Selbstbewußtsein - Moderne I

Nach KANT erkennt sich das Ich nur (vermittelst des inneren Sinnes, s. d.) als Erscheinung (s. d.), apperzipiert, denkt sich aber als Subjekt, formale Einheit des Bewußtseins, aktive Tätigkeit, ohne freilich vom reinen Ich eine »Erkenntnis« haben zu können. Wir schauen uns selbst nur so an, »wie wir innerlich von uns selbst affiziert werden« (Krit. d. rein. Vern. S. 675). »Dagegen bin ich meiner selbst in der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen überhaupt, mithin in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption, bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur, daß ich bin. Diese Vorstellung ist ein Denken, nicht ein Anschauen. Da nun zum Erkenntnis unserer selbst außer der Handlung des Denkens, die das Mannigfaltige einer jeden möglichen Anschauung zur Einheit der Apperzeption bringt, noch eine bestimmte Art der Anschauung, dadurch dieses Mannigfaltige gegeben wird, erforderlich ist, so ist zwar mein eigenes Denken nicht Erscheinung (viel weniger bloßer Schein), aber die Bestimmung meines Daseins kann nur der Form des innern Sinnes gemäß nach der besondern Art, wie das Mannigfaltige, das ich verbinde, in der innern Anschauung gegeben wird, geschehen, und ich habe also demnach keine Erkenntnis von mir wie ich bin, sondern bloß wie ich mir selbst erscheine. Das Bewußtsein seiner selbst ist also noch lange nicht ein Erkenntnis seiner selbst« (l. c. S. 676. vgl. die Anmerk. daselbst. Anthropol. I, §1). »Der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt, erkennt sich selbst auch durch bloße Apperzeption, und zwar in Handlungen und innern Bestimmungen, die er gar nicht zum Eidrucke der Sinne zählen kann, und ist sich selbst freilich einesteils Phänomen, andernteils aber, nämlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein bloß intelligbler Gegenstand, weil die Handlung desselben gar nicht zur Rezeptivität der Sinnlichkeit gezählt werden kann« (l. c. S. 437 f.). Das Bewußtsein »ich bin« (s. Ich), das »reine Selbstbewußtsein« (s. Apperzeption), ist eine formale Bedingung des Erkennens.

Nach REINHOLD ist das Selbstbewußtsein das Bewußtsein des Vorstellenden als solchen (Vers. ein. neuen Theor. III, 317 ff.). Es ist Identität des Vorstellenden mit dem Vorgestellten (l. c. S. 334 ff.). Nach KRUG sind im Ich Sein und Wissen synthetisch geeint (Fundamentalphilos. S. 88 ff.). PLATNER erklärt: »Das allgemeine Bewußtsein der Existenz zeigt sich darin, daß die Seele alle Vorstellungen ihres ganzen Lebens, sofern sie dieselben rückwärts überschaut, auf sich beziehet, als auf das Subjekt, dem sie alle zugehören.« »Der Inhalt dieses allgemeinen Bewußtseins ist das Gefühl: Ich bin... Es ist kein Abstrakt, sondern a priori das Bedingnis alles Vorstellens, Denkens und geistigen Daseins« (Log. u. Met. S. 23 f.). FRIES versteht unter Bewußtsein das »Vermögen der Selbsterkenntnis«, Wissen um das Haben einer Vorstellung. Es liegt diesem Vermögen das »reine Selbstbewußtsein« zugrunde, welches mir sagt, daß, nicht was ich bin. »Soll aber dieses reine Selbstbewußtsein eine qualifizierte Selbsterkenntnis zeigen, so müssen erst innere Sinnesanschauungen durch den angeregten innern Sinn hinzugebracht werden« (Syst. d. Log. S. 50 f.. Neue Krit. I, 120 f.: das Selbstbewußtsein als unbestimmtes Gefühl. vgl. Psych. Anthropol. § 25. vgl. CALKER, Denklehre S. 210). Nach G. E. SCHULZE enthält »das Bewußtsein unseres Ich als des Mittelpunktes unseres geistigen Lebens« »ein Wissen erstens des Daseins dieses Ich, zweitens seiner Einfachheit und numerischen Einheit, drittens seiner Selbständigkeit..., endlich viertens seiner Beharrlichkeit« (Psych. Anthr. S. 20 f.). Das Selbstbewußtsein ist »nicht der Grund oder die Quelle unseres geistigen Lebens, sondern selbst auch ein Erzeugnis dieses Grundes oder eine Offenbarung desselben.« Es ist »kein Anschauen, Vorstellen oder Denken des Ich« im eigentlichen Sinne, sondern »ein Wissen, woraus das Sein auch selbst mit besteht« (l. c. S. 21 f.). »Auf welche Art der Grund unseres geistigen Lebens das Bewußtsein des Ich erzeuge, läßt sich nicht beobachten. Wir haben es, ohne zu wissen, wie wir dazu gekommen sind. Zwar wird dasselbe immer begleitet von dem bald stärkern, bald schwächern Bewußtsein eines (innern oder äußern) Etwas, das nicht das Ich selbst ist, welches Bewußtsein mithin ein Unterscheiden beider enthält. Aber dieses Unterscheiden darf nicht einmal für den Anfang des Innewerdens unseres Ich gehalten werden..., sondern ist nur eine besondere Bestimmung und Einschränkung, womit das Bewußtsein des Ich stattfindet und vermöge welcher es nie aus einem bloßen oder reinen Wissen von dem Ich besteht« (l. c. S. 22 ff.. Üb. d. menschl. Erk. S. 14 ff.). - Nach BIUNDE entsteht das Denken der Innenwelt gleichzeitig mit dem der Außenwelt. Wir denken zu den innern Zuständen ein Selbständiges im Wechsel derselben hinzu (Empir. Psychol. I, 2, 39 ff., 44). Dieses Selbstbewußtsein ist mittelbar gebildet, wird erst durch ein Denken erzeugt (l. c. S. 46 f.). Das Gebundensein des Selbst- an das Außenweltsbewußtsein betont ANCILLON (Mél. de littér. et philos. I, p. 5. II, 85). Aus der Reflexion der Ich- (s. d.) Tätigkeit auf sich selbst leitet das Selbstbewußtsein J. G. FICHTE ab. Das Ich ist »das sich selbst Bestimmende und durch sich selbst Bestimmte.« Alles, wovon ich abstrahieren kann, ist nicht mein Ich (Gr. d. g. Wiss. S. 216 f.. WW. I, 247, 488 ff.). Die Identität von Sein und Wissen im Ich (s. d.) betont SCHELLING (Syst. d. tr. Ideal. S. 28 ff., 43). »Das Selbstbewußtsein ist der Akt, wodurch sich das Denkende unmittelbar zum Objekt wird,« durch eine »absolut freie Handlung« (l. c. S. 44). Der Satz: Ich bin ist »ein unendlicher Satz, weil es ein Satz ist, der kein wirkliches Prädikat hat, der aber deswegen die Position einer Unendlichkeit möglicher Prädikate ist« (l. c. S. 47). »Die Quelle des Selbstbewußtseins ist das Wollen. Im absoluten Wollen aber wird der Geist seiner selbst unmittelbar inne, oder er hat eine intellektuelle Anschauung seiner selbst«(WW.I 1, 401). Das Selbstbewußtsein bildet sich am fremden Willen, fremden Ich. Das lehrt auch BAADER, so auch ESCHENMAYER (Psychol. S. 29). ferner auch L. FEUERBACH (WW. VII, 29), E. v. HARTMANN (Rel. d. Geist. S. 151) u.a. Die unmittelbare Gewißheit des Ich lehrt CHR. KRAUSE (Vorles. S. 39). Das Ich ist ein »Selbstwesen« (l. c. S. 83), eine Kraft (l. c. S. 130). Zu unterscheiden sind urwesentliches und zeitliches Ich (l. c. S. 176). - Als Wahrheit und Grund des Bewußtseins bestimmt das Selbstbewußtsein HEGEL. Selbstbewußtsein besteht im Urteilen des Ich über sich selbst (Encykl. § 423). In der Existenz alles Bewußtseins eines Objektes ist Selbstbewußtsein enthalten. Der Ausdruck des Selbstbewußtseins ist Ich=Ich, »abstrakte Freiheit, reine Idealität« (l. c. § 424). Das Selbstbewußtsein tritt in verschiedenen Entwicklungsformen auf, bis zum objektiven Selbstbewußtsein (l. c. § 426 ff., 436 f.. vgl. MICHELET, Anthropol. S. 270 ff.. J. E. ERDMANN, Gr. d. Psychol. § 82 ff.. G. BIEDERMANN, Wissenschaftslehre I, 1856, S. 279. Philos. als Begriffswiss. I, 29 ff.). Nach K. ROSENKRANZ ist das Selbstbewußtsein »die sich unaufhörlich erneuernde Tat des Geistes, wodurch er, sich in sich selbst unterscheidend, das Unterscheiden von anderem, was er nicht ist, erst möglich macht« (Psychol. S. 289). Objekt des Selbstbewußtseins ist die »abstrakte Freiheit des Geistes« (ib.). »An sich ist das Selbst schon in allen Akten des Bewußtseins da, aber es muß auch in seiner Einheit mit der gegenständlichen Welt sich für sich setzen« (l. c. S. 290 ff.). Nach SCHALLER ist das Selbstgefühl das in jeder Empfindung gegenwärtige Allgemeine (Psychol. I, 210). Nach HILLEBRAND ist das Selbstbewußtsein »das Bewußtsein der subjektiven Allgemeinheit gegenüber der gegenwärtigen Unmittelbarkeit des Objektiv-Wirklichen« (Philos. d. Geist. I, 179). Zu unterscheiden sind reales, formales, substantielles Selbstbewußtsein (l. c. S. 180 ff.). - Nach SCHLEIERMACHER ist das Selbstbewußtsein der Punkt, in welchem Denken und Sein identisch sind (Dial. § 101). Es ist ursprünglicher Natur (Psychol. S. 9, 159 f.). So auch GEORGE (Lehrb. d. Psychol. S. 233).


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