Denken - Schopenhauer, Wundt, Husserl


Der Voluntarismus (s. d.) betrachtet als das eigentlich Aktive im Denken den Willen (s. d.), der (in der aktiven Aufmerksamkeit) den Lauf der Vorstellungen hemmt, regelt, der (durch die Apperzeption, s. d.) Vorstellungen und Vorstellungsbestandteile auswählt, bevorzugt, zur Klarheit bringt. Nach SCHOPENHAUER ist das Denken eine Funktion des (im Gehirn objectivierten) Willens (s. d.). RÜMELIN betont: »Der Intellekt ist nicht das Primäre und Leitende in uns, sondern er nimmt eine sekundäre und dienende Stellung ein. Alle seine Tätigkeiten sind nur formeller Art und bestehen in einem fortwährenden Bilden und Umbilden, Verknüpfen und Unterscheiden nach stets gleichen Formen und Gesetzen. Seine Richtung, sein Stoff wird ihm durch den Willen, oder..., da es kein Wollen im allgemeinen geben kann, durch die Triebe gesetzt« (Red. u. Aufs. I, 64 f.). »Die Triebe... sind die Direktiven des Intellekts« (l.c. S. 65). Nach TÖNNIES liegt dem Denken ein Gefühls- und Willenscharakter zugrunde (Gem. und Gesellsch. S. 139 f.). Das abstrakte Denken ist die »mit wacher Aufmerksamkeit geschehende Vergleichung von Daten, welche bloß vermöge der mit Wortzeichen operierenden Erinnerung wahrnehmbar sind, ihre Auflösung und Zusammensetzung« (l.c. S. 168 f.). SULLY betont: »Das Kind offenbart sich als Denker zuerst dunkel auf praktischem Gebiet. Die Denkfähigkeit ist bei der Entwicklung der Rasse zuerst durch die Erregung des instinktiven Begehrens und Widerstrebens in Tätigkeit gesetzt worden« (Unters. üb. d. Kindh. S. 65). Nach KREIBIG ist das Denken eine Willenserscheinung (Die Aufmerks. S. 3). - WUNDT erblickt im Denken eine Funktion der Aufmerksamkeit oder Apperzeption (s. d.). Das Denken ist, psychologisch, Willenstätigkeit, innere Willenshandlung, die das Material der Assoziationen bewußt verwertet. Das Denken ist willkürliche, zweckvolle Tätigkeit. Indem verschiedene Assoziationen miteinander in Kampf geraten, ist es »der willkürlich fixierte Zweck des Gedankenverlaufs, der einer bestimmten, diesem Zweck entsprechenden Verbindung vor anderen den Vorzug gibt« (Syst. d. Philos. S. 41; Grdz. d. phys. Psychol. II4, 479 f.; Log. I2, 79 f.; Gr. d. Psychol.5, S. 301 ff.). Die Merkmale des Denkens sind (psychologisch): 1) subjektive Tätigkeit (Spontaneität), 2) selbstbewußte Tätigkeit, 3) beziehende Tätigkeit (Syst. d. Philos.2, S. 35 ff.). Die logischen Merkmale des Denkens sind Evidenz (s. d.) und Allgemeingültigkeit (s. d.). Das Denken als Verstandestätigkeit (s. d.) wird von einem Gesetz der »diskursiven Gliederung von Gesamtvorstellungen«, vom Gesetz der »Dualität der logischen Denkformen« (s. d.) beherrscht. Das abstrakte Denken entwickelt sich Hand in Hand mit der Sprache (Gr. d. Psychol.5, S. 365). Logisch ist das Denken »jedes Vorstellen, welches einen logischen Wert besitzt«. Ein leeres, reines Denken gibt es nicht (Log. I2, S. 59; 435; Syst. d. Philos.2, S. 85 ff.) Zwischen Denken und Sein besteht keine Identität, wohl aber eine Konformität. Die Denkfunktionen sind die Hülfsmittel, mit denen wir die realen Beziehungen der Objekte auffinden und sie in idealer Weise (begrifflich-symbolisch) nachkonstruieren (Ideal-Realismus) (Log. I2, S. 86 f., 90, 98 f., 6 f.; Grdz. d. phys. Psychol. II4, 479 f.). Die Einheit von Denken und Sein besteht nur vor der Differenzierung des Bewußtseins in Subjekt und Objekt (Syst. d. Philos.2, S. 87 f.). Das Denken beginnt schon an der Anschauung (Syst. d. Philos.2, S. 67, 77, 150 ff.; Log. I2, 558 ff.). KÜLPE bemerkt: »Die innere Willenshandlung tritt uns namentlich beim Denken entgegen. Auch hier handelt es sich um eine antizipierende Apperzeption, die teils einen größeren, teils einen kleineren Kreis einzelner, Reproduktionen beherrscht und sich nur durch die Konsequenz, mit der alles diesem Kreise Fernstehende zurückgehalten oder verdrängt wird, von zufälligen Reproduktionsmotiven unterscheidet« (Gr. d. Psychol. S. 464). »Nicht durch eine besondere Art von Verbindungen, sondern nur durch die Leitung des Vorstellungsverlaufs vermittelst antizipierender Apperzeptionen scheint uns das Denken von dem automatischen Spiel der Vorstellungen sich zu unterscheiden« (ib.) Nach W. JERUSALEM ist das Denken (praktisch) das Überlegen, das unseren Entschlüssen voranzugehen pflegt, theoretisch die Seelentätigkeit, die bei der Erforschung der Wahrheit wirksam ist. Das Denken ist der vom Willen beeinflußte, d. h. der apperzeptive Vorstellungsverlauf (Lehrb. d. Psychol.3, S. 103). - HUSSERL erklärt: »Alles Denken... vollzieht sich in gewissen ›Akten‹, die im Zusammenhange der ausdrückenden Rede auftreten. In diesen Akten liegt die Quelle all der Geltungseinheiten, die als Denk- und Erkenntnisobjekte oder als deren Theorien und Wissenschaften dem Denkenden gegenüberstehen« (Log. Unt. II, 472). Das objektiv Gedachte gilt allgemein, unabhängig vom Acte des Denkens (s. Wahrheit). Nach FLECHSIG gibt es »Kogitationszentren« (s. d.). M. BENEDICT bemerkt: »In der grauen Substanz des Stirnhirns befindet sich ein eigenes Sammelorgan, ein Leistungsknoten für die höhere Denktätigkeit - ein Denker-Organ« (Die Seelenkunde d. Mensch. S. 79). Damit ist eine phrenologische Anschauung GALLS wieder erneuert. Vgl. Gedanke, Verstand, Ökonomie, Urteil, Wahrnehmung, Erkennen, Rationalismus, Panlogismus, Parallelismus (logischer).


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