Sympathie

Sympathie (sympatheia): Mit-Leiden, Miterleben von Gefühlen und Affekten anderer durch unwillkürliche Nachahmung (s. d.) und durch »Einfühlen« in den Gemütszustand anderer, was um so leichter möglich, je verwandter wir mit jenen sind. Der Anblick oder Gedanke fremden Leidens erweckt unmittelbar analoge Gefühle, wie die des Leidenden. dazu kommt noch unter Umständen die Trauer über das Leiden des andern, bezw. die Freude über das Glück des andern (s. Mitfreude, Mitleid). Sympathie ist auch die allgemeine, oft nicht klar motivierte Zuneigung zu jemand (Gegenteil: Antipathie). Die Sympathie als Mitgefühl mit verwandten Wesen ist ein Grundfaktor in der Entwicklung der Sittlichkeit (s. d.). Das Mitgefühl erörtert (besonders in der Theorie des Tragischen, s. Katharsis, Mitleid) ARISTOTELES (Rhetor. II, 8. Eth. Nic. IX, 4 squ.). Auf einen physikalischen Zusammenhang bezieht sich die sympatheia bei THEOPHRAST und anderen Peripatetikern. Einen inneren Zusammenhang der Dinge, sympatheia tôn holôn, bedingt durch die Einheit derselben im göttlichen Pneuma (s. d.), lehren die Stoiker (Marc Aurel, In se ips. IX, 9). Ähnlich auch PLOTIN. Die aus der Weltseele (s. d.) emanierenden Seelen sind sympathisch miteinander verbunden (Ennead. IV, 3, 8). Das All ist ein sich selbst »sympathischer« Organismus (l. c. IV, 5, 3). - Die allgemeine Sympathie, innere Wechselbeziehung der Dinge lehren PICO (De hom. dignit.), PATRITIUS, CARDANUS, CAMPANELLA (De sens. rer. I, 8), PARACELSUS, AGRIPPA, J. B. VAN HELMONT (De magnet. 136 ff., 160 ff., 774 ff.), F. M. VAN HELMONT (Opuscul. philos. I, 6). R. FLUDD, F. BACON (WW. V, P. 42), LEIBNIZ (S. Harmonie), SHAFTESBURY.

Nach HUTCHESON ist Sympathie der Sinn, »cuius vi super aliorum conditione commoventur homines, idque innato quodam impetu« (Philos. moral. I, 1). Nach HUME ist Sympathie die Fähigkeit, sich in die Gemütslage anderer hineinzuversetzen (s. Mitleid). »Sympathy is the chief source of moral distinct.« AD. SMITH leitet aus Sympathiegefühlen (fellow-feeling) die Sittlichkeit ab (Theor. of moral sentim. I, sct. 1, ch. 1 ff.). »As we have no immediate experience of what other men feel, we can form no idea of the manner in which they are affected, but by conceiving what we ourselves should feel in the like situation« (l. c. p. 2 ff.). Nach ER. DARWIN erregt die Nachahmung unsere Sympathie, die Quelle des Sittlichen (Zoonom. sct. XXXV. Templ. of nat.). J. BENTHAM versteht unter Sympathie die Neigung, Vergnügen aus der Glückseligkeit und Schmerz aus dem Unglücke anderer zu empfinden (Princ. of Moral. and Legislat. ch. 6. vgl. Deontol. I, 169 f.). Auf Assoziation zwischen der Äußerung des Gefühls und diesem selbst führt die Sympathie TH. BROWN zurück (Lect. III, p. 241. vgl. PAYNE, Elem. of Ment. and Mor. Sc. 1856, p. 269). CH. DARWIN erblickt in der Sympathie einen Instinkt von bestimmter Richtung (Abst. d. Mensch. I). Nach A. BAIN liegt der Sympathie unwillkürliche Nachahmung zugrunde (Sens. and Int. p. 344. Emot. and Will p. 111). »Sympathy is to enter into the feelings of another, and to act them out, as if they were our own« (Ment. and Mor. Sc. III, ch. 11, p. 276). »Sympathy supposes one's own remembered experience of pleasure and pain, and a connexion in the mind between the outward signs or expression of the various feelings and the feelings themselves« (l. c. p. 277). Auf die Abhängigkeit des Grades und Umfanges der Sympathie von der Klarheit und dem Bereiche der Vorstellungen macht H. SPENCER aufmerksam (Psychol. II, § 507. vgl. SULLY, Handb. d. Psychol. S. 354 ff.. L. F. WARD, Pure Sociol. p. 140, 263, 346, 422 f., 438, 452, u. a.).

Nach PLATNER ist Sympathie »die Anlage der menschlichen Natur zu einer gewissen Übereinstimmung unserer Empfindungen mit den Empfindungen anderer, deren Zustand wir wahrnehmen oder denken« (Philos. Aphor. II, § 219). Nach G. E. SCHULZE sind die »Mitgefühle« »Nachbildungen der in andern sich äußernden Gefühle« (Psych. Anthrop. S. 347 f.). Nach BIUNDE setzen die »sympathetischen Gefühle« eine Anlage voraus, die Zustände und Gefühle anderer zu teilen, sie mitzufühlen (Empir. Psychol. S. 149. vgl. LICHTENFELS, Gr. d. Psychol. S. 40). Nach HILLEBRAND ist Sympathie das »natürliche Selbstbestimmt- werden durch die Naturbestimmtheit des andern in und wegen der Einheit des Naturverhältnisses« (Philos. d. Geist. II, 106). Nach J. H. FICHTE hat die Sympathie des Geistes ihren Grund in der »vorempirischen Uranlage« desselben (Psychol. II, 16). - NAHLOWSKY versteht unter Sympathie »ein dunkles Gefühl des Angemutetseins von und Hingezogenwerdens zu einer fremden Persönlichkeit, vermöge des ersten flüchtigen Totaleindrucks, den deren gesamte Erscheinung auf uns macht« (Das Gefühlsleb. S. 215 f.). Die »sympathetischen Gefühle« sind »die unwillkürliche Nachbildung der Gemütszustände anderer und eine derartige Aneignung derselben, daß wir annäherungsweise dieselbe Lust (Freude) oder dasselbe Wehe (Leid) fahlen, das sich in jenen ausspricht« (l. c. S. 218 ff.). Nach LIPPS ist die Sympathie »Erleben unser selbst in einem andern«. Sie beruht auf der Einseitigkeit unseres Wesens, die durch den andern ergänzt wird (Gesetz des Kontrastes) (Eth. Grundfr. S. 207). »Reflexive Sympathie« ist »die Spiegelung meiner in einem andern« (l. c. S. 139). Nach A. DÖRING beruht die Sympathie auf einer Art Analogieschluß. Daran schließt sich eine Phantasietätigkeit an, durch die wir uns in die Gefühlslage anderer hineinversetzen und wodurch ein analoger Gefühlszustand erregt wird (Philos. Güterlehre, S. 152 ff.). Nach WUNDT ist das Mitgefühl so ursprünglich wie das Selbstgefühl (Eth.2, S. 512). Es besteht »in dem Gefühl unmittelbarer Einheit des Individualwillens mit einem Gesamtwillen«, ist ein »Gefühl unmittelbarer Einheit des eigenen Ich mit dem andern« (l. c. S. 519). Die Ursprünglichkeit der Sympathiegefühle lehrt auch H. HÖFFDING (Psychol. S. 336, 339 ff.. vgl. die Lehren von TRESCHOW, F. C. SIBBERN, DOMRICH, Die psychol. Zustände, 1849, S. 218. A. LEHMANN, Gefühlsleb. S. 350 ff.). - Nach RIBOT ist die Sympathie »la base des émotions tendres«, eine Grundlage des sozialen und sittlichen Lebens (Psychol. d. sent. p. 227). Sie besteht in der Existenz von gleichen Dispositionen bei mehreren Individuen derselben oder anderer Art (ib.). Drei Stadien zeigt ihre Entwicklung: 1) »synergie« (physiologisch, reflexiv, unbewußt), 2) »synesthésie«, 3) intellektuelle Sympathie, »résulte d'une communité de répresentations ou d'idées, liées à des sentiments et à des mouvements« (l. c. p. 228 ff.). Der »instinct altruiste« ist angeboren (l. c. p. 235. vgl. BOUILLIER, Du plaisir p. 77. RABIER, Psychol. p. 493 ff. u. a.). Vgl. L. VIVES, De an. III, 191 ff.. H. B. WEBER, Vom Selbstgefühle und Mitgefühle, 1807. E. SCHMIDT, Üb. d. Mitgefühl, 1837. VOLKMANN, Lehrb. d. Psychol. II4, 379 f. Vgl. Altruismus, Mitleid, Sittlichkeit, Liebe.


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