Ding-an-sich - Descartes, Locke, Kant


Der Begriff des »An-sich« (s. d.) findet sich schon in der antiken Philosophie. Die Kyrenaiker unterscheiden von dem objektiven Bewußtseinsinhalte (to pathos êmin esti phainomenon) das Ding an sich, das unbekannt ist (to ektos hypokeimenon kai tou pathous poiêtikon, Sext. Empir. adv. Math. VII, 191). Auch CHRYSIPP unterscheidet Erscheinung und Ding (l.c. VIII, 11; Pyrrhon. hypot. II, 7).

Nach DESCARTES sagen uns die Sinnesqualitäten in der Regel nichts über die Beschaffenheit der Dinge an sich. »Satis erit, si advertamus, sensuum perceptiones non referri nisi ad istam corporis humani cum mente coniunctionem, et nobis quidem ordinarie exhibere, quid ad illam externa corpora prodesse possint, aut nocere; non autem, nisi interdum et ex accidenti, nos docere, qualia in seïpsis existant« (Princ. philos. II, 3). MALEBRANCHE meint, Gott schaue die Dinge an sich (»en elles-mêmes«). LEIBNIZ sieht in den Monaden (s. d.) Dinge an sich, deren Phänomene die Körper sind.

LOCKE hält das Wesen des Geistes und der Materie, die »things themselves«, für unbekannt; so auch HUME (Treat. Einl. S. 5). MAUPERTUIS erklärt: »Nous vivons dans un monde où rien de ce que nous apercevons ne ressemble à ce que nous apercevons. Des êtres inconnus excitent dans notre âme tous les sentiments, toutes les perceptions, qu'elle éprouve, et, ne ressemblant à aucune des choses que nous apercevons, nous les représentent toutes« (Lettres philos. 1752). Nach CONDILLAC steht es fest, daß wir nicht die Dinge an sich wahrnehmen. Sie können ganz anders sein, als sie sich uns darstellen (Trait. d. sens. IV, 5, § 1). BONNET unterscheidet die Erscheinung (»ce que la chose paraît être«) von der »chose en soi«. »Autrefois on cherchait ce que les choses sont en elles-mêmes, et on disait orgueillensement des savantes sottises. Aujourd' hui on cherche ce que les choses sont par rapport à nous, et ont dit modestement des grandes vérités.« »L'essence réelle de l'âme nous est aussi inconnue que celle du corps. Nous ne connaissons l'âme que par ses facultés, comme nous ne conaissons le corps que par ses attributs« (Ess. de Psychol.c. 36). Ähnlich HEMSTERHUIS. Nach LAMBERT ist die Sache, »wie sie an sich ist«, zu unterscheiden von der Sache »wie wir sie empfinden, vorstellen« (Organ. Phaen. I, § 20, 51).

Eine neue Prägung bekommt der Begriff des Ding an sich bei KANT. Er versteht darunter das unerkennbare Sein der Dinge außerhalb des erkennenden Bewußtseins, den »Grund« unserer Wahrnehmungen. Es sind uns Dinge gegeben, »allein von dem, was sie an sich sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen (d. i. die Vorstellungen, die sie uns wirken)« (Prolegom. § 13, Anm. II). Die Dinge an sich sind uns gänzlich unbekannt, alles Vorstellbare, positiv begrifflich zu Bestimmende gehört zur Erscheinung (s. d.), die aber ein »Korrelat« an sich haben muß (Krit. d. r. Vern. S. 57). »Was für eine Bewandtnis es mit den Gegenständen an sich und abgesondert von aller dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt« (l.c. S. 66). Doch kann, ja muß die Existenz von Dingen an sich zwar nicht erkannt, aber doch wenigstens gedacht werden. »Denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint« (l.c. Vorr. z. 2. Ausg., S. 23). Der »Grund des Stoffes sinnlicher Vorstellungen« liegt in etwas »Übersinnlichem«; »die Gegenstände, als Dinge an sich, geben den Stoff zu empirischen Anschauungen (sie enthalten den Grund, das Vorstellungsvermögen, seiner Sinnlichkeit gemäß, zu bestimmen), aber sie sind nicht der Stoff derselben« (Üb. e. Entdeck. S. 35 f.). Die praktische Philosophie Kants ist geneigt, den reinen Willen, d.h. den freien, sich selbst zur Sittlichkeit bestimmenden Willen, als Ding an sich anzusehen (Kr. d. pr. Vern. 1. T., 1. B., 3. Hptst.). Als »Noumenon« (s. d.) ist das Ding an sich ein »Grenzbegriff« (Kr. d. r. Vern. S. 235).


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