Zeit - Herbart, Hartmann, Spencer


Nach HERBART ist die Zeit eine »zufällige Ansicht« von Beziehungen der Realen (Met. II, 209, 341. s. unten). Nach ROSMINI ist die Zeit die Form des sukzessiven Geschehens (Psicolog. § 1139 f.). Sinnliche und rationale Zeitauffassung sind zu unterscheiden (l. c. § 1157 ff.). Das Wirkliche als seiend ist überzeitlich (vgl. GIOBERTI, Introduz. I). Nach R. HAMERLING ist die Zeit nicht real, aber es liegt ihr ein Reales zugrunde (Atomist. d. Will. I, 182). Nach J. H. FICHTE ist die Zeit eine apriorische Bedingung aller Empfindung, hat aber objektive Bedeutung (Psychol. I, 323 f.). Die Zeit ist eine Folge der Selbstbehauptung und innern Dauer der Realen (Anthropol. S. 187. Psychol. I, 335: »Dauergefühl«). »Mit dem ersten Akte des Bewußtseins durchläuft der Geist wechselnde Empfindungs-(Vorstellungs-)Zustände. aber als der selbst Dauernde und dieser Dauer Bewußte verknüpft er jenen Wechsel zur stetigen Reihe eines Nacheinander (Zeitreihe). und so entsteht aus jenem unbestimmten Dauergefühl die (eigentliche), ›Zeitanschauung‹, in welcher er alles aufnehmen muß« (Psychol. I, 336). Als eine Kategorie bestimmt die Zeit ULRICI. Die Zeit ist das allgemeine Vor- und Nacheinander des Seienden (Glaub. u. Wissen, S. 103 ff.), eine »allgemeine Existentialform alles Seienden« (Gott u. d. Natur, S. 666). Gott setzt die Zeit (l. c. S. 666 f.. vgl. PLANCK, Die Weltalter I). Nach W. ROSENKRANTZ gehört nur die Dauer, nicht die Zeit zum Inhalte unserer Vorstellungen von den äußeren Dingen. Es gibt nicht mehrere Zeiten, sondern nur »eine unendliche Zeit, in welcher alle Veränderungen der Dinge vor sich gehen« (Wissensch. d. Wissens 11, 108). Ein Verfließen der Zeit bemerken wir erst bei Veränderungen. Die Aufeinanderfolge der Erscheinungen genügt aber nicht zur Erzeugung der Zeitvorstellung, »sondern es ist hiezu außerdem noch erforderlich, daß die entgegengesetzten Zustände der Gegenwart und Vergangenheit zur Einheit einer gemeinschaftlichen Vorstellung verbunden werden« (l. c. S. 110). Zeit und Raum sind nicht empirisch abstrahierte Begriffe, aber Begriffe sind sie, nicht bloß Anschauungen (l. c. S. 112 f.). Sie sind »Formen des Denkens« (l. c. S. 217 ff.). Deswegen sind sie aber doch nicht bloß subjektiv (wie TRENDELENBURG, s. Anschauungsformen). Die Aufeinanderfolge der Dinge ist objektiv bestimmt (l. c. S. 221 ff.). Die objektive Grundlage der Zeit lehren auch M. CARRIERE (Sittl. Weltordn. S. 129), ÜBERWEG (Welt- u. Lebensansch. S. 54), GLOGAU (Abr. II, 117), HORWICZ (Psychol. Analys. II, 143 f.), LOTZE (Mikrok. III2, 599), WUNDT (s. unten). Nach E. V. HARTMANN ist alles gleichzeitige Gegenwärtige »koordinierte Wirkung der einen absoluten Kausalität, und nur weil es das ist, steht es auch unter zeitlicher Einheit« (Kategorienlehre, S. 96). Das Wollen ist die Tätigkeit kat' exochên und kann darum nicht unzeitlich gedacht werden (l. c. S. 97). Das Wollen setzt die unbestimmte, die Idee die bestimmte Zeitlichkeit (l. c. S. 98). Die Ewigkeit ist »eine schlechthin zeitlose Sichselbstgleichheit, die ruhende Identität des Wesens im Gegensatz zur Unruhe der Erscheinung« (l. c. S. 99). Die Zeit ist »die Summe aller zeitlichen Extensionen oder die Totalität der Dauer« (l. c. S. 102). »In der objektiv-realen Sphäre gibt es wohl Tätigkeit und Veränderung, d.h. Zeitliches, und an diesem auch Zeitlichkeit, aber es gibt keine Zeit, weil es keine Möglichkeit der Synthese gibt« (l. c. S. 103). - »Die volle Zeitempfindung wird... erst durch die Simultaneität von Dauer und Sukzession am Stetigen und Discreten erlangt« (l. c. S. 76). Dauer und Sukzession der Empfindung sind »subjektive Formen, die die synthetische Intellektualsfunktion produziert«, aber die besondere zeitliche Bestimmtheit ist im einzelnen durch die zeitliche Beschaffenheit der objektiv realen Reize bedingt (l. c. S. 78). Die subjektive Zeitlichkeit erscheint kontinuierlich, obwohl sie aus diskreten Elementen zusammengesetzt ist (l. c. S. 84). »Indem die Empfindung den Schein der zeitlichen Kontinuität vorspiegelt, wird sie eben durch diesen Schein zu einem treuen Bilde des wirklichen Zeitverlaufs, das sie nach ihrer Genesis aus diskreten Elementen nicht ist« (l. c. S. 86). Die Zeitlichkeit des Bewußtseinsinhalts kann nur aus einem zeitlichen unbewußten Geschehen erklärt werden, das kontinuierlich ist (l. c. S. 87). In der objektiv-realen Sphäre ist die Zeitlichkeit »Veränderung der Wollensintensität oder Kraftäußerungsintensität« (l. c. S. 91 ff.). Nach G. SPICKER ist die Zeit subjektiv und objektiv (K., H. u. B. S. 68 ff.). Nach A. DÖRING ist die Zeit »dasjenige Ingrediens der Welteinrichtung, durch das nicht nur Dauer und Sukzession überhaupt..., sondern insbesondere auch der zugleich stattfindende Ablauf einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Sukzessionsreihen von unendlich mannigfacher Geschwindigkeit möglich ist« (Über Zeit u. Raum, Philos. Vortr., hrsg. von der Philos. Gesellsch. zu Berlin, III. F., 1. H., 1894, S. 25 ff.). Nach O. CASPARI ist die Zeit »die empfundene und unmittelbar erlebte Differenz zwischen einem Bleiben und einem Wechsel der Erscheinungen« (Zusammenh. d. Dinge, S. 169). Die empirisch wahrgenommene und erinnerte Zeit ist immer (wie E. LAAS, Kants Analog. d. Erfahr. S. 127 ff., bemerkt) »sinnlich tingiert«. Verschieden von ihr ist die Konzeption der »absoluten allgemeinen Weltzeit« (Gr. u. Lebensfr. S. 75 ff.). Letztere ist nur ein konstruktives Gebilde (l. c. S. 78 ff.). Nach A. E. BIEDERMANN ist alles materielle Sein raumzeitlich, das ideelle Sein aber unräumlich und unzeitlich (Christl. Dogmat. §19). Nach AD. SCHOLKMANN sind Raum und Zeit zugleich Formen der Wirklichkeit. Die Zeit ist »die allgemeine Form des Seins«, die Form des Werdens, des Lebens (Gr. ein. Philos. d. Christent. S. 22). E. DÜHRING versteht unter der sachlichen Zeit die »Reihe der aufeinander folgenden Getrenntheiten des Wirklichen« (Log. S. 192 f.. vgl. De tempore, spatio, causalitate..., 1861). Eine Reihe von Inhaltsfolgen ist die Zeit nach LÖWY (Die Vorstellung d. Dinges, S. 179 ff.). Objektiv ist die Zeit auch nach KROMAN (Unsere Naturerk. S. 436 ff., 456). HAGEMANN erklärt: »An einem Wesen, welches sich verändert, d.h. einen Wechsel von Bestimmtheiten hat, von einem Zustande in einen andern übergeht, beobachten wir eine Aufeinanderfolge von Zuständen, und wenn wir uns verschiedene Dinge denken, welche nacheinander existieren, so haben wir eine Aufeinanderfolge verschiedener Dinge. Diese kontinuierliche Aufeinanderfolge verschiedener Dinge oder verschiedener Zustände desselben Dinges macht den Begriff der Zeit aus. Die Zeit ist also keine bloß subjektive Form unseres Erkenntnisvermögens... Vielmehr ist die Zeit die objektive Daseinsweise des veränderlichen Seins, das Nacheinander von Dingen oder von Zuständen desselben Dinges.« Die »reine Zeit« ist die endlose Aufeinanderfolge als solche, ist nur potentiell (»imaginäre Zeit«) (Met.2, S. 32 f.). »Fortgesetztes Dasein« ist Dauer. Die Dauer des veränderlichen Seins ist »fließende Dauer« (Zeit). Die Dauer des unveränderlichen Seins ist »bleibende Dauer«. Ewigkeit ist »die absolut einfache, vollkommene und notwendige Dauer, und als solche ohne Anfang und Ende« (l. c. S. 33 f.). Objektiv ist die Zeit nach R. WEINMANN (Wirklichkeitsstandp. 1896), H. BRÖMSE (Die Realit. d. Zeit, Zeitschr. f. Philos. 114. Bd., 1899, S. 27 ff., 47) u. a. (s. Anschauungsformen). - Nach H. SPENCER ist die Zeit (psychologisch) »das Abstraktum aus allen Beziehungen der Lage zwischen aufeinander folgenden Bewußtseinszuständen«, »die leere Form, in welcher diese aufeinander folgenden Zustände präsentiert und repräsentiert werden und welche, da sie in gleicher Weise für alle dient, von keinem einzelnen derselben abhängig ist« (Psychol. II, § 337, S. 209 ff.). Die Phänomenalität der Zeit lehrt S. GRUBBE.


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