3. Neid.
In dem Streben nach Macht und Überlegenheit gelangt der Mensch vielfach zu Charakterzügen des Neides. Die Distanz, in der ein Mensch zu seinem überlebensgroßen Ziel steht, macht sich ihm bekanntlich in der Form eines Minderwertigkeitsgefühls fühlbar. Sie drückt auf ihn und erfüllt ihn so sehr, daß man aus seiner Haltung und aus seinen Lebensformen den Eindruck gewinnt, dieser Mensch hat noch sehr weit zu seinem Ziel. In seiner niedrigen Selbsteinschätzung und Unzufriedenheit verfällt er meist auch in ein fortwährendes Messen, wie ein anderer zu ihm steht, was andere erreicht haben, und wird sich verkürzt fühlen. Das kann selbst dann der Fall sein, wenn er mehr hat als andere. Alle diese Erscheinungsformen des Gefühles der Verkürztheit sind Anzeichen einer verkappten, nicht befriedigten Eitelkeit, eines Immer-mehr-haben-Wollens, eines Alles-haben-Wollens. Solche Menschen sagen wohl nicht, daß sie alles haben wollen, weil sie ja meist durch die Instanz des Gemeinschaftsgefühls daran gehindert sind so zu denken, aber sie handeln so, als ob sie alles haben wollten.
Es ist begreiflich, daß Gefühle des Neides, die sich bei diesem fortwährenden Messen regen, auf Glücksmöglichkeiten nicht fördernd einwirken können. Aber so sehr uns allen, kraft des Gemeinschaftsgefühls, Neidregungen widerwärtig sind, so unbeliebt der Neid im allgemeinen ist, es wird wenig Menschen geben, die nicht irgendwelcher Neidregungen fähig wären. Wir müssen bekennen, daß wir alle nicht frei von Neid sind. Im gleichmäßigen Strom des Lebens tritt dies wohl nicht immer deutlich hervor. Wenn aber ein Mensch leidet und sich bedrängt fühlt, wenn er Mangel an Geld, Nahrung, Kleidung, Wärme empfindet, wenn sich seine Aussichten für die Zukunft verringern und er keinen Ausweg aus seiner bedrängten Lage sieht, dann wird uns verständlich, daß ein Menschengeschlecht wie das heutige, das erst im Anfange einer Kultur steht, Neidregungen empfinden wird, auch wenn es ihm Moral und Religion verbieten. So verstehen wir auch den Neid der Besitzlosen. Er wird uns erst dann unverständlich sein, wenn jemand den Beweis erbrächte, daß andere Menschen in solcher Situation nicht auch von Neidregungen befallen würden. Damit soll nur festgestellt sein, daß bei der heutigen seelischen Konstitution des Menschen mit diesem Faktor gerechnet werden muß. Es ist nicht zu vermeiden, daß er beim Einzelnen oder bei der Masse aufflammt, wenn man die Beschränkungen zu weit führt. Wenn wir aber auch den abstoßenden Formen, in denen der Neid auftritt, nicht unsere Billigung geben können, so müssen wir sagen, wir wissen eigentlich kein Mittel, um in solchen Fällen den Neid und auch den oft damit verbundenen Haß auszuschalten. Eines ist wohl jedem, der in unserer Gesellschaft lebt, im vorhinein klar, daß man solche Regungen nicht auf die Probe stellen, nicht provozieren soll, daß man so viel Taktgefühl haben muß, um diese sicher zu erwartende Erscheinung nicht hervorzurufen oder zu steigern. Obwohl damit noch nichts gebessert ist, ist es das wenigste, was man von einem Menschen verlangen kann: seine augenblickliche Überlegenheit über den anderen nicht zur Schau zu tragen, weil er dadurch jemand verletzen könnte.
An diesem Charakterzug sehen wir den unzerreißbaren Zusammenhang des Einzelnen mit der Gesamtheit. Niemand kann sich aus der Gemeinschaft hervorheben und seine Macht über die anderen ausbreiten, ohne daß gleichzeitig auch auf der Gegenseite dadurch Kräfte wachgerufen werden, die sein Beginnen wieder zu verhindern trachten. Neid drängt immer zu Handlungen und Maßregeln, die wieder auf die Parität, auf die Gleichwertigkeit der Menschen hinzielen. So kommen wir gedanklich wie durch unsere Einfühlung einem Grundsatz der menschlichen Gesellschaft nahe, der an keiner Stelle verletzt werden kann, ohne daß sich anderswo sofort Gegenkräfte rühren, nämlich dem Gesetz der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt.
Die Ausdrucksform des Neides ist schon mimisch, besonders am Blick, leicht zu erkennen. Auch physiologisch kommt eine Neidregung zum Ausdruck, was sich auch in gewissen Redewendungen äußert. Man spricht von gelbem oder blassem Neid, wodurch darauf hingewiesen ist, daß Gefühle des Neides unsere Blutzirkulation beeinflussen. Organisch äußert sich der Neid nicht anders als durch eine Zusammenziehung der äußeren Blutgefäße.
Was die pädagogische Erkenntnis betrifft, so müssen wir bemüht sein, Neidregungen, wenn wir sie schon nicht aus der Welt schaffen können, wenigstens dem allgemeinen Nutzen dienstbar zu machen und zu versuchen, ihnen einen Weg zu bahnen, auf dem sie ohne zu große Erschütterungen des Seelenlebens fruchtbar werden können. Das gilt sowohl für den Einzelnen wie auch für die Masse. Im Leben des Einzelnen müssen wir versuchen, solchen Kindern Betätigungen zu verschaffen, die ihr Selbstbewußtsein heben. Im Leben der Völker wird kaum etwas anderes übrig bleiben als jenen, die sich zurückgesetzt fühlen und vielleicht ebenfalls mit unfruchtbarem Neid zusehen, wie sich der Wohlstand anderer Völker hebt, Wege zur Entfaltung brachliegender Kräfte zu weisen und zu ermöglichen. Ein zeitlebens von Neid erfüllter Mensch ist für ein Zusammenleben unfruchtbar. Er wird immer den Wunsch zeigen, dem andern etwas wegzunehmen, ihn irgendwie zu verkürzen, zu stören und wird die Neigung haben, für das, was er nicht erreicht hat, Ausreden geltend zu machen und andere zu beschuldigen. Er wird das Bild eines Kämpfers abgeben, eines Spielverderbers, eines Menschen, der für gute Beziehungen zu andern nicht viel übrig hat, der keine Vorbereitungen trifft, sich für ein Zusammenleben mit ihnen tauglich zu machen. Da er sich kaum die Mühe nehmen wird, sich in die Seele anderer einzufühlen, wird er auch stets ein schlechter Menschenkenner sein und mit seinem Urteil andere verletzen. Es wird ihn nicht berühren, wenn ein anderer unter seiner Handlungsweise leidet. Der Neid kann den Menschen sogar so weit bringen, daß er im Leid seines Nächsten eine Art von Genugtuung empfindet.