Nach GUTBERLET schließt jedes Bewußtsein »die Wahrnehmung des eigenen Selbst ein«, denn Bewußtsein ist »jene ursprüngliche Fähigkeit des Geistes, durch die er das, was in ihm selbst vorgeht, wahrnimmt, erfährt« (Log. u. Erk.2, S. 170 f.). Aber Selbstbewußtsein ist erst dann da, »wenn ich mein Ich für sich auffasse und es dem Zustande in ihm entgegenstelle« durch Urteil und Unterscheidung der Vernunft (l. c. S. 171. Psychol. S. 162 ff., 168 ff.). Auf der niedrigsten Stufe »weiß die Seele bloß von ihrem Akte. höher steht das Selbstbewußtsein, in welchem sie sich als Träger ihres Aktes, als Ich erfaßt. Die Selbsterkenntnis endlich dringt auch in das Wesen der Seele, ihre Beschaffenheit ein« (Psychol. S. 167). W. JERUSALEM erklärt: »Die psychischen Vorgänge gelangen zum Bewußtsein dadurch, daß sie bloß erlebt, zum Selbstbewußtsein dadurch, daß sie beurteilt werden« (Urteilsf. S. 167). O. SCHNEIDER meint: »Erst mit der Bildung von Gemeinvorstellungen und gemeinwertigen Sprachzeichen stellt sich ein wirkliches Ichbewußtsein ein« (Tranecendentalpsychol. S. 119). Das naive Ichbewußtsein ist da, weiß aber noch nicht um sich selbst (l. c. S. 123). DESSOIR erklärt: »Wodurch ein sog. selbstbewußter Akt sich von dein bloß bewußten unterscheidet, ist neben einer Intensitätserhöhung vornehmlich das Hinzutreten interpretativer Empfindungen zu der Hauptempfindung« (Doppel-Ich, S. 75 ff.). Nach J. BERGMANN denken wir unser Ich als daseiend dadurch, »daß wir es, das die Welt und Dinge in der Welt Denkende, identifizieren mit dem a selbst Denkenden« (Begr. d. Daseins S. 295. vgl. Grdl. ein. Theor. d. Bewußts. S. 77, 80, 85 ff.). Nach NATORP gibt es kein Selbstbewußtsein ohne Entgegensetzung und positive Beziehung zu anderem Bewußtsein (Socilialpäd. S. 75). - SIGWART erklärt: »In unserer unmittelbaren Selbstauffassung werden... alle unsere einzelnen Vorgänge auf ein einheitliches Subjekt bezogen« (Log. II3, 203). Das Ich können wir nie vollständig zum Objekt machen (l. c. S. 203 f.. vgl. I2, 90, 231, 243, 310, 391). Nach HUSSERL liegt das Ich in der eigenen »Verknüpfungseinheit« der Erlebnisse, es ist »einheitliche Inhaltsgesamtheit« (ib.). - Nach ILARIU-SOCOLIU ist das Ich eine psychische Synthese. Der »Ich- Wahn« besteht darin, »daß das Individuum (das in Wirklichkeit nur relative Individualität besitzt) sich seiner selbst als eines aus eigener Initiative handelnden, wollenden, zu seiner Umgebung in einem schroffen Gegensatz stehenden, in sich selbst abgeschlossenen ›Ich‹ bewußt ist« (Grundprobl. d. Philos. S. XIV). Auch nach HELLENBACH u.a. (s. Ich) ist das Ich eine »Illusion« (Das Individ. S. 156). Dagegen lehrt AD. STEUDEL, das Ich sei das Etwas, das denkt u.s.w., sich aber nur in seinen Äußerungen zu erkennen gibt (Philos. I 1, 85). Alles, was im Ich vorgeht, ist von selbst Objekt des Bewußtseins, ohne Reflexion (l. c. S. 100). »Das Selbstbewußtsein ist wesentlich nichts anderes, als daß die Daseins- und Lebensäußerungen des Ich in dessen ungeteilter empirischer Totalität ein Gegenstand des Bewußtseins werden« (l. c. S. 102)
Während viele Psychologen das Selbstbewußtsein auf Assoziation (s. d. u. Ich) zurückführen, setzt es WUNDT in Beziehung zur Apperzeption (s. d.) und zum Willen. Von Anfang an ist das Selbstbewußtsein das »Produkt meherer Komponenten, die zur einen Hälfte den Vorstellungen, zur andern dem Fühlen und Wollen angehören«. Ein lückenhaftes Selbstbewußtsein tritt schon sehr früh auf, aber es entwickelt sich erst allmählich, parallel mit dem Objektbewußtsein. Selbstbewußtsein nennen wir den »aus dem gesamten Bewußtseinsinhalt sich aussondernden, mit dem Ichgefühl verschmelzenden Gefühls- und Vorstellungsinhalt«. Es ist der einheitliche Zusammenhang von Bewußtseinsvorgängen selbst (Gr. d. Psychol.5, 6. 264). Die erste Entstehung des Selbstbewußtseins beim Kinde kann dem Gebrauche des Fürwortes vorausgehen. Auch die Unterscheidung des eigenen Leibes von andern Gegenständen ist nur ein Symptom eines schon bestehenden Selbstbewußtseins (l. c. S. 348 f.). Das Selbstbewußtsein ruht auf einer Reihe psychischer Prozesse, es ist ein Erzeugnis, nicht die Grundlage dieser Prozesse (l. c. 6. 265). Die Kontinuität dieser ist die Grundbedingung des Selbstbewußtseins.
Zunächst ist das Ich ein Mischprodukt äußerer Wahrnehmung und innerer Erlebnisse, später ein Vorstellungskomplex samt Gefühlen und Affekten, endlich zieht sich das Selbstbewußtsein völlig auf den Willen (die Apperzeption) zurück, der schon undifferenziert den Keim des Selbstbewußtseins ausmacht, aber erst durch apperzeptive Zerlegungen für sich zur Geltung kommt (Grdz. d. phys. Psychol. II4, 302 ff.. Vorles.3, S. 269 ff.. Eth.2, S. 448. Log. II2 2, 246 f.. Syst. d. Philos. 2, S. 40, 565). Nach KÜLPE ist »die Erfahrung, daß man nicht widerstandslos den Einflüssen und Eindrücken von außen her preisgegeben ist, sondern sich wählend und handelnd ihnen gegenüber verhalten kann, also die Tatsache der Apperzeption oder des Willens... eines der wichtigsten Motive für die Sonderung des Ich und Nicht-Ich« (Gr. der Psychol. S. 465. vgl. STÖRRING, Psychopath. S. 280 ff.). Nach GALUPPI ist das Selbstbewußtsein ein Innewerden dessen, was in der Seele vorgeht, zugleich das Gefühl seiner selbst als Substanz. Es ist die Quelle aller Erkenntnisse. - Nach CESCA ist das Selbstbewußtsein Produkt einer psychischen Entwicklung, der Unterscheidung des wollenden Ich vom Nicht-Ich (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. XI, 409 ff.). Das Ich ißt erst der Leib, dann die psychische Innerlichkeit. die Einheit des Ich ist Produkt der verschmelzenden Funktion der Apperzeption (l. c. S. 413). Die Identität des Ich wird durch das Gedächtnis festgehalten (ib.. so auch FERRI, Filos. delle scuole ital. XI, 277, XVI, 167 ff., nach welchem das Ich die Seele ist und der sonst ähnlich wie M. de Biran lehrt). Nach G. VILLA ist das Selbstbewußtsein »ein Komplex mehr oder minder miteinander vereinigter psychischer Elemente« (Einl in die Psychol. S. 374).
Ahnlich wie M. DE BIRAN (s. Ich) lehrt u.a. DEILBOEUF (La psychol. comme une science nat. 1876, p. 14 f., 18). Die Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins im Denken betont ROYER-COLLARD. Phänomenalen Charakter hat das Ich nach BOUILLIER (Du princ. vital. p. 321 ff.), LELUT (Physiol. de la pensée I, 91) u.a. Wie nach Biran, Jouffroy u.a., ist auch nach WADDINGTON das Selbstbewußtsein die Quelle der Kategorien (Seele d. Mensch. S. 250). Nach RABIER ist das primäre Ich »le corps anime par la pensée, la sensibilité et la volonté« (Psychol. p. 421, 438 ff.). Die Vorstellung des Ich ist nicht ursprünglich (l. c. p. 439). »L'idée du moi est une synthèse: l'association des idées fournit les éléments de la synthèse. et la synthèse s'opère par l'unité d'aperception« (l. c. p. 446). Eine sichere Tatsache ist nur die »identité morale« (l. c. p. 447 ff.). Nach FOUILLÉE ist das Ich »une idée dominatrice et un fait dominateur« (Sc. soc. p. 223 f.). Dem Ich entspricht die Permanenz des Organismus und des Zerebralsystems (Psychol. des id.-forc. II, 67). Das Ich ist eine »idée-force« (l. c. p. 69 ff.). »le moi, le sujet, dès qu'il devient par l'idée un objet de conscience distincte, devient du même coup un motif« (l. c. p. 70). »La conscience de soi enveloppe: 1) la conscience de la totalité de nos activités. 2) la consciense de l'unité de cette totalité. 3) la vue anticipée d'une continuation de ce tout-un pendant un avenir plus ou moins incertain« (l. c. p. 70). Zu unterscheiden ist zwischen »moi individuelle« und »moi soziale«, letzteres ist »la partie soziale de notre moi« (l. c. p. 72). Als Gruppe von psychischen Vorgängen faßt (wie J. ST. MILL, s. Ich) das Ich auf TAINE (De l'intell. I, 211, 215, 230), LITTRÉ (Fragm. de philos. posit. 1876, P. 578 ff.). Nach BEAUSSIRE ist Selbstbewußtsein in jedem Bewußtsein enthalten (Rev. des deux Mond. 1883, P. 318, 320, 324). Als aktuale Einheit bestimmt das Ich PAULHAN (La Personnalité, Rev. philos. X, 50, 63. vgl. RICHET l. c. XV, 227 ff.. RIBOT l. c. XV u. XVIII, 426, 430, 442 ff.. Psychol. d. sent. p. 236 ff.. vgl. RAVAISSON, Franz. Philos. S. 255).
Die Korrelation von Selbst- und Objektsbewußtsein lehrt u.a. J. F. FERRIER (Inst. of Met.2, 1856). Die Ewigkeit des Selbstbewußtseins lehrt GREEN (Prolegom. to Ethics, p. 119). W. JAMES versteht unter denn »spiritual self« »a man's inner or subjektive being, his psychical faculties or dispositions, taken konkretely« (Princ. of Psychol. I, 296 ff., 329 ff.). »Ressemblance among the parts of a continuum of feelings... thus constitutes the real and verifiable ›personal identity‹ which we feel« (l. c. p. 336). Nach LADD liegt im Für-sich-sein die Realität der Seele (Philos. of Mind 1896, p. 147 ff.). SULLY bemerkt: »Das Kind hat zweifellos ein rudimentäres Selbstbewußtsein, wenn es von sich selbst als von einem andern Gegenstand spricht. der Gebrauch der Formen ›ich‹, ›mir‹ mag aber die größere Bestimmtheit der Vorstellung vom Ich bezeichnen, mund zwar nicht bloß, als körperliches Objekt und gerade so nennbar wie andere wahrnehmbare Dinge, sondern auch als etwas, das von allen Objekten der Sinne verschieden und diesem entgegengesetzt ist, als das, was wir ›Subjekt‹ oder ›Ich‹ nennen« (Unt. üb. d. Kindh. S. 168. vgl. Illus. 1880, p. 285). ROMANES versteht unter rezeptivem Selbstbewußtsein die praktische Erkennung des Ich als eines aktiven und empfindenden Agens, während die introspective Erkenntnis daß Ich als Objekt und Subjekt der Erkenntnis auffaßt (Entwickl. S. 195 ff.). Vgl. J. WARD, Encycl. Brit. XX, 83 f.. BALDWIN, Handb. of Psychol. I2, p. 143 f.. Mental devel. ch. 11, § 3, und andere unter »Psychologie« verzeichnete Autoren. - Nach BOSTRÖM ist alles Leben Selbstbewußtsein. - Aus rotierenden Bewegungen leitet das Selbstbewußtsein materialistisch ab CZOLBE (Entsteh. d. Selbstbew. S. 11 ff.). Vgl. Ich, Bewußtsein, Identität, Person, Apperzeption, Reflexion, Erkenntnis, Kategorien, Sein, Substanz, Kausalität.