b) Publikum und Prostitution


Entsprechend dieser sozialen Struktur — Kompromißbildung im schlechtesten Sinne des Wortes, da zwei gegensätzliche Tendenzen gesellschaftlichen Charakters der Prostitution Form und Gestalt verleihen: Verdammung und Förderung — wird sich die Psychologie des öffentlichen Dirnentums als einer Massenerscheinung in den Köpfen ganz eigenartig widerspiegeln, und die Haltung einzelner Personen zu dieser Frage wird wesentlich bedingt sein durch ihre Stellungnahme zu der Vorfrage: wieweit sie immanente Forderungen unseres gegenwärtigen gesellschaftlichen Lebens bejahen oder verneinen. Die Stellung eines Menschen zur Prostitutionsfrage wird uns besser über seine Haltung zu den Forderungen der Gemeinsamkeit belehren, wird ein klareres Abbild seiner sozialen Einfügung geben, als er es in der Regel selber könnte. So wird der satte zufriedene Bürger im allgemeinen das Gesellschaftsideal der legitimen Ehe gemildert durch die Prostitution als »selbstverständliche« Voraussetzung seiner Weltanschauung einverleibt haben. Wer konservativen Anschauungen huldigt, auf die Erhaltung der Zelle des Staates, der Familie, bedacht ist, zumal wer die Stärkung und Vergrößerung der Volkszahl anstrebt, wird folgerichtig die Nachteile der Prostitution ins Auge fassen. Andererseits kann die Tendenz, die einer neuen Auflösung der Familie zustrebt, Wesen und Bedeutung der Prostitution milder betrachten, möglicherweise ihre Kultivierung fordern.

Sind schon diese Typen kaum je scharf abzusondern und dogmatisch zu erfassen, so entschwindet uns der soziale Zusammenhang um so leichter, je weniger scharf sie ihre eigene Stellung zum Gesellschaftsproblem bewußt hervorheben. Ja wir werden bei derartigen Untersuchungen zumeist genötigt sein, uns unabhängig von den persönlichen Aussagen der in Betracht kommenden Personen ihre Haltung zur Gemeinsamkeit zu berechnen. Diese Notwendigkeit besteht vielleicht in noch viel höherem Maße bezüglich der Haltung zum anderen Geschlecht, aus der sich die Stellung zum Problem der Prostitution unmittelbar ergibt.

Unsere bisherige Untersuchung über die fälschenden Voraussetzungen aller Beurteiler der Prostitution zeigen uns demnach im großen und ganzen drei Gruppen von Vorurteilen, die im weiteren Verfolg der Standpunkte zu wertlosen, unfruchtbaren oder schädlichen Stellungnahmen führen, sobald man daran geht, praktische Folgerungen aus ihnen abzuleiten.

Die erste Gruppe umfaßt im allgemeinen jene Autoren, Beurteiler und Laien, die, weitabgewandt und menschenfeindlich, bereits aufgehört haben, ernstlich an einem Fortschritt der Kultur mitzuarbeiten. Entsprechend ihrem Standpunkt dem Leben gegenüber, den sie logisch nie erfaßt haben, der vielmehr in ihrer gefühlsmäßigen Haltung zum Ausdruck kommt, können sie in der Prostitution wieder nur den Beweis von der Verwerflichkeit alles Bestehenden erblicken, und ihre persönliche Stellung wird in dem sog. »notwendigen Übel«.immer mehr das Übel hervorheben, wobei meist mit angeborenen Mängeln der menschlichen Natur gerechnet und in feindseliger Weise die Zwecklosigkeit alles menschlichen Bemühens hervorgehoben wird. Oder die Unfruchtbarkeit dieses abergläubischen Standpunktes wird durch heftige, in sittliche, moralische oder religiöse Kritik gekleidete Verdammung abgelöst. Richten wir aber unseren Blick auf die von uns behauptete Anschauung, daß die Stellung eines jeden in der Frage der Prostitution — als einer integrierenden — abhängig sei von der Lösung der Vorfrage, seiner Stellung zur Gesellschaft, so werden wir finden, daß all sein Pathos nur seinem voreingenommenen Standpunkt dient und daß alles Moralisieren bisher nicht imstande war, die Prostitution zu beseitigen. — Auch Zwangsmaßregeln konnten dies nicht. Wir verstehen aber die bisherige Nutzlosigkeit aller Gegenbestrebungen, wenn wir einsehen, daß die menschliche Gesellschaft gerade eine solche Form der Prostitution nötig hat und aus sich erzeugt, bei der die einen fördernden Einfluß ausüben und die anderen hemmen oder verurteilen. Diesem Kompromißstandpunkt entsprechen auch die hierhergehörigen gesetzlichen Maßnahmen und die durchschnittliche gesellschaftliche Moral.

Man mag aber das Wesen der Prostitution noch so unbefangen betrachten, so wird man immer finden, daß es nur menschlichen Zuständen entspringen kann, die keinen Widerspruch dabei empfinden, das Weib als Mittel zur Geschlechtslust, als Objekt, als Eigentum des Mannes zu betrachten. Mit anderen Worten: die Tatsache der Prostitution ist nur in einer Gesellschaft möglich, die sich als Ziel schlechthin die Bedürfnisbefriedigung des Mannes gesetzt hat. Daher ist es auch begreiflich, daß von Seiten der Feministen und Frauenrechtler die Prostitution als eine Beleidigung der Frau empfunden und bekämpft wird. Auch diesem Standpunkt, der uns nicht unsympathisch anmutet, ist jene unbewußte Voraussetzung eigen, von der oben die Rede war: die Absicht der Revolte, des Umsturzes der bestehenden Gesellschaftsordnung mit ihren männlichen Privilegien.

Die untrennbare Verknüpfung zweier Menschheitsfragen endlich — Prostitution und Geschlechtskrankheit — macht es aus, daß auch von Seiten der Hygieniker, Volksfreunde und Nationalisten starke Angriffe gegen das Bestehen der Prostitution zu erwarten sind. Insbesondere sehen wir derartige Bestrebungen hervortreten, wenn es sich um kleine, gefährdete Nationen handelt, die noch so viel Kraft aufbringen, den Geburtenüberschuß als Gewähr ihres Bestandes zu sichern. Prüft man auch diese Kreise auf ihre Haltung zu den bestehenden Verhältnissen, so wird man auch bei ihnen, wenn auch in gemäßigtem Grade, Tendenzen als richtunggebend vorfinden, die einer oft radikalen Umänderung des gesellschaftlichen Lebens zustreben.

Fragt man nach der Gesellschaftsschichte, die sich mit dem Bestand der Prostitution ganz einverstanden erklärt, so werden wir sie selbstverständlich in jenen Kreisen finden, die den gegenwärtigen Stand der menschlichen Kultur als tauglich und unabänderlich auffassen. Es ist das jene große, kompakte Schichte, die man in romantischem Aufschwung als die Durchschnittsphilister zu bezeichnen pflegt. Da sie den größeren Teil der Stadt- und Landbewohner ausmachen, so geht auch ihre Anschauungsweise auf ihre Behörden und Verwaltungskörper über, die mit der Prostitution dann wieder als mit einer unabänderlichen Einrichtung rechnen und höchstens mit halbem Eifer den Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten führen. Zu ihnen stoßen noch eine größere Anzahl von Ärzten und Vätern, die aber auch in der Hoffnung, stärkere Emotionen ihrer Schutzbefohlenen verhüten zu können, in einer Art sexualfetischistischer Überzeugung dem regelmäßigen Geschlechtsverkehr der Jugend, d. h. dem Besuch bei Prostituierten, das Wort reden.

Auch diesen Gruppen von Bekennern mangelt die Verachtung der Prostitution nicht. Ja sie bringen es sogar fertig, die unmenschliche Mißachtung der Person einer Prostituierten mit deren Empfehlung zum Geschlechtsverkehr zu verbinden. Sie widerspiegeln derart am getreuesten die Psychologie einer Kultur, die der entwürdigten Prostitution als einer Ergänzung ihres Systems — erschwerte Fortpflanzung der Gesellschaft — nicht entraten kann.

Immerhin gibt es eine Anzahl von Typen, deren seelische Gefüge die Prostitution als ein Bedürfnis empfindet. Wir können dabei ganz absehen von den oben genannten Ärzten und von gewissen Vätern, die schwerere Konflikte ihrer Schutzempfohlenen auszuschalten glauben, indem sie die Jünglinge auf die Linie des geringsten Widerstandes verweisen. Ebenso fruchtlos wie deren Absichten erscheinen uns die Versuche der dem Knabenalter Entsprossenen, die Vorrechte ihrer gärenden Mannheit mühelos an Prostituierten erweisen zu wollen. Aber in ihrem seelischen Gefüge schwingen bereits jene Saiten, deren Töne wir deutlicher vernehmen bei drei Gruppen von Menschen, deren Beziehung zur Prostitution so innig ist, daß wir das psychologische Problem der Prostitution nur dann erst verstehen, wenn wir die Individualpsychologie dieser Personen begriffen haben.


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