Reflexbewegung

Reflexbewegung ist eine unwillkürliche (wohl phylogenetisch mechasierte) Bewegung infolge der Übertragung eines peripherischen Reizes von sensoriellen auf motorische Nervenfasern, ohne Vermittlung von Vorstellungen, aber doch (ursprünglich) nicht apsychisch, nicht ohne (wenn auch unterbewußte) Impulse. Teilweise sind sie dem Einflusse des Willens unterworfen (Blinzeln, Niesen u.s.w.). Die Reflexbewegungen gelten bald als rein mechanisch, bald als psychisch bedingt. Als spontane, zweckmäßige Reaktionen auf Empfindungen betrachtet die Reflexe z.B. WRYTT (An Essay on the vital und other involontary motions of animals, 1761). Als unbewußte Vorgänge gelten sie hingegen J. MÜLLER (Handb. d. Physiol. d. Mensch. I, 621). Zur Erklärung der Zweckmäßigkeit der Reflexbewegungen nimmt PFLÜGER eine »Rückenmarksseele« (s. d.) an (Die sensor. Funct. d. Rückenm. d. Wirbelt. 1853). Ohne Mitwirkung der Seele erklären dagegen die Reflexe LOTZE (Med. Psychol. S. 292), RUD. WAGNER, C. LUDWIG, GOLTZ, VOLKMANN (Lehrb. d. Psychol. I4, 318 f.), ZIEHEN (Leitfad. d. physiol. Psychol. S. 26 ff.) u. a. Nach LEWES haben die »reflex aclions« Sensibilität (Probl. III, 356, 367 ff.). Alle, auch die unwillkürlichen Handlungen sind durch ein »feeling« determiniert (l. c. p. 373). G. H. SCHNEIDER bestimmt: »Physiologische Reflexbewegungen sind Bewegungsvorgänge materieller Art, die in einem lebenden Organismus durch besondere Reizungsvorgänge verursacht werden und in der materiellen Organisation des Organismus und dessen physiologischen Eigenschaften ihre Ursachen haben« (Der menschl. Wille S. 25). »Psychische Reflexbewegungen dagegen sind solche, welche durch Erregungen von Bewußtseinserscheinungen verursacht werden und in den psychischen Eigenschaften bezüglich Vermögen des Organismus ihre Ursache haben« (l. c. S. 25 f.). Es gibt Empfindungs-, Wahrnehmungs- und Vorstellungsreflexe (l. c. S. 30). Alle Vorgänge, alle Kausalbeziehungen sind Reflexe (l. c. S. 31). Nach WUNDT sind Reflexbewegungen Bewegungen, die unter ausschließlich physischen Bedingungen entstehen (Grdz. d. physiol. Psychol II4, 582 f.). »Die reflektorischen Bewegungen unterscheiden sich von den automatischen durch die Bedingung, daß bei ihnen die zentrale motorische Erregung durch die in einem zentripetal leitenden Nerven zugeführte peripherische Sinnesreizung ausgelöst wird« (l. c. S. 584). Die Reflexe sind als »mechanisch gewordene Willenshandlungen«, »entstanden durch die Wirkungen, welche die eingeübten Willensbewegungen auf die bleibende Organisation des Nervensystems hervorbrachten«, zu denken (l. c. S. 591. Essays 8, S. 217. Vorles.2, S. 422, 429, 437. Syst. d. Philos.2, S. 590). Die Willens - und Triebhandlung kann durch Wiederholung zu einer automatischen und Reflexbewegung mechanisiert (s. d.) werden. »Der äußere Reiz, der ursprünglich die als Motiv wirkende gefühlsstarke Vorstellung weckte, löste, ehe er noch als Vorstellung aufgefaßt werden konnte, die Handlung aus. Auf diese Weise ist die Triebbewegung endlich in eine automatische Bewegung übergegangen. Je häufiger dieser Prozess sich wiederholt, um so leichter kann die Bewegung automatisch erfolgen, ohne daß der Reiz auch nur empfunden wird... Dann erscheint die Bewegung als ein rein physiologischer Reflex des Reizes: der Willensvorgang selbst ist zu einem Reflexvorgang geworden« (Gr. d. Psychol.5, S. 230 f.). Nach TU. ZIEGLER sind die Reflexbewegungen aus bewußten und gewollten Handlungen hervorgegangen, sie sind »durch Gewohnheit und Übung innerhalb der Gattung mechanisch gewordene Bewußtseinshandlungen« (Das Gefühl2, S. 215 f., 308). Nach KREIBIG sind Reflexe »auf äußere Anreize hin erfolgende Leibesbewegungen, bei welchen der biologisch nützliche Zweck und die Veranstaltung der Bewegung selbst nicht bewußt sind« (Werttheor. S. 76). Es gibt Übungs- und Reaktionsreflexe (l. c. S. 79). So auch HELLPACH (Grenzwiss. d. Psychol. S. 179). Nach ihm ist der Reflex von psychischen Zwischengliedern frei. »Wir nehmen an und finden durch den Versuch bestätigt, daß der Reiz vorn Sinnesorgan durch einen zentripetalen Nerven sich nach den hinteren Säulen des Rückenmarkes fortpflanze, von dort auf die Vorderhornzellen des gleichen Querschnittes übergreife, dann durch die vorderen Wurzeln und den zentrifugalen Nerven nach dem Endorgan - Muskel, Blutgefäß, Drüse - geleitet werde und dieses in Tätigkeit setze. Diesen geschilderten Weg nennen wir den einfachen Reflexbogen, die Erscheinungen selber den einfachen Reflex.« »Aber von den Hinterhornzellen gehen... zahlreiche Kollateralen ab. Betritt der Reiz auch diese Nebenbahnen, so wird er nicht nur die Vorderhornzellen eines, sondern mehrerer Querschnitte erregen, und das Endergebnis ist eine mehr ausgebreitete Zuckung, Gefäßveränderung oder Absonderung. Dies nennen wir den zusammengesetzten Reflex« (Grenzwiss. d. Psychol. S. 177 f.). - Die Bedeutung der Reflexbewegungen für Bewußtsein und Willensentwicklung (s. d.) betonen SPENCER, BAIN (Sens. und Intell.3, p. 333 ff.), MÜNSTERBERG u. a. Vgl. Wille, Mechanisierung, Hemmungszentren.


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