine Ohren habe und man ihn deshalb für häßlich halte. In Wirklichkeit war dies durchaus nicht der Fall und auf den Einwand, daß seine Argumente nicht gebilligt werden könnten, da er, darauf gestützt, sich dem Verkehr mit der Gesellschaft entziehen wolle, behauptete er, auch seine Zähne und Haare seien häßlich, was ebenfalls nicht zutraf. Dagegen zeigte es sich, daß er von einem ungeheurem Ehrgeiz erfüllt war. Von diesem wußte er und er führte ihn zum Teil darauf zurück, daß der Vater immer in ihn gedrungen habe, bestrebt zu sein, eine hohe Stellung im Leben zu erreichen. Seine Zukunftspläne gipfelten darin, daß er sich der Wissenschaft ergeben wollte. Das wäre weiter nicht auffällig, wenn damit nicht der Hang verbunden gewesen wäre, der Gemeinschaft, der Mitmenschlichkeit, auszuweichen. Wie kam er zu solchen, geradezu kindischen Argumentationen? Die Argumente hätten ihn, wären sie richtig gewesen, wohl berechtigen können, mit einer gewissen Vorsicht und Ängstlichkeit ins Leben hinauszutreten; Häßlichkeit kann ihrem Träger unzweifelhaft zuweilen Schwierigkeiten bereiten.

Die weitere Untersuchung ergab folgendes: Der junge Mann hatte ein Ziel vor Augen, das er mit heftigem Ehrgeiz verfolgte. Er war bisher der Erste gewesen und wollte es auch weiterhin bleiben. Zur Erreichung dieses Zieles stehen nun verschiedene Mittel zu Gebote, wie Konzentration, Fleiß u. dgl. Offenbar war ihm das zu wenig. Er suchte außerdem krankhaft alles ihm überflüssig Scheinende aus seinem Leben auszuschalten. Wohl hätte er sich ausdrücklich bewußt sagen können: »Da ich berühmt werden und mich daher ganz meinen wissenschaftlichen Arbeiten widmen will, bin ich genötigt, mich auch jeder gesellschaftlichen Beziehung zu entschlagen.« Das hat er aber weder gesagt noch gedacht, sondern er richtete zu diesem Zweck sein Augenmerk auf die Kleinigkeit seiner angeblichen Häßlichkeit. So hat die Hervorhebung dieses geringfügigen Umstandes für ihn den Wert, daß sie ihm gestattete, was er in Wirklichkeit wollte. Er mußte nur die nötige Verve aufbringen, um falsch zu argumentieren, übertrieben zu begründen, um sein geheimes Ziel verfolgen zu können. Jeder hätte dasselbe sofort durchschaut und verstanden, wenn er gesagt hätte, er wolle, um der Erste zu werden, wie ein Asket leben. Obwohl ihm der Gedanke, eine erste Rolle spielen zu wollen, innerlich vertraut war, war in seinem Bewußtsein nichts davon zu finden, denn den Gedanken, daß er für dieses Ziel alles andere in die Schanze schlagen wolle, hat er nicht gedacht. Hätte er sich bewußt vorgenommen, seinem Ziel alles zu opfern, so wäre er lange nicht so sicher gewesen als dadurch, daß er sagte, er sei ein häßlicher Mensch und dürfe nicht in die Gesellschaft gehen. Auch macht sich einer, der offen sagt, er wolle der Erste sein und wolle daher auf mitmenschliche Beziehungen verzichten, vor seiner Umgebung lächerlich und würde auch selbst vor diesem Gedanken erschrecken. Dieser Gedanke ist als solcher nicht denkfähig. Es gibt Gedanken, die man der andern und auch seiner selbst wegen nicht klar fassen will. Daher ist ihm dieser Gedanke mit Recht unbewußt geblieben.

Macht man einem solchen Menschen diese Haupttriebfeder klar, die er sich selbst nicht klarmachen durfte, um sein Verhalten beibehalten zu können, dann stört man natürlich seinen ganzen seelischen Mechanismus. Denn nun tritt das ein, was er ja verhindern mußte, das Klarwerden eines Gedankenganges, der nicht gedacht werden kann, der denkunfähig ist und dessen Bewußtwerden sein Vorhaben stören würde. Überlegt man diese Erscheinung, die darin besteht, daß jemand Gedanken beiseite schiebt, die ihn hindern, und jene aufgreift, die ihn in seiner Stellungsnahme fördern, so wird man finden, daß das eine allgemein menschliche Erscheinung ist. Denn alle Menschen erwägen meist nur Dinge, die für ihre Anschauung und Einstellung förderlich sind. Bewußt wird also, was uns fördert und unbewußt bleibt, was unsere Argumentation stören könnte.

Der zweite Teil betrifft einen sehr fähigen Jungen, dessen Vater Lehrer war und seinen Sohn mit großer Strenge dazu drängte, immer der Erste zu sein. Auch in diesem Fall war der Primat des jungen Menschen unangefochten. Wo er auftrat, war er derjenige, der am besten beschlagen war. In der Gesellschaft war er einer der liebenswürdigsten Menschen und hatte auch einige Freunde.

Ungefähr in seinem 18. Lebensjahr trat nun eine große Veränderung ein. Er zog sich von allem zurück, nichts freute ihn mehr, er war verdrossen und mißmutig. Kaum hatte er eine Freundschaft geschlossen, ging sie schon wieder in Brüche. Jeder nahm an seinem Verhalten im Leben Anstoß bis auf seinen Vater, dem das zurückgezogene Leben seines Sohnes insofern gelegen kam, als er dabei hoffte, er werde sich dadurch um so besser dem Studium hingeben können.

Bei der Behandlung beklagte sich der Junge fortwährend, daß ihm sein Vater das Leben verleidet habe, daß er kein Selbstvertrauen und keinen Lebensmut aufbringen könne und daß ihm nur übrig bleibe in der Einsamkeit sein Leben zu vertrauern. Seine Fortschritte im Studium hatten schon nachgelassen und er war an der Hochschule durchgefallen. Wie er erzählt, hatte die Veränderung damit begonnen, daß er einmal in der Gesellschaft wegen seiner geringen Kenntnisse in der modernen Literatur verlacht worden war. Als sich Ähnliches öfters wiederholte, begann er sich immer mehr zu isolieren und von allen menschlichen Beziehungen Abstand zu nehmen. Dabei war er völlig von dem Gedanken beherrscht, daß es sein Vater sei, der die Schuld an seinem Mißerfolg trage. Das Verhältnis zwischen beiden wurde täglich schlechter.

Die beiden Fälle sind einander in mancher Beziehung ähnlich. Im ersten Fall war der Patient am Widerstand seiner Schwester gescheitert, hier war es der Vater, mit dem ein kämpferisches Verhältnis bestand. Beide Patienten hatten als Leitlinie ein Ideal, das wir als Heldenideal zu bezeichnen pflegen. Beide waren in ihrem Heldenrausch so ernüchtert worden, daß sie am liebsten die Flinte ins Korn geworfen und sich gänzlich zurückgezogen hätten. Man würde aber fehlgehen, wenn man meinte, der letztere hätte sich eines Tages gesagt: »Da ich dieses Heldendasein nicht weiterführen kann, da mir andere überlegen sind, ziehe ich mich zurück und werde mir das ganze Leben verbittern.« Gewiß hatte sein Vater unrecht, die Erziehung war schlecht. Es war auffällig, daß er für nichts anderes Augen hatte, als für diese seine schlechte Erziehung, die er immer wieder betonte. Dadurch aber, daß er sich auf diesen Standpunkt stellte, sich immerfort auf die Erkenntnis seiner schlechten Erziehung stützte, wollte er sich als berechtigt ansehen, sich zurückzuziehen. Damit erreichte er, daß er nun keine Niederlagen mehr erlitt und daß er die Schuld für sein Unglück immer dem Vater zuschieben konnte. So gelang es ihm, sich einen Teil seines Selbstbewußtseins und seiner Geltung zu retten. Er hatte ja immerhin eine glänzende Vergangenheit und sein weiterer Siegeslauf war nur durch die fatale Tatsache aufgehalten worden, daß ihn sein Vater durch eine schlechte Erziehung in seiner Entwicklung behindert hätte.

Somit war in ihm ungefähr folgender Gedankengang unbewußt geblieben: »Da ich jetzt näher an der Front des Lebens stehe und sehe, daß es mir nicht mehr so leicht sein wird, der Erste zu sein, will ich alles daransetzen, um mich vom Leben zurückzuziehen.« Dieser Gedanke ist aber denkunfähig, kein Mensch wird sich so etwas sagen. Aber dennoch kann ein Mensch so handeln, wie wenn er einen solchen Gedanken planmäßig ins Auge gefaßt hätte. Das bewerkstelligt er so, daß er andere Argumente aufgreift. Durch fortwährende Beschäftigung mit den Erziehungsfehlern seines Vaters gelingt es ihm, der Gesellschaft und den Entscheidungen des Lebens auszuweichen. Das Bewußtwerden des obigen Gedankenganges hätte ihn bei seinem geheimen Vorhaben nur gestört, er mußte daher unbewußt bleiben. Er konnte sich ja nicht sagen, er sei ein unfähiger Mensch, denn er hatte eine glänzende Vergangenheit. Wenn er jetzt keine Triumphe erreichte, so konnte nicht er daran schuld sein. Und da bot sich ihm die Gelegenheit, durch sein Verhalten gleichsam einen Beweis für die schlechte Erziehung des Vaters zu führen. Er war Richter, Kläger und Angeklagter in einer Person und diese Stellung sollte er auslassen? Er übersah, daß der Vater eben nur so lange schuld war, als es der Sohn wollte, als dieser den Hebel, den er in der Hand hatte, gebrauchte.


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