Zufall - Mill, Schopenhauer, Simmel


Nach J. ST. MILL besteht der Zufall im der nicht gesetzlich bestimmten Verbindung zweier Kausalreihen (Log. II, 55). SCHOPENHAUER erklärt: »Das kontradiktorische Gegenteil, d.h. die Verneinung der Notwendigkeit, ist die Zufälligkeit. Der Inhalt dieses Begriffs ist daher negativ, nämlich weiter nichts als dieses: Mangel der durch den Satz vom Grunde ausgedrückten Verbindung. Folglich ist auch das Zufällige immer nur relativ. nämlich in Beziehung auf etwas, das nicht sein Grund ist, ist es ein solches. Jedes Objekt... ist allemal notwendig und zufällig zugleich. notwendig in Beziehung auf das eine, zufällig in Beziehung auf alles übrige. Denn ihre Berührung in Zeit und Raum mit allem übrigen ist ein bloßes Zusammentreffen, ohne notwendige Verbindung: daher auch die Wörter Zufall, symptôma, contingens. So wenig daher, wie ein absolut Notwendiges, ist ein absolut Zufälliges denkbar. Denn dieses letztere wäre eben ein Objekt, welches zu keinem andern im Verhältnis der Folge zum Grunde stände. Die Unvorstellbarkeit eines solchen ist aber gerade der negativ ausgedrückte Inhalt des Satzes vom Grunde, welcher also erst umgestoßen werden mußte, um ein absolut Zufälliges zu denken...« »In der Natur, sofern sie anschauliche Vorstellung ist, ist alles, was geschieht, notwendig, denn es geht aus seiner Ursache hervor. Betrachten wir aber dieses einzelne in Beziehung auf das übrige, welches nicht seine Ursache ist, so erkennen wir es als zufällig: dies ist aber schon eine abstrakte Reflexion« (W. a. W. u. V. I, 462). Nach K. E. V. BAER ist Zufall »ein Geschehen, das mit einem andern Geschehen zusammentrifft, mit dem es nicht in ursächlichem. Zusammenhang steht« (Stud. auf d. Gebiete d. Naturwiss. S. 71). Nach RÜMELIN besteht Zufall, »wo aus dem zeitlichen und räumlichen Zusammentreffen von zweien oder mehreren, unter sich durch kein Kausalverhältnis verbundenen Ereignissen neue Wirkungen hervorgebracht werden, die ohne diesen Kontakt nicht eingetreten wären« (Red. u. Aufs. II, 130). Nach B. CARNERI ist Zufall »nur die Kreuzung verschiedener Tätigkeitsrichtungen, infolge deren das, was aus dem ungestörten Fortschreiten der einen Richtung entstanden wäre, durch das Eingreifen einer andern, nicht im Kausalnexus dieser Richtung liegenden Tätigkeit entweder modifiziert wird oder ganz unterbleibt« (Sittl. u. Darwin. S. 124). Nach WINDELBAND ist Zufall (Subjektiv) »das durch keine Notwendigkeit bedingte Wirklichwerden einer Möglichkeit« (Die Lehren vom Zufall 1870, S. 4 f.). Die »räumlich-zeitliche Koinzidenz von Tatsachen, zwischen denen kein Verhältnis der Kausalität stattfindet«, ist der relative Zufall (l. c. S. 22. vgl. S. 24). Zufall ist jede Koinzidenz von Tatsachen, »die weder miteinander im Verhältnis von Ursache und Wirkung stehen noch von einer gemeinschaftlichen Ursache abhängen, also nicht notwendig miteinander verbunden sind« (l. c. S. 24 ff.). Der Zufall ist (wie K. FISCHER, Log. u. Met.2, S. 387 sagt) »das vereinzelte Faktum« (l. c. S. 27). In keiner Wirkung stellt sich ein einzelnes Gesetz rein dar (l. c. S. 29). Die Modifikationen, die Fälle des Gesetzes sind als einzelne Fälle zufällig (l. c. S. 30. vgl. TRENDELENBURG, Log. Unt. II, 192). In dem »Eintritt unberechenbarer Nebenbedingungen« besteht der Zufall (l. c. S. 31). Zufällig ist ferner, »was entweder gegen oder ohne die menschliche Absicht in dem Bereich der zweckmäßigen Handlungen vor sieh geht« (l. c. S. 57), ferner die nicht im Zweck des Weltgeschehens liegenden Nebenwirkungen (l. c. S. 67). In allen Fällen ist der Zufall »ein Prinzip unserer Betrachtung, nicht ein Prinzip des Geschehens: er ist eine Anschauungsweise des einzelnen, sofern es in irgend einer Weise vom Allgemeinen getrennt wird, und enthüllt sich immer als eine Täuschung, wo er auf das Allgemeine selbst als Realprinzip angewendet werden soll« (l, c. S. 68 f.). »Überall, wo durch das menschliche Denken das Allgemeine und das Besondere auseinander gerissen werden, entsteht das Phänomen der Zufälligkeit: die reale Welt als die vollkommene Identität des Allgemeinen und des Besondern kennt nur die innige Einheit einer gemeinschaftlichen Wirksamkeit, in der alles, wie es darin seinen Grund der Entstehung hat, auch seine wertvolle Verwendung findet« (l. c. S. 78 ff.). Die Subjektivität des Zufalls lehrt M. CARRIERE. Er gilt nur für die unbeabsichtigten Ereignisse, die durch die Lebensäußerungen verschiedener Wesen sich mit ergeben (Ästh. II, 33). Den objektiven absoluten Zufall leugnet H. LORM (Grundlos. Optimism. S. 182). so auch E. DÜHRING (Wirklichkeitsphilos. S. 380) u. a. Nach WUNDT sind zufällig »die Wirkungen derjenigen Ursachen, durch welche die Erscheinungen im einzelnen in unregelmäßiger Weise abgeändert werden, während sie sich bei gehäufter Beobachtung vollständig aufheben« (Log. I, 401). Nach SCHUPPE ist etwas zufällig »in Relation auf einen solchen Vorgänger oder Begleiter, dessen Qualität mit der des als zufällig Bezeichneten nicht gesetzlich vereint ist, sondern letztere weder fordert noch ausschließt« (Log. S. 68. vgl. S. 76). M. PALÁGYI erklärt: »Eine jede Tatsache ist notwendig, und es gibt nirgends zufällige Tatsachen.« In der ewigen Ordnung hat alles seine feste Stelle (Log. auf d. Scheidew. S. 152 ff.). - G. SIMMEL bemerkt: »Die Zufälligkeit ist aus unserem Weltbild nicht zu entfernen, weil der Anfang desselben zufällig war und alles Spätere nur eine Entwicklung dieses ersten Zutandes ist - eine Entwicklung, welche erst unter Voraussetzung eben dieses nicht mehr zufällig ist« (Probl. d. Geschichtsphilos. 1892, S. 42). Nach BOUTROUX gibt es in der Natur etwas, was nicht notwendige Folge des Vorhergehenden ist (La contingence des lois de la nature. vgl. JANET, Princ. d. mét. p. 30 ff.). - Vgl. M. CANTOR, Das Gesetz im Zufall, 1877. L. NOËL, La philos. de la contingence, Revue Néo-Scolastique IX, 1901. - Vgl. Akzidens, Kontingenz.


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