1. Objekt und Vorstellung (Bewußtsein)

 

Nach ÜBERWEG ist das Objekt »das durch unsere Bewußtseinsfunktion Repräsentierte« (Welt- u. Lebensansch. S. 233). Nach MAINLÄNDER ist das Objekt »das durch die Formen des Subjekts gegangene Ding an sich« (Philos. d. Erlös. S. 7). H. SPENCER erklärt: »The objekt is the unknown permanent nexus, which is never itself a phenomenon, but is that, which holds phenomena together« (Psychol. § 469 f.). Alle Objekte sind als solche relativ (First Princ. p. 78. ähnlich E. GROSSE, H. Spencers Lehre vom Unerk. S. 89, 93 ff.). Als ein Reales außer der Vorstellung betrachtet das Objekt E. v. HARTMANN (s. unten). WITTE betont, es gelinge nie, dem Objekte ganz zur Gegenwart zu verhelfen. »Die Vorstellung ist nicht das Vorgestellte, sie repräsentiert es bloß« (Wes. d. Seele S. 52). Als Widerstand fassen das Objekt auf BAIN, HÖFFDING, JERUSALEM u. a (s. unten). - HAGEMANN bestimmt: »Wir müssen... unterscheiden zwischen dem materialen und dem formalen Gegenstande. Ersterer ist der Gegenstand nach seinem ganzen Sein, seiner ganzen Erkennbarkeit. letzterer ist der Gegenstand nach einer bestimmten Seite, von einem bestimmten Standpunkte aus erkannt« (Log. u. Noet.5, S. 126). Aus der Wahrheit, daß wir von dem Gegenstande nichts anderes wissen können als durch unsere Vorstellung, folgt nicht, daß er außer unserer Vorstellung nicht existiere. »Vielmehr stellen wir uns Gegenstände vor als solche, die auch dann, wenn wir sie uns nicht vorstellen, also unabhängig von unserer Vorstellung, existieren« (l. c. S. 131). Die Vorstellung ist »eine Nachbildung des Gegenstandes und stimmt insofern auch mit diesem überein« (ib.). Das Seiende offenbart sich unserem Vorstellen als ein ihm Gegenständliches, unabhängig von ihm Vorhandenes (l. c. S. 133). GUTBERLET versteht unter dem »materialen« den Gegenstand, wie er in sich ist, unter dem »formalen« die Rücksicht, die Beziehung, den Standpunkt, von dem ihn die Erkenntnis betrachtet (Log. u. Erk. S. 7). Nach E. L. FISCHER sind die Wahrnehmungsobjekte nicht Bewußtseinszustände, da sie uns als außer uns erscheinen, uns widerstehen, und wir uns an ihnen praktisch betätigen können. »Demnach ist das sinnlich Wahrgenommene mehr als bloße Vorstellung und etwas anderes als ein subjektiver Bewußtseinszustand. Es muß etwas außerhalb meines Bewußtseins sein, da einerseits das, was tatsächlich in demselben vorgeht, erfahrungsgemäß sich auch als ein solch Inneres bekundet, und da wir anderseits nicht imstande sind, faktische Bewußtseinselemente derart aus uns hinaus zu versetzen, daß sie denselben Charakter der Objektivität, der Äußerlichkeit und der Sachlichkeit empfangen, wie ihn allgemein und constant die sinnlichen Wahrnehmungsobjekte besitzen« (Grundfr. d. Erk. S. 425 f., 427). Das Objekt ist nicht selbst im Bewußtsein, sondern es besteht zwischen beiden eine Connexion (l. c. S. 429). »Das wahrgenommene Objekt steht uns als etwas Gegenständliches gegenüber und ist außerhalb unseres Bewußtseins, das bloß vorgestellte Objekt dagegen bildet einen Inhalt unseres Vorstellens und ist innerhalb unseres Bewußtseins« (l. c. S. 63). HÖFFDING erklärt: »Dasjenige, das wir empfinden, ist Gegenstand äußerer Auffassung, nicht aber die Empfindung selbst, die eine Bewußtseinstätigkeit ist.« »Die äußere Erfahrung betrifft das, was anschaulich ist und der Bewegung im Raume Widerstand leisten kann« (Psychol. S. 8). Nach E. v. HARTMANN ist »das Subjektiv-ideale Vorstellungsobjekt nur mittelbar ein Bewußtseinsrepräsentant des objektiv-realen Dinges an sich« (Kategorienlehre S. 40). B. ERDMANN betont: »Wo von einem Gegenstand die Wirklichkeit ausgesagt wird, ist das sachliche Subjekt dieses Urteils nicht der Gegenstand oder das Vorgestellte als solches, sondern vielmehr das Transzendente, das als die Seinsgrundlage dieses Vorgestellten vorausgesetzt wird, in dem Vorgestellten sich darstellt.« »Das Kriterium dafür, wenn Gegenständen ein transzendentes Subjekt zuzuerkennen ist, besteht darin, daß sie uns unabhängig von unserem Willen gegeben werden« (Log. I, 83). - UPHUES vertritt eine »Bildertheorie«, wonach die Vorstellung den Gegenstand darstellt, »abbildet«, wie er unvorgestellt ist. Die Objekte treten in der Hülle von Vorstellungen auf, sind aber von diesen verschieden. Die Vorstellungen sind nicht die Gegenstände sondern deren Repräsentanten (Üb. d. Erinn. S. 13 f.. Psychol. d. Erk. I, 145 ff.. Neue Bahnen 1896, H. 10, S. 529. Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 21. Bd., S. 470). Ähnlich H. SCHWARZ, welcher betont, daß der Ausdruck, durch den wir uns Objekte vergegenwärtigen, nicht selbst ins Bewußtsein tritt (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 21. Bd., S. 504 ff.. Archiv für systemat. Philos. 1897, S. 367 ff.. Psychol. d. Will. S. 142). - F. BRENTANO sieht als das Wesen der psychischen Acte den Charakter des Gegenstandsbewußtseins an. Sie haben einen Inhalt, ein »intentionales« (s. d.), ein gemeintes Objekt, beziehen sich unmittelbar auf ein solches, sind auf ein solches gerichtet. »Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, und was wir... die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter hier nicht eine Realität zu verstehen ist), oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteil ist etwas anerkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehaßt, in dem Begehren begehrt u. s w.« (Psychol. I, 115. Urspr. sittl. Erk.. S. 14). Den intentionalen sind die wirklichen Objekte nicht gleich, aber analog zu denken (Psychol. S. 10 f.). Jeder psychische Act hat zwei Objekte. ein »primäres« (den intentionalen Inhalt) und ein »sekundäres« (den Akt selbst). Die Inhalte des Empfindens sind von den Akten verschieden, sind ein Physisches, als solches aber Phänomene (l. c. S. 109, 122, 11). Ähnlich lehrt J. WOLFF (Das Bewußtsein u. sein Objekt S. 315 ff.). Auch A. MARTY: »Der immanente Gegenstand existiert, so oft der betreffende Bewußtseinsinhalt wirklich ist. Denn es gibt kein Bewußtsein ohne ein ihm immanentes Objekt. das eine ist ein Korrelat des andern. Der Gegenstand schlechtweg dagegen... kann existieren oder auch nicht existieren« (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 18. Bd., S. 443 f.). Ähnlich HÖFLER (Log. § 6). auch TWARDOWSKI, der vom »Inhalt« (s. d.) den »Gegenstand« der Vorstellung unterscheidet. »Sowohl, wenn der Gegenstand vorgestellt, als auch, wenn er beurteilt wird, tritt ein Drittes neben dem psychischen Akt und seinem Gegenstande zutage, was gleichsam ein Zeichen des Gegenstandes ist: sein psychisches ›Bild‹, insofern er vorgestellt wird, und seine Existenz, insofern er beurteilt wird. Sowohl vom psychischen ›Bild‹ eines Gegenstandes, als auch von seiner Existenz sagt man, daß jenes vorgestellt, diese beurteilt werde. das eigentliche Objekt des Vorstellens und Urteilens ist aber weder das psychische Bild des Gegenstandes, noch seine Existenz, sondern der Gegenstand selbst« (Inh. u. Gegenst. d. Vorstell. S. 1, 9). »Der Gegenstand wird vorgestellt« heißt: a. er ist Inhalt der Vorstellung, b. er ist zu einem vorstellungsfähigen Wesen in eine besondere Beziehung getreten, wodurch er nicht aufhört, Gegenstand zu sein (l. c. S. 15). Der »Inhalt« ist das Mittel zur Vorstellung des Gegenstandes (l. c. S. 19). Es gibt keine gegenstandslosen Vorstellungen (l. c. S. 26). Auch die allgemeine Vorstellung hat ihren besonderen Gegenstand (l. c. S. 105 ff.). Gegenstand der Vorstellung ist nicht das Ding an sich, sondern alles substantivisch Genannte (l. c. S. 37). Eine adäquate Vorstellung gibt es von keinem Gegenstande, weil die Anzahl der Relationen der Gegenstandsmerkmale unabsehbar ist (l. c. S. 81 ff.). HUSSERL erklärt: »Dem empirischen Ich stehen gegenüber die empirischen physischen Dinge, die Nicht-Ich, ebenfalls Einheiten der Koëxistenz und Sukzession und mit dem Anspruch dinglicher Existenz. Uns, die wir Ich sind, sind sie nur als intentionale Einheiten gegeben, das ist als in psychischen Erlebnissen vermeinte, als vorgestellte oder beurteilte Einheiten. Darum sind sie aber selbst nicht bloße Vorstellungen... Die physischen Dinge sind uns gegeben, sie stehen vor uns, sie sind Gegenstände - das heißt, wir haben gewisse Wahrnehmungen und ihnen angepaßte Urteile, welche ›auf diese Gegenstände gerichtet‹ sind. Dem System aller solcher Wahrnehmungen und Urteile entspricht als intentionales Korrelat die physische Welt« (Log. Unt. II, 337). Die Komplexionen der Dingelemente sind in keinem menschlichen Bewußtsein als complexe Ideen reell gegenwärtig (ib.). Die Empfindungen und Akte werden erlebt, die Gegenstände wahrgenommen, aber nicht erlebt. »Die Welt... ist nimmermehr Erlebnis des Denkens. Erlebnis ist das die-Welt-Meinen, die Welt ist der intendierte Gegenstand« (l. c. S. 365. vgl. S. 706). STUMPF betont: »Das, woran sich die gesetzlichen Beziehungen finden, die den Gegenstand und das Ziel der Naturforschung bilden, sind nie und nimmer die sinnlichen Erscheinungen. Zwischen ihnen, wie sie jedem das eigene Bewußtsein darbietet, besteht nicht die regelmäßige Folge und Coëxistenz, die der Naturforscher in seinen Gesetzen behauptet. Sie besteht lediglich innerhalb der Vorgänge, die wir als jenseits der sinnlichen Erscheinungen, als unabhängig vom Bewußtsein sich vollziehende statuieren, und die wir statuieren müssen, wenn von Gesetzlichkeit überhaupt die Rede sein soll. Mögen wir auch dieses Wirkliche in sich selbst gar nicht und seine Beziehungen nur in der ganz abstrakten Form von Gleichungen erkennen, mag selbst die Raumanschauung, in der wir uns die Beziehungen zu versinnlichen pflegen, ein entbehrliches Symbol sein: diese gesetzlichen Beziehungen und das darin Stehende bilden die ›physische Welt‹ der Wissenschaft, während die sinnlichen Erscheinungen, aus denen die physische Welt des gemeinen Bewußtseins sich aufbaut, lediglich die Bedeutung von Ausgangspunkten für die Erforschung jener rein mathematischen, ich möchte sagen algebraischen, Welt haben« (Leib u. Seele S. 27 f.). Ähnlich lehrt auch WUNDT. Das ursprünglich Gegebene ist nicht die subjektive Vorstellung, sondern das »Vorstellungsobjekt«, welches außer dem Bewußtsein liegt und das Objekt bedeutet, »dem nur die Merkmale zukommen, die ihm in der Vorstellung beigelegt werden«. »Zu diesen Merkmalen gehört es, Objekt zu sein es gehört aber dazu ursprünglich nicht im mindesten, von einem Subjekt vorgestellt zu werden.« Die Objektivität ist ein ursprüngliches, nicht erst vom Denken erzeugtes Merkmal. Psychologisch besteht die Wirklichkeit des Objekts darin, »daß es losgelöst gedacht werden kann von den psychischen Erlebnissen des Vorstellenden, weil es sich einer ganzen Reihe aufeinander folgender Vorgänge gegenüber als ein von diesen unabhängiger Gegenstand behauptet« (Philos. Stud. VII, 43 ff.. XII, 397. XIII, 317. Syst. d. Philos.2, S. 88 ff., 103. Log. I2, 426. II2, 263 f.). Ursprünglich sind die Objekte ohne Beziehung auf das Ich gegeben. Das Vorstellungsobjekt hat die Eigenschaft »nicht nur Vorstellung, sondern auch Objekt zu sein«. Das Denken kann nicht Objektivität schaffen, es kann sie nur bewahren (Syst. d. Philos.2, S. 97 ff.. Log. I2, 426. Philos. Stud.: XII, 331). Erst später scheiden sich Vorstellung und Objekt, wobei letzteres im wesentlichen dem ersteren gleicht. Dabei kann das Denken nicht stehen bleiben. Ein Teil des Gegebenen wird Subjektiviert. es bleibt der Begriff eines bloß mittelbar gegebenen Objekts zurück, welches nur noch begrifflich gedacht werden kann. Die Vorstellungen werden »subjektive Symbole von objektiver Bedeutung« (Standpunkt der »Verstandeserkenntnis«. Syst. d. Philos.2, S. 127 ff., 136 f., 143 ff.. Philos. Stud. XII, 327 ff., 332 ff., 343, 383 f., 396 ff., 406. Grdz. d. physiol. Psychol. II4, 638). Das Objekt ist nun etwas, was nur infolge seiner Wirkung auf unsere vorstellende Tätigkeit gedacht werden kann. Die Vernunfterkenntnis geht weiter. Unser Wille leidet, indem er objektive Wirkungen erfährt. dieses Leiden muß auf eine Tätigkeit außer uns bezogen werden auf ein fremdes Wollen (Syst. d. Philos.2, S. 403 ff.. Philos. Stud. XII, 61 f.). »Da wir unmöglich annehmen können, daß die Objekte kein eigenes Sein haben, und ein anderes eigenes Sein als unser Wille uns nirgends gegeben ist so müssen oder dürfen wir das eigene Sein der Dinge als dem unseren gleichartig, als vorstellendes Wollen bestimmen« (Syst. d. Philos.2, S. 407 ff.. s. unten u. Voluntarismus, ontologische Ideen). - G. GERBER erklärt: »Unsere Vorstellungen sind... keineswegs gleich oder ähnlich den Dingen und Vorgängen, auf welche wir sie beziehen. sie sind von ganz anderer Beschaffenheit, können also deren Wirklichkeit, d.h. daß ihnen ein Sein entspreche, nicht verbürgen, wohl aber spricht die Tatsache, daß wir empfinden und fühlen, wie wir berührt werden in unserer Seele von etwas, was Nicht-Ich ist, aber als Ursache der Empfindungen und Gefühle in uns wirkt, überzeugend genug von einer Wirklichkeit außer uns« (Das Ich S. 410). Nach R. WAHLE ist das Körperliche »eine Summe von Empfindungen in Verbindung mit dem Gedanken, daß diese Empfindungen von etwas Unbekanntem erregt würden, das an sich eine Widerstandsfähigkeit, eine Beeinflussungsfähigkeit gegenüber seinesgleichen besitzt« (Das Ganze d. Philos. S. 67). Das Körperliche ist Resultat des Zusammenwirkens unbekannter »Urfaktoren« und der Sinne (l. c. S. 68). Zwischen den »Vorkommnissen« und diesen Faktoren besteht nur eine »vage Proportion« (l. c. S. 71. vgl. S. 265 f.). Idealisten und Halbidealisten sowie manche »Positivisten« verstehen unter den Objekten: a Vorstellungen, Empfindungs- und Vorstellungskomplexe, b. gesetzmäßige Erfahrungs-Synthesen, transzendentale (s. d.) Einheiten. c. Komplexe von »Elementen« (s. d.), die in einer Beziehung physisch, in anderer psychisch sind. Das Objekt ist bald ein Produkt des Ich (s. d.), bald nur ein Korrelat zum Subjekt, mit diesem ursprünglich als Bewußtseinstatsache gegeben, als Differenzierungen oder Produkte eines überindividuellen, allgemeinen Bewußtseins.

 


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