5. Die Spannung zwischen den Geschlechtern.


Was allen diesen Erscheinungen zugrunde liegt, sind Irrwege unserer Kultur. Ist diese einmal von einem Vorurteil durchsetzt, dann greift es überall durch und ist überall wiederzufinden. So stört auch das Vorurteil von der Minderwertigkeit der Frau und die damit zusammenhängende Überheblichkeit des Mannes fortwährend die Harmonie der Geschlechter. Die Folge ist eine unerhörte Spannung, die insbesondere auch in alle Liebesbeziehungen eindringt und alle Glücksmöglichkeiten ständig bedroht und vielfach vernichtet. Unser gesamtes Liebesleben wird durch diese Spannung vergiftet, es verdorrt und verödet. Hier liegt der Grund dafür, daß man so selten eine harmonische Ehe findet und daß Kinder in der Meinung aufwachsen, die Ehe sei etwas ungemein Schwieriges und Gefährliches. Vorurteile wie das oben beschriebene und Gedankengänge ähnlicher Art verhindern Kinder vielfach daran, zu einem wahren Verständnis des Lebens zu gelangen. Man denke bloß an jene zahlreichen Mädchen, die die Ehe nur als eine Art Notausgang betrachten, an jene Männer und Frauen, die in ihr nur ein notwendiges Übel erblicken. Die Schwierigkeiten, die aus dieser Spannung zwischen den Geschlechtern erwachsen sind, sind heute ins Riesenhafte gewachsen, sie sind um so größer, je stärker beim Mädchen von Kindheit an der Hang war, sich gegen die ihr aufgezwungene Rolle aufzulehnen bzw. je stärker im Manne das Verlangen ist, eine privilegierte Rolle zu spielen, trotz aller Unlogik, die darin steckt.

Das charakteristische Merkmal für eine Versöhnlichkeit, für eine Ausgeglichenheit der Geschlechter, ist die Kameradschaftlichkeit. Gerade in den Beziehungen der Geschlechter ist eine Unterordnung ebensowenig erträglich, wie im Völkerleben. Die Schwierigkeiten und Lasten, die beiden Teilen daraus erwachsen, sind so groß, daß jedermann diesem Problem seine Aufmerksamkeit schenken sollte. Denn dieses Gebiet ist so ungeheuer groß, daß es das Leben jedes Einzelnen umfaßt. Und es ist deshalb so kompliziert, weil unsere Kultur dem Kind aufgegeben hat, seine Stellungnahme im Leben so zu wählen, daß sie in einer Art von Gegensatz zum anderen Geschlecht erfolgt. Eine ruhige Erziehung würde wohl auch mit diesen Schwierigkeiten fertig werden. Aber die Hast unserer Tage, der Mangel an wirklich bewährten Erziehungsgrundsätzen, besonders aber der Konkurrenzkampf unseres ganzen Lebens wirkt sich bis in die Kinderstube hinein aus und gibt hier schon die Richtlinien für das spätere Leben. Die Gefahren, die so manche Menschen vor der Eingehung von Liebesbeziehungen zurückschrecken läßt, besteht deshalb, weil es Aufgabe des Mannes geworden ist, unter allen Umständen, auch durch List, durch »Eroberungen« seine Männlichkeit zu erweisen, was die Unbefangenheit und das Vertrauen in der Liebe zerstört. Don Juan ist sicherlich ein Mensch, der selbst nicht glaubt, daß er männlich genug sei und daher in seinen Eroberungen immer neue Beweise dafür sucht. Das zwischen den Geschlechtern herrschende Mißtrauen untergräbt jede Vertraulichkeit, und so leidet darunter die ganze Menschheit. Das übertriebene Ideal der Männlichkeit bedeutet eine Forderung, einen fortwährenden Anreiz, eine ewige Unruhe, wobei nichts anderes herauskommt als Forderungen der Eitelkeit, Selbstbereicherung und eine privilegierte Stellung, was den natürlichen Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens widerspricht. Wir haben keinen Grund, den bisherigen Zielen der Frauenbewegung nach Freiheit und Gleichberechtigung entgegenzutreten, wir müssen sie vielmehr tatkräftig unterstützen, weil schließlich Glück und Lebensfreude der ganzen Menschheit davon abhängen, daß Bedingungen geschaffen werden, die es der Frau ermöglichen, sich mit der Frauenrolle auszusöhnen, sowie davon, wie der Mann die Frage seiner Beziehung zur Frau zu lösen imstande ist.


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