Soziologie - Seneca, Macchiavelli, Hobbes
Die soziologischen Gedanken der antiken Philosophie sind unter »Rechtsphilosophie« dargestellt. Hier sei noch bemerkt, daß nach den Stoikern der Mensch ein »animal soziale communi bono genitum« (SENECA, De ira II, 3) ist. Soziologische Ausführungen im Sinne des Epikureismus bei LUCREZ (De rer. nat. V, 922 squ.).
Die Geschichtsphilosophie tritt zuerst in theologischer Form auf. Das Christentum faßt die Geschichte als religiöse Entwicklung des Menschengeschlechts auf, als Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden (PAULUS, JOHANNES, CLEMENS ALESANDRINUS, JOUTINUS, IRENAEUS, welcher sechs Weltalter unterscheidet, Refer. IV, 38, 4, TERTULLIAN, der den Chiliasmus lehrt, CYPRIAN, HIERONYMUS, der von den »vier Monarchien« des Buches Daniel spricht, GREGOR VON NYSSA). AUGUSTINUS stellt den Gottesstaat über den irdischen Staat (De civ. Dei XIV, 28). Die Geschichte gliedert sich in drei Perioden: Zeit des gesetzlosen, gesetzlichen, gnadenvollen Lebens (l. c. XV). Der Gedanke der einstigen Einheit der Menschheit (Auferstehung) wird betont. die ewige Ruhe in Gott ist Endziel der Geschichte. Acht Weltalter unterscheidet SCOTUS ERIUGENA. Die christliche Universalmonarchie mit dem Papste an der Spitze verherrlicht THOMAS (De regim. princ.). Eine Gesellschaft (societas) ist »adunatio hominum ad unum aliquid communiter agendum« (De rel. 3 c). »est... homini naturale, quod in societate multorum vivat« (De regim. princ. 1, 1).
Eine auf Erfahrung fußende Geschichtsphilosophie, welche die soziale Entwicklung darstellt, gibt schon IBN CHALDUN, welcher Rasse, Klima, Milieu u.s.w. berücksichtigt und natürliche, psychische Ursachen heranzieht.
Die soziale Entwicklung betrachtet unter politischen Gesichtspunkten MACCHIAVELLI (s. Rechtsphilosophie). Einen »Staatsroman« schreist CAMPANELLA (Civit. solis. s. unten). Begründer der Geschichtsphilosophie als selbständiger Wissenschaft ist G. VICO, der eine »Metaphysik des Menschengeschlechts« geben will. Interessen und Triebe führen zu den sozialen Einrichtungen, und diese erwecken neue Bedürfnisse. Die Geschichte zeigt drei Perioden: Götter-, Heroen-, Menschen-Alter. Die Entwicklung der Völker weist eine innere Einheit auf (Princ. di una nova scienza).
F. BACON unterscheidet Jugend-, Mannes-, Greisenalter in der Geschichte. das Greisenalter ist das der Technik und des Handels (Sermon.). Über HOBBES, LOCKE u.a. s. Rechtsphilosophie. Aus dem Egoismus leitet die Gesellschaft BOLINGBROKE ab (Philos. Works IV, 9. vgl. III, 389 ff.). Nach FERGUSON ist der Mensch von Natur aus gesellig. Die Menschen vereinigen sich in kleiner Anzahl aus Zuneigung und Wahl. in größere Gruppen werden sie nur durch Notwendigkeit oder Macht der Oberen gebracht. »Die Menschen richten die Form ihrer Gesellschaft nach der Zahl und den Neigungen ihrer Glieder, nach ihrer Lage und nach den Gegenständen ihrer Bestrebungen ein« (Grds. d. Moralphilos. S. 17 f.. vgl. Esssy on the history of civil society 1767. vgl. H. HUME, Untersuchungen üb. d. Gesch. der Menschen, 1774). Die sympathischen Gefühle betont in ihrer Bedeutung für die Gesellschaftsentstehung HUME, ferner AD. SMITH. Nach letzterem ist die Arbeit die Quelle des Wohlstandes der Nation. Die wirtschaftliche Tätigkeit soll frei, ungehemmt durch die Regierung sein. Der individuelle Wettbewerb fördert am besten das gemeinsame Wohl. nur in Fällen der Ausartung, Ausbeutung soll die Regierung eingreifen (Wealth. of nat. I, 10 ff.. IV). Ähnlich die Physiokraten (s. d.). - Die Ursprünglichkeit sozialer Gefühle lehren SHAFTESBURY, HUTCHESON, WOLLASTON, CLARKE u.a. - Über TH. MORUS s. unten. Berücksichtigung des Milieu (s. d.) für die Geschichte bei J. BODIN (Method. ad facil. historiar. cognit. 1650). Besonders bei MONTESQUIEU (L'espr. des lois XIV, 1 ff.. XVIII, 1 ff.). Es gibt eine natürliche Gesetzmäßigkeit in der moralischen Welt (l. c. I, 1). Der »Kampf aller« beginnt erst in der Gesellschaft, geht ihr nicht voran (l. c. I, 3. vgl. Considérat. sur les causes de la grand. des Rom. 1743. vgl. Volksgeist). Das Milieu berücksichtigt auch TURGOT, der den geistigen Fortschritt betont (Oeuvr. II), VOLTAIRE (Essai sur les moeurs et l'esprit des nat. 1765), CONDORCET (Esquisse d'un tableau histor. des progrès de l'esprit humain, 1795). Die Schäden der Kultur betont ROUSSEAU (De l'inégal.). Er lehrt wie EPIKUR, HOBBES, SPINOZA die Vertragstheorie (F. Rechtsphilos.). - Eine theologische Geschichtsauffassung, mit Betonung der göttlichen Leitung des Menschengeschlechtes, hat BOSSUET (Discours sur l'histoire universelle, 1681). - Vgl. BAZIN, La philos. de l'histoire, 1764. DUROSOY, Philos. soziale, 1783.
Den Fortschrittsgedanken (in Verbindung mit der »loi de continuité«) betont LEIBNIZ. vgl. CHR. WOLF, Vern. Ged. von d. gesellsch. Leben d. Mensch. 172). Einen Trieb nach Veränderung, zur Erreichung des adäquaten Zustandes statuiert J. ISELIN (Üb. d. Gesch. d. Menschh. 1768). Tote und lebende Kräfte (»forces mortes«, »forces vives«) der Geschichte unterscheidet WEGELIN. Als eine Stufenfolge göttlicher Offenbarung und Erziehung des Menschengeschlechts betrachtet die Geschichte LESSING. Diese Erziehung gibt dem Menschen, »was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter«. Die erste Stufe ist das Kindesalter, die zweite das Knaben- und Jünglingsalter, die dritte das Mannesalter, entsprechend dem Alten, Neuen Testamente und der Religion des Geistes, der Liebe, des »neuen, ewigen Evangeliums« (Erzieh. d. Menschengeschl.). Als Grundlage der Geschichte betrachtet HERDER die Natur. Die Geschichte zeigt gesetzmäßige Entwicklung. Der Einfluß des Milieu wird betont. Der Fortschritt zielt auf die Herrschaft von Vernunft und Liebe, der Humanität (Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit 1784 ff., I, 227, II, 204, 210, III, 321 ff.). Die Entwicklung in der Geschichte betont in anderer Weise KANT. Die menschlichen Anlagen kommen in ihr zur Ausbildung. Soziale und individuelle Neigungen streiten miteinander, bis die Zwangsgesellschaft zu einem innerlich verbundenen, moralischen Ganzen werden kann (Ideen zu ein. allgem. Gesch. 1784). Ein Völkerbund, ewiger Frieden ist Ziel der sozialen Entwicklung (Zum ewigen Frieden, 1795). Es gilt die Vertragstheorie (s. Rechtsphilosophie). So auch nach KRUG (Handb. d. Philos. II, 184 ff). Vgl. die geschichtlichen Abhandlungen SCHILLERS.
Auf Freiheit und Vernunft in den Lebensverhältnissen ist die Geschichte nach J. G. FICHTE angelegt. Die Vernunft wirkt erst als Instinkt (Stand der »Unschuld«), dann als Zwang der Autorität, es tritt die Auflehnung, Befreiung auf, bis endlich alles durch die Vernunft organisiert wird (Grdz. d gegenwärt. Zeitalt. 1806, WW. VII, 18 ff.). Gesellschaft ist »die Beziehung der vernünftigen Wesen aufeinander«. Der gesellschaftliche Trieb ist ein »Grundtrieb« des Menschen. »Der Mensch ist bestimmt, in der Gesellschaft zu leben. er soll in der Gesellschaft leben. er ist kein ganzer vollendeter Mensch und widerspricht sich selbst, wenn er isoliert lebt.« Das Leben im Staate ist »ein nur unter gewissen Bedingungen stattfindendes Mittel zur Gründung einer vollkommenen Gesellschaft«. »Wechselwirkung durch Freiheit« ist der positive Charakter der Gesellschaft, diese ist Selbstzweck. Durch Gesellschaft entsteht »Vervollkommnung der Gattung«. »Gemeinschaftliche Vervollkommnung, Vervollkommnung seiner selbst durch die frei benutzte Einwirkung anderer auf uns: und Vervollkommnung anderer durch Rückwirkung auf sie, als auf freie Wesen, ist unsere Bestimmung in der Gesellschaft« (Üb. d. Bestimm. d. Gelehrt. 2. Vorles.). Im »Geschlossenen Handelsstaat« (1800) trägt Fichte eine Art Staatssozialismus vor, in welchem das Recht auf Arbeit und Existenz betont wird. SCHELLING lehrt eine metaphysische Geschichtsphilosophie, in welcher der Kampf zwischen Notwendigkeit und Freiheit betont wird. Geschichte ist »weder das rein Verstandesmäßige, noch das rein Gesetzlose, sondern was mit dem Schein der Freiheit im einzelnen Notwendigkeit im ganzen verbindet« (Vorles. üb. d. Meth. d. akad. Stud.3, S. 153 f.. Syst. d. tr. Ideal. S. 417). Problem der Geschichte ist die Herstellung einer »universellen, rechtlichen Verfassung« (Syst. d. tr. Ideal. S. 420). Ohne Verfassung kein Recht, ohne Recht keine Freiheit, ohne Freiheit keine Ordnung und Kultur. Die Freiheit kann nur durch Notwendigkeit wirken (l. c. S. 431). Die Geschichte als Ganzes ist »eine fortgehende allmählich sich enthüllende Offenbarung des Absoluten«. »Der Mensch führt durch seine Geschichte einen fortgehenden Beweis von dem Dasein Gottes« (l. c. S. 438). Diese Offenbarung hat drei Perioden: das Absolute als Schicksal, Naturgesetz, Vorsehung (l. c. S. 439 ff.). In der letzten Periode wird Gott sein (ib.). Schellingianer sind in manchem J. STUTZMANN (Philos. d. Univers. 1806), H. STEFFENS (Die gegenwärt. Zeit, 1817), J. GOERRES (Üb. d. Grundlage, Glieder. u. Zeitfolge der Weltgesch. 1830). Nach HEGEL ist Philosophie der Geschichte »denkende Betrachtung« der Geschichte (Philos. der Gesch., WW. IX, 11). Einzige Voraussetzung ist hier der Gedanke, »daß die Vernunft die Welt beherrscht« (l. c. S. 12). Die Weltgeschichte ist »der vernünftige, notwendige Gang des Wellgeistes gewesen« (l. c. S. 13). Die Weltgeschichte ist »der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit« (l. c. S. 22), »Gottes Werk selber« (l. c. S. 446). Endzweck ist das Bewußtsein des Geistes von seiner Freiheit (l. c. S. 23), die Befreiung der geistigen Substanz (Encykl. § 549). Die Individuen handeln im Dienste einer höheren Notwendigkeit (l. c. § 551). Alles arbeitet auf Herstellung eines absoluten Rechts, einer wahrhaften Sittlichkeit hin (l. c. § 552). Es ist die »List der Vernunft«, die Interessen und Leidenschaften der Individuen für sich arbeiten zu lassen (WW. IX, 24 ff., 29 ff). Die geistige Entwicklung ist ein Kampf des Geistes gegen sich selbst (l. c. S. 53 f.). Bei den Orientalen ist einer, bei den Griechen sind einige frei, bei den Germanen (Christentum) ist der Mensch als Mensch, sind alle Menschen frei (l. c. S. 21 ff.). Die Weltgeschichte ist (wie nach SCHILLER) das »Weltgesicht« (Encykl. § 548). So auch K. ROSENKRANZ (vgl. Syst. d. Geschichtswiss. 1850, S. 555). Nach HILLEBRAND ist die Geschichtsphilosophie »die spekulative Nachweisung der endlichen Geistigkeit in ihrer absoluten Welt-Totalisierung oder die Aufweisung der Idee in ihrer weltdaseinlichen Kontinuität« (Philos. d. Geist. II, 269). »Die Weltgeschichte ist die wahre Selbstoffenbarung des Geistes« (l. c. S. 270), des Göttlichen (ib.). Der Staat ist »das Dasein der Freiheit im. Gesetze« (l. c. S. 135).
Vergleiche ferner:
- Soziologische Grundbegriffe (Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft)
- Begriff der Soziologie (Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft)
- Ästhetik, Ethik, Soziologie (Vorländer, Gesch. d. Phil.)