1. Spiel.


Es gibt im kindlichen Leben eine Erscheinung, die sehr deutlich die Vorbereitung auf die Zukunft zeigt, die Spiele. Sie sind durchaus nicht als eine Art launischer Einfall von Eltern oder sonstigen Erziehern zu betrachten, sondern als Behelfe der Erziehung, als Anregungen für den Geist, für die Phantasie und Geschicklichkeit. Im Spiel zeigt sich regelmäßig die Vorbereitung für die Zukunft. So in der Art, wie sich das Kind zum Spiel stellt, in der Auswahl desselben, in der Bedeutung, die es ihm beimißt. Ebenso wird sich im Spiel immer zeigen, wie das Verhältnis des Kindes zu seiner Umgebung beschaffen ist, wie es den Mitmenschen gegenübersteht, ob freundlich oder feindlich und ob insbesondere die Neigung zu herrschen besonders unterstrichen ist. Auch kann man beim Spiel beobachten, wie das Kind zum Leben eingestellt ist. Das Spiel ist also für das Kind von außerordentlicher Wichtigkeit. Die Aufdeckung dieser Tatsachen, die uns lehren, die Spiele der Kinder als Vorbereitungen für die Zukunft aufzufassen, stammt von Groß, Professor der Pädagogik, welcher zeigte, daß diese Tendenz auch den Spielen der Tiere zugrunde liegt.

Damit ist nun noch nicht jeder Gesichtspunkt erschöpft. Vor allem sind Spiele auch eine Betätigung des Gemeinschaftsgefühls, das beim Kind so groß ist, daß es unter allen Umständen darin seine Befriedigung sucht und mächtig davon angezogen wird. Kinder, die dem Spiel ausweichen, sind immer eines Fehlschlages verdächtig. Es sind das solche, die sich gern zurückziehen und, wenn sie mit andern zusammengebracht werden, gewöhnlich nur Spielverderber sind. Hochmut, mangelhafte Selbsteinschätzung und demzufolge Furcht, seine Rolle schlecht zu spielen, sind die Hauptgründe hierfür. Im allgemeinen wird man das Maß des Gemeinschaftsgefühls bei Kindern mit großer Sicherheit bei ihren Spielen bestimmen können.

Ein anderer Faktor, der im Spiel sehr deutlich in Erscheinung tritt, ist das Ziel der Überlegenheit, das sich in der Neigung zum Befehlen, zum Herrschen verraten wird. Man wird dies daran erkennen, ob und wie sich das Kind vordrängt und inwiefern es Spiele bevorzugt, die ihm Gelegenheit geben, solche Neigungen zu befriedigen und eine herrschende Rolle zu spielen. Man wird wenig Spiele finden, die nicht wenigstens einem dieser drei Faktoren, Vorbereitung für das Leben, Gemeinschaftsgefühl und Herrschsucht, Rechnung tragen.

Es gibt aber noch einen weiteren Faktor, der dem Spiel anhaftet. Das ist die Möglichkeit für das Kind, sich spielerisch zu betätigen. Im Spiel ist das Kind mehr oder weniger auf sich selbst gestellt und seine Leistungen sind im Zusammenhang mit den andern durch das Spiel erzwungen. Es gibt eine große Anzahl Spiele, die gerade das schöpferische Moment in den Vordergrund rücken. Besonders die Spiele, die dem Kind ein großes Feld zur Betätigung ihres schöpferischen Hanges bieten, bergen ein für den zukünftigen Reruf bedeutsames Element in sich. Und es ist sicher in der Lebensgegeschichte vieler Menschen vorgekommen, daß sie z. B. zuerst Kleider für Puppen machten und später für Erwachsene.

Das Spiel ist untrennbar mit der seelischen Entwicklung des Kindes verbunden. Es ist sozusagen seine Berufstätigkeit und auch so aufzufassen. Daher ist es auch keine so harmlose Sache, ein Kind in seinem Spiel zu stören. Das Spiel darf nicht als ein Vertrödeln der Zeit aufgefaßt werden. Mit Rücksicht auf das Ziel einer Vorbereitung für die Zukunft steckt in jedem Kind schon etwas von einem Erwachsenen, den es einmal vorstellen wird. Daher ist es für uns eine wichtige Erleichterung bei der Beurteilung eines Menschen, auch seine Kindheit kennenzulernen.


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