2. Funktion des seelischen Organs.
Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus die Funktion des Seelenlebens überblicken, so wird uns klar, daß hier die Entwicklung einer angeborenen Fähigkeit vor uns liegt, die ausersehen ist, ein Angriffs-, Abwehr- oder Sicherungs-, ein Schutzorgan vorzustellen, je nachdem, ob die Situation eines Lebensorganismus den Angriff oder die Sicherung verlangt. Wir können also ein Seelenleben nur betrachten als einen Komplex von Angriffsund Sicherungsvorkehrungen, die auf die Welt rückzuwirken haben, um den Bestand des menschlichen Organismus zu gewährleisten und seine Entwicklung sicherzustellen. Ist diese Bedingung einmal festgehalten, dann ergeben sich weitere Bedingungen, die für die Erfassung dessen, was wir als Seele betrachten wollen, wichtig sind. Wir können uns ein Seelenleben, das isoliert ist, nicht vorstellen, sondern nur ein Seelenleben, das mit allem, von dem es umgeben ist, verknüpft ist, das Anregungen von außen aufnimmt und irgendwie beantwortet, das über Möglichkeiten und Kräfte verfügt, die nötig sind, um den Organismus gegenüber der Umwelt oder im Bunde mit ihr zu sichern und sein Leben zu gewährleisten.
Die Zusammenhänge, die sich nun unserem Auge erschließen, sind mannigfach. Sie betreffen zuerst den Organismus selbst, die Eigenart des Menschen, seine Körperlichkeit, Vorzüge und Nachteile. Das sind aber nur ganz relative Begriffe. Denn es ist durchaus verschieden, ob irgendeine Kraft, irgendein Organ einen Vorzug oder einen Nachteil bedeutet. Beides wird sich aus der Situation ergeben, in der sich das Individuum befindet. So stellt bekanntlich der Fuß des Menschen in gewissem Sinne eine verkümmerte Hand vor. Diese wäre z. B. für ein Klettertier ein ungeheurer Nachteil, ist aber bei einem Menschen, der sich auf dem Boden bewegt, ein solcher Vorteil, daß keiner wünschen würde, statt des Fußes etwa eine normale Hand zu haben. Überhaupt finden wir im persönlichen Leben, wie im Leben aller Völker, daß Minderwertigkeiten nicht etwa so aufzufassen sind, als ob sie immer die ganze Last der Nachteile in sich bergen würden, sondern es kommt auf die Situation an, in der dies entschieden wird. Wir ahnen, ein wie ungeheuer weites Feld der Betrachtung sich auch hinsichtlich der Beziehungen ergibt, in denen das menschliche Seelenleben zu allen Forderungen kosmischer Natur steht, wie zu Wandel von Tag und Nacht, zur Herrschaft der Sonne, zur Bewegtheit der Atome usw. Auch diese Einflüsse stehen in innigem Zusammenhang mit der Eigenart unseres Seelenlebens.