[Das einzige Kind.]


Auch das einzige Kind befindet sich in einer Situation von besonderer Art. Es ist den erzieherischen Angriffen seiner Umgebung voll ausgesetzt. Die Eltern haben sozusagen keine Auswahl, sie stürzen sich mit ihrem ganzen erzieherischen Elan auf dieses einzige Kind. Dieses wird in höchstem Grade unselbständig, wartet immer, daß ihm jemand den Weg zeigt, es sucht stets nach einer Stütze. Vielfach verzärtelt, gewöhnt es sich daran, keine Schwierigkeiten zu erwarten, weil man sie ihm immer aus dem Weg geräumt hat. Da es sich immer im Mittelpunkt der Betrachtung befindet, bekommt es leicht das Gefühl, etwas Besonderes zu gelten. Seine Position ist so schwierig, daß fehlerhafte Stellungsnahmen fast unausweichlich sind. Wenn allerdings die Eltern wissen, welche Bedeutung solchen Situationen zukommt und was für Gefahren sie bergen, dann ist auch die Möglichkeit da, verschiedenes zu verhindern. Eine schwierige Angelegenheit bleibt es aber immer. Oft sind es äußerst vorsichtige Eltern, die das Leben selbst als besonders schwer empfinden, daher mit übergroßer Vorsicht zu Werke gehen, was sich dem Kind vielfach als ein verstärkter Druck fühlbar macht. Die stete Besorgnis für das Wohlergehen des Kindes wird diesem Gedanken nahelegen, ihm Anregungen geben, sich die Welt feindlich zu denken. So wächst das Kind heran in ewiger Angst vor den Schwierigkeiten, die ihm bevorstehen, ungeübt, ohne Vorbereitung, weil man es immer nur vom Angenehmen des Lebens hat kosten lassen. Solche Kinder werden mit jeder selbständigen Tätigkeit Schwierigkeiten haben und für das Leben untauglich werden. Sie können leicht Schiffbruch leiden. Manchmal ähnelt ihr Leben dem von Parasiten, die nur genießen, während andere alles für sie besorgen müssen.

Es sind verschiedene Kombinationen möglich, in denen mehrere Geschwister gleichen oder verschiedenen Geschlechts miteinander konkurrieren. Desto schwieriger kann sich demgemäß die Beurteilung des einzelnen Falles gestalten. Besonders schwierig ist die Situation eines einzigen Knaben unter mehreren Mädchen. In einem solchen Haus dominiert der weibliche Einfluß, der Knabe ist meist stark in den Hintergrund gedrängt, besonders wenn er der jüngste ist und sieht sich bald einer geschlossenen Phalanx gegenüber. Sein Geltungsdrang begegnet bei seiner Betätigung großen Hindernissen. Von allen Seiten angegriffen, wird er sich des Privilegs, das unsere zurückgebliebene Kultur den Männern gibt, nie recht bewußt werden und unsicher werden. Die Verschüchterung kann so weit gehen, daß er gelegentlich die männliche Stellung als die schwächere empfindet. Sein Mut und sein Selbstvertrauen kommt leicht ins Wanken oder dieser Stachel wirkt so heftig, daß sich der Knabe zu großen Leistungen aufschwingt. Beide Fälle entspringen der gleichen Situation. Was schließlich aus solchen Knaben wird, ist natürlich durch die näheren Umstände bedingt. Einen einheitlichen Zug kann man aber wohl nie ganz bei ihnen vermissen.


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