Nach JACOB ist der Verstand »das Vermögen zu denken« (Gr. d. Erfahrungsseelenlehre S. 212). KIESEWETTER bestimmt Verstand als »das Vermögen mittelbarer Vorstellungen, die sich erst vermittelst einer Anschauung auf einen Gegenstand beziehen« (Gr. d. Log. § 10). Nach FRIES ist der Verstand »das Reflexions-vermögen überhaupt oder das Vermögen, willkürlich vorzustellen« (Syst. d. Log. S. 431. vgl. GERLACH, Gr. d. Fundamentalphilos. 1816, § 61, 71). Nach MAASS ist der gemeine Menschenverstand »die Urteilskraft, sofern sie durch den Wahrheitssinn bestimmt wird« (Üb. d. Einbild. S. 203). Nach JACOBI und nach KRUG ist der Verstand das Vermögen, Begriffe zu bilden (Handb. d. Philos. I, 264. vgl WEILLER, Verst. u. Vern., 1807. SALAT, Vern. u. Verst., 1808). So auch LICHTENFELS (Gr. d. Psych. S. 122) u. a. Nach BOUTERWEK ist der Verstand »die Summe der logischen Funktionen der Denkkraft«. »Logisch heißen diejenigen Funktionen der Denkkraft, durch welche Begriffe gebildet werden, Begriffe sich zu Urteilen verbinden, Urteile zu Schlüssen« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 17). MEINERS erklärt den Verstand als »die Fähigkeit die Verhältnisse mehrerer, sowohl besonderer als allgemeiner Begriffe einzusehen, diese wahrgenommenen Verhältnisse in Sätzen, Schlüssen und Reihen von Schlüssen auszudrücken, und durch Grundsätze über Empfindungen und Leidenschaften zu herrschen« (Gr. d. Seelenlehre, S. 85). G. E SCHULZE bestimmt. »Die Quelle des Bewußtseins der Verhältnisse, worin die mannigfaltigen Äußerungen des geistigen Lebens in Ansehung ihrer Bestimmungen und Teile zueinander stehen, ist der Verstand (intellectus), in der weiteren Bedeutung dieses Wortes genommen« (Psych. Anthropol. S. 1.39). - Nach HERMES ist der Verstand »das Vermögen, zu verstehen« (Philos. Einl. § 28, S. 153). Nach BIUNDE. gleichfalls. er ist das »durch die Erscheinung veranlaßte Denken des Seienden« (Empir. Psychol. I 2, 120, 136 f.). Reiner und empirischer Verstand sind zu unterscheiden (l. c. S. 120). Nach ROSMINI ist der Verstand (intelletto) »la facoltà de veder l'ente indeterminato« (Nuovo saggio II, 73). Nach BOLZANO ist der Verstand die Fähigkeit, sich Begriffe zu verschaffen (Wissenschaftslehre III, § 278, S. 22), »das Vermögen bloß solcher Erfahrungserkenntnisse..., die, wenn sie auch der Vermittlung gewisser reiner Begriffswahrheiten bedürfen, doch nicht bedürfen, daß wir sie uns zu einem deutlichen Bewußtsein bringen« (l. c. III, ~ 311, S. 227). - Nach BACHMANN ist der Verstand »die dialektische Kraft des Geistes«. Vernunft und Verstand sind »nur zwei Symbole der einen Urkraft der Seele« (Syst. d. Log. S. 74). Nach J. G. FICHTE ist der Verstand das »ruhende«, die Produkte der Einbildungskraft bloß fixierende Vermögen (WW. VII, 533). Der Verstand ist »das Vermögen, worin ein Wandelbares besteht, gleichsam verständigt wird«. »Der Verstand ist Verstand, bloß insofern etwas in ihm fixiert ist, und alles, was fixiert ist, ist bloß im Verstande fixiert. Der Verstand läßt sich als die durch Vernunft fixierte Einbildungskraft oder als die durch Einbildungskraft mit Objekten versehene Vernunft beschreiben. - Der Verstand ist ein ruhendes untätiges Vermögen des Gemüts, der bloße Behälter des durch die Einbildungskraft hervorgebrachten und durch die Vernunft Bestimmten und weiter zu Bestimmenden«. »Nur im Verstande ist Realität. er ist das Vermögen des Wirklichen. in ihm erst wird das Ideale zum Realen« (Gr. d. g. Wiss. S. 201 f.). SCHELLING (stellt in seiner letzten Periode) den Verstand über die Vernunft (H. d.) (vgl. WW. I 4, 299 ff.. I 5, 268. I 6, 43. I 7, 42). - ESCHENMAYER erklärt: »Die Funktion des Verstandes ist Denken, Begriffe, Urteile und Schlüsse bilden« (Psychol. S. 83 f.). Nach J. J. WAGNER ist der Verstand das Vermögen der Abstraktion und Generalisation (Organ. d. menschl. Erk. S. 312. vgl. Syst. d. Idealphilos. S. 28). Nach SCHUBERT ist der Verstand der »Sinn für ein allgemeines Gesetz der Unterordnung alles Einzelnen unter ein höheres Ganzes« (Lehrb. d. Menschen- u. Seelenk. S.131). Nach CHR. KRAUSE ist der Verstand »das Vermögen, ein jedes Besondere als Besonderes zu unterscheiden« (Vorl. S. 347). Nach HILLEBRAND ist er »das reflexive Vorstellen« (Philos. d. Geist. I, 281). Nach H. RITTER ist die Verstandestätigkeit »die Tätigkeit, durch welche Vielheit und Einheit im Denken gesetzt werden« (Abr. d. philos. Log.2, B. 55. vgl. Syst. d. Log. u. Met. I, 232). - HEGEL erklärt: »Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen. ein solches beschränktes Abstraktes gilt ihm als für sich bestehend und seiend,« während die Vernunft die Gegensätze (s. d.) aufhebt (Encykl. § 80). »Die nächste Wahrheit des Wahrnehmens ist, daß der Gegenstand vielmehr Erscheinung und seine Reflexion- in-sich ein dagegen für sich seiendes Inneres und Allgemeines ist. Das Bewußtsein dieses Gegenstandes ist der Verstand« (l. c. § 422. vgl. § 467. WW. I, 4, 25, 72,183 ff.. II, 11, 53 f. III, 18. V, 115. XIV, 6 f.. XVI, 116). Auch nach MICHELET ist es das Werk des Verstandes, die Vorstellungen unter die Kategorien zu subsumieren (Anthropol. S. 366 ff.).
Nach SCHOPENHAUER hat der Verstand als Funktion nur die »unmittelbare Erkenntnis des Verhältnisses von Ursach und Wirkung« (W. a. W. u. V. I Bd. § 8).HERBART bestimmt den Verstand als »das Vermögen, sich im Denken nach der Qualität des Gedachten zu richten« (Psychol. als Wissensch. II, §117. Lehrb. zur Einl.5, § 169, S. 305). »Verstand ist die Fähigkeit des Menschen, seine Gedanken nach der Beschaffenheit des Gedachten zu verknüpfen« (Lehrb. zur Psychol.3, S. 175). Verstand ist der Geist, »insofern wir, unabhängig von Gemütsbewegungen, unsere Gedanken nach der Beschaffenheit des Gedachten verknüpfen« (Lehrb. zur Einl.5, S. 78). Ähnlich definieren ALLIHN (Antibarb. Log.2, 1. H., S. 66), G. SCHILLING (Lehrb. d. Psychol. S. 187), DROBISCH (Empir. Psychol. S. 281) u. a. - BENEKE erklärt: »Die Gesamtheit aller der Spuren oder Angelegtheiten, welche, zum Bewußtsein gesteigert, geeignet sind, ein Denken oder ein Verstehen zu vermitteln..., bildet dasjenige, was man gewöhnlich mit dem Ausdruck ›Verstand‹... bezeichnet.« Im engeren Sinn ist der Verstand »die Gesamtheit der Begriffsangelegtheiten« (Lehrb. d. Psychol. §134). - Nach L. FEUERBACH ist der Verstand das einzige Apriori, das es gibt (WW. 11, 151). - Nach DEUSSEN ist der Verstand das »Vermögen anschaulicher Vorstellungen« (Elem. d. Met. § 32). Ähnlich A. MAYER (Monist. Ert r. S. 40). Nach R. HAMERLING ist der Verstand eigentlich »nur das aktive Gedächtnis, welches die vergangenen und gegenwärtigen Anschauungen zusammen festhält und kombiniert« (Atomist. d. Will. I, 39. ähnlich NIETZSCHE , s. Denken). - Nach VACHEROT ist der Akt des Verstandes »la notion ou l'idée« (Métaphys.2 II, 19 ff.). FROHSCHAMMER bestimmt den Verstand als »die Fähigkeit, nach logischen Gesetzen und nach allgemeinen Gesichtspunkten und Normen (Kategorien) zu denken«, als »die Kraft, abstrakte, allgemeine Gedanken zu bilden« (Monad. u. Weltphantas. S. 58. vgl. A. E. BIEDERMANN, Christl. Dogmat.2, § 41). Nach A. HÖFLER ist Verstand »Befähigung zu richtigen Urteilen« (Psychol. S. 260). Nach W. JERUSALEM ist er die Fähigkeit, zu urteilen (Lehrb. d. Psychol.3, S. 195 f.). UNOLD bestimmt den Verstand als »diejenige Äußerung oder Seite der menschlichen Intelligenz., welche klar und nüchtern (d. i. ohne Mitwirkung von Gefühlen) auf das dem Subjekte Nützliche, auf die Anpassung an die nächste Umgebung, auf die Erkenntnis des empirisch Gegebenen, auf die Verfolgung der nächstliegenden rein egoistischen Zwecke gerichtet ist« (Gr. S. 221).
Nach HUSSERL ist der Verstand »das Vermögen der kategorialen Akte«. Das echte logische Apriori betrifft alles, »was zum idealen Wesen des Verstandes überhaupt gehört« (Log. Unt. II, 670). - WUNDT erklärt den Verstand als »die Eigenschaft, die Gegenstände und ihre Beziehungen durch Begriffe zu denken« (Syst d. Philos.2, S. 148). Die Verstandestätigkeit ist eine Form der apperzeptiven Analyse (s. d.). Sie besteht in der »Auffassung der Übereinstimmungen und Unterschiede, sowie der aus diesen sich entwickelnden sonstigen logischen Verhältnisse der Erfahrungsinhalte« (Gr. d. Psychol.5, S. 318, 320). Sie geht von Gesamtvorstellungen (s. d.) aus. Die Analyse derselben besteht »nicht mehr bloß in einer klaren Vergegenwärtigung der einzelnen Bestandteile der Gesamtvorstellung, sondern in der Feststellung der durch die vergleichende Funktion zu gewinnenden mannigfachen Verhältnisse, in denen jene Bestandteile zueinander stehen« (l. c. S. 320. vgl. Phantasie). - Vgl. A. BAIN, Sens. and Int.. SPENCER, Princ. of Psychol.. J. WARD, Encycl. Brit. XX, 75, und andere Psychologien. Vgl. Denken, Intellekt, Geist, Erkennen, Vernunft, Sinnlichkeit, Rationalismus, Kritizismus.