Zweck. - Windelband, Natorp, Nietzsche


Nach WINDELBAND ist der gesamte kausale Prozess »die Realisierung eines höchsten, ihn bedingenden Zweckes« (Die Lehren vom Zufall, S. 55, 65). Die Zwecknotwendigkeit stellt sich von ihrer phänomenalen Seite als die kausale Notwendigkeit dar (l. c. S. 66 f.). Nach RIEHL ist der Zweck die »praktische Vorstellung des Endes: das Endziel« (Philos. Krit. II 2, 337). Das bewußte Streben nach Selbsterhaltung ist die Quelle aller Zweckvorstellung (l. c. S. 338). Die Zweckmäßigkeit beruht auf kausaler Gesetzmäßigkeit (l. c. S. 339). Auf das Weltganze ist der Zweckbegriff nicht anwendbar (l. c. S. 337). »Der Zweck, ohne Frage das Prinzip des Wollens und Handelns selbstbewußter Wesen, ist kein Prinzip der Erklärung irgend einer Naturerscheinung. Er ist ein ›Fremding‹ in der Naturwissenschaft und höchstens uneigentlich darf er in ihr verwendet werden: als Formel, als abgekürzter Ausdruck für die Form des Zusammenwirkens physischer Prozesse, welche das Leben bedingt.« Die Teleologie »gehört nicht zur Erkenntnis der Natur, sondern zu ihrer Beurteilung« (Zur Einf. in d. Philos. S. 173). Auch nach FR. SCHULTZE gehört die Zweckursache nicht zum Organon des kritischen Naturerkennens (Philos. d. Naturwiss. II, 328 ff.). Nach R. STAMMLER ist der Zweck nichts außer uns Seiendes. »Er besagt eine grundsätzliche Richtung für den Inhalt unseres Bewußtseins« (Lehre vom richt. Recht, S. 616). Auch nach H. COHEN ist die Zweckkategorie kein Ding, sondern eine Methode (Log. S. 309). NATORP erklärt: »Selbstbewußte Entwicklung allein vermag sich zu denken unter der Idee eines Zieles, das sie erreichen solle« (Sozialpäd.2, S. 10). Im Gedanken des Zwecks wird »der Endpunkt einer Veränderungsreihe gedacht als durch uns voraus in Freiheit bestimmt und sodann rückwärts bestimmend für die Reihe der Veränderungen, für den Weg, der vorn gegebenen Anfangspunkt zu diesem gedachten Endpunkt zu beschreiben sei« (l. c. S. 30). »Endziel« in jeder Zwecksetzung ist »die jeder einzelnen Willensentscheidung vorgehende weil logisch übergeordnete Einheit, in der alle Zwecksetzung sich vereinige.« Die Zweckgesetze haben ihren einzigen positiven Grund in dem »Urgesetze der Gesetzlichkeit selbst und überhaupt« (l. c. S. 37). Die Zwecksetzung ist also eine »eigene, selbständig begründete Methode des Denkens« (ib.). Die Kausalität beherrscht die Wahl der Mittel zu jedem gewählten Zweck (l. c. S. 38). Endzweck alles Wollens ist nichts anderes als »die formale Einheit der Idee, nämlich des unbedingt Gesetzlichen« (l. c. S. 40f.). Als Produkt kausaler Faktoren, insbesondere der »Auslese« betrachtet die organische Zweckmäßigkeit CH. DARWIN (s. Evolution). Nach CZOLBE ist der Zweckzusammenhang »eine höhere Potenz oder Kombination des Kausalzusammenhangs« (Neue Darstell. d. Sensual. S. 185 f.). Die Gattungen der Naturkörper sind »teils gleichgültig koordiniert, teils in dem Verhältnis der passenden Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke subordiniert«. Alle Zwecke sind dem höchsten Zwecke: dem möglichsten Glücke aller lebenden Wesen, subordiniert (Gr. u. Urspr. d. menschl. Erk. S. 174 ff.). Eine Konstruktion des Alls in der Weise, daß weitgehende Gesamtstörungen nicht eintreten können, nimmt O. CASPARI an (Zusammenh. d. Dinge, S. 125). Vgl. NÄGELI, Akad. Vortr. 1865, II, 9. P. COSSMANN, Elemente d. empir. Teleologie, 1899. Eine bloß Subjektiv-psychologische Kategorie ist der Zweck nach J. BAHNSEN (Zur Philos. d. Gesch. S. 17 f.. vgl. Pessimisten-Brevier, S. 22). Nach R. STEINER gibt es keine Naturzwecke (Philos. d. Freih. S. 170 ff.). Das ist auch die Ansicht NIETZSCHE S. Der vermeintliche »Zweck« des Handelns ist nur ein kleiner Teil des wirklichen Erfolges. Die Zweckvorstellung entsteht, nachdem schon die Handlung im Werden ist. erreicht wird er nur zufällig, als Resultat der Selektion, nach vielen Versuchen (WW. XII, 1, 63. vgl. 272 ff.). »Der Zufall kann die schönste Melodie erfinden.« »In der unendlichen Fülle von wirklichen Fällen müssen auch die günstigen oder zweckmäßigen sein« (Elisab. Förster- Nietzsche, Das Leben Nietzsches 1895, I, 354 ff.). »Jene eisernen Hände der Notwendigkeit, welche den Würfelbecher des Zufalls schütteln, spielen ihr Spiel unendliche Zeit: da müssen Würfe vorkommen, die der Zweckmäßigkeit und Vernünftigkeit jedes Grades vollkommen ähnlich sehen« (Morgenröte, 130). Antiteleologisch lehren E. HAECKEL u. a. - Noch eine Reihe von Definitionen des Zweckes ist anzufahren. SUABEDISSEN bestimmt: »Was der Mensch will und durch Handeln zu verwirklichen sucht, das ist sein Zweck« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 140). ULRICI erklärt: »Der Zweck eines Dinges ist... seine Bestimmung, d.h. diejenige Bestimmtheit... seines Wesens, durch die es befähigt ist, zur Erreichung dessen, was es selber sein soll..., durch seine Tätigkeit hinzuwirken« (Gott u. d. Nat. S. 593). Nach HAGEMANN ist Zweck, »was durch die Tätigkeit der bewirkenden Ursache erreicht werden soll«. Zu unterscheiden sind beabsichtigter - erreichter, innerer - äußerer Zweck. »Der Zweck ist zunächst als Absicht in der bewirkenden Ursache vorhanden, d.h. als Gedanke dessen, was erreicht werden soll. Dieses stellt sich dem Wirkenden als ein (wirkliches oder doch scheinbares) Gut dar, fordert daher seine Tatkraft heraus und bestimmt die Richtung seiner Tätigkeit. Als Absicht ist der Zweck das erste in der Reihenfolge der Momente, wodurch eine Wirkung zustande kommt, weil durch ihn zuerst die wirkende Ursache zur Wirksamkeit angetrieben wird. Der erreichte Zweck aber... ist das letzte in der Reihenfolge jener Momente, weil in ihm die Wirksamkeit ihren Zielund Ruhepunkt gefunden hat (finis est primum in intentione, ultimum in executione). Es folgt hieraus, daß allein ein vernünftiges, freies Wesen nach Zwecken handeln kann« (Met.2, S. 41 f.). Nach G. H. SCHNEIDER ist der Zweck »eine vorgestellte und gewollte Erscheinung, welche durch kausale Zwischenglieder, durch Mittel herbeigeführt wird, also das vorgestellte Endglied einer kausalen Erscheinungskette« (Menschl. Wille, S. 32). Das konkrete Zweckbewußtsein ist die Vorstellung von einer kausalen Erscheinungsreihe (l. c. S. 247 ff.). Nach H. SCHWARZ sind Zwecke Vorstellungsgegenstände als Ziele unserer Willensregungen (Psychol. d. Will. S. 183. vgl. S. 320). Nach KREIBIG ist der Zweck »jene äußere Wirkung..., welche der Handelnde durch seine einzelne Handlung verwirklichen will«. Er ist gewissermaßen »die Außenseite des Motivs, das von der Seite des Objekts betrachtete Korrelat des Motivs« (Werttheorie, S. 74). Ziel ist »jene positiv oder negativ gewertete Vorstellung eines zukünftigen Ereignisses, welches eine Person durch eine Reihe von Handlungen oder internen Aktionen schließlich verwirklichen will« (l. c. S. 72). EHRENFELS erklärt die »Zielfolge« so: »Wenn man... die Gesamtwirkungen von vielen auf ähnliche Zwecke gerichteten Handlungen... vergleicht und das Gemeinsame heraushebt, so erhält man eine Kette von Geschehnissen, von denen Jedes vorausgehende einen Teil der Ursache des nächstfolgenden enthält und in welcher sich alle drei Gruppen, der Mittel, des Zweckes und der Folgewirkungen, unterscheiden lassen. Diese für ein bestimmtes Gebiet von Wirkungen bezweckter Handlungen typische Kette stellt nun unser neu zu bildender Begriff dar. Wir nennen sie ›Zielfolge‹« (Syst. d. Werttheorie I, 133 f.). Es besteht eine Wertbewegung nach abwärts (vom Zweck zum Mittel), nach aufwärts (vom Zweck zu den Folgewirkungen) u.s.w. (ib.). Nach REHMKE ist der Zweck »das vorgestellte Lustbringende, insofern es ›Willensinhalt‹ ist« (Allg. Psychol. S. 406). Nach A. DÖRING sind Zwecke »Güter des Individuums, sofern sie als durch das eigene Handeln realisierbare und zu realisierende vorgestellt werden« (Philos. Güterlehre, S. 11). JODL bestimmt als Zweck »jeden äußern oder innern Vorgang oder Zustand, dessen Eintreten oder dessen Herbeiführung Lustgefühle zu erregen, zu erhalten, zu verstärken, Schmerz zu verhindern, zu verscheuchen, abzuschwächen geeignet ist« (Lehrb. d. Psychol. S. 718). - Vgl. RABIER, Psychol. P. 297 ff.. W. JAMES, Princ. of Psychol. I, 1 ff.. O. SCHNEIDER, Transzendentalpsychol. S. 200, u. a. - Vgl. Teleologie, Mechanismus, Kausalität, Geisteswissenschaften, Heterogonie der Zwecke, Motiv, Mittel, Kategorien, Zweckmotiv.


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