Notwendigkeit - Scholastik, Neuzeit


 

Verschiedene Arten der Notwendigkeit unterscheidet die Scholastik. ANSELM bemerkt: »Est... necessitas praecedens, quae causa est, ut sit res; et est necessitas consequens, quam res facit« (Cur Deus homo II, 18). ALBERTUS MAGNUS unterscheidet: »necessitas absoluta, consequens, positione, causaliter, rei« (Sum. th. I, 62, 8; II, 3, 2). THOMAS definiert: »Necesse est..., quod nun potest non esse« (Sum. th. I, 82, 1). Es gibt »necessitas entis, essendi« als Gegensatz zur »contingentia« (Contr. gent. I, 42), »necessitas naturalis, absoluta, condicionalis, finis, coactionis, consequentis, ex alio, formae, materiae« (De ver. 22, 5). »Necessarium vel habet causam suae nec aliunde, vel non, sed est per seipsum necessarium« (Contr. gent. I, 15). »Necessitas naturalis non repugnat voluntati« (Sum. th. I, 82, 1). - MICRAELIUS erklärt: »Necessitas dicitur a non cessando, aut quod absque illo res nec est, nec esse potest.« Es gibt »necessitas indigentiae (chreia) coactionis, expedientiae, immutabilitatis«. Letztere ist jene, »quae non potest aliter esse« (Lex. philos. p. 703). Es gibt ferner »necessitas in praedicando« und »existentiae«, »necessarium absolute« und »hypothetice« (l.c. p. 704 f.). Die Notwendigkeit des Schicksals, wonach alles in der Natur geschieht, betont CAMPANELLA. Es gibt »necessitas quidditatis, inevitabilitatis, infallibilitatis«, erstere kann nicht einmal von Gott aufgehoben werden, z.B. die geometrische Notwendigkeit (Univ. philos. IX, 1). Die Existenz notwendiger Wahrheiten (s. Wahrheiten) lehrt (wie schon die Scholastik) DESCARTES. - G. BRUNO erklärt: »Voluntas divina est non modo necessaria, sed etiam est ipsa necessitas... Necessitas et libertas sunt unum« (De immenso I, 11). SPINOZA versteht unter dem (logisch-objektiven) Notwendigen das, dessen Nichtsein einen Widerspruch involviert (Emend. int.). Notwendig ist, »cuius nulla ratio nec causa datur, quae impedit, quominus existat« (Eth. I, prop. XI, dem.). Gott ist (als »causa sui«, s. d.) notwendig (»neccessario existit«, Eth. I, prop. XI). Aus Gottes Wesen (Natur) »folgt« (»sequitur«) alles mit logischer Notwendigkeit, und doch ist Gott, da nichts außer ihm besteht, frei. »Ex sola divinae naturae necessitate, vel (quod idem est) ex solis eiusdem naturae legibus« (Eth. I, prop. XVII, dem.). In der Natur ist alles determiniert. »In rerum natura nullum datur contingens, sed omnia ex necessitate divinae naturae determinata sunt ad certo modo existendum et operandum« (Eth. I, prop. XXIX). »Res nullo alio modo neque alio ordine a Deo produci potuerunt, quam productae sunt« (Eth. I, prop. XXXIII), weil die Dinge Modi der ewigen Wesenheit Gottes sind. »Quicquid concipimus in Dei potestate esse, id necessario est« (Eth. I, prop. XXXV, s. Ewigkeit). »Res aliqua necessaria dicitur vel ratione suae essentiae, vel ratione causae. Rei enim alicuius existentia vel ex ipsius essentia et definitione, vel ex data causa efficiente necessario sequitur« (Eth. prop. XXIX, schol. I). Notwendigkeit im Sinne des Zwangs und von dem Dinge ausgesagt, »quae determinatur ad existendum et operandum certa ac determinata ratione« (Eth. I, def. VII). LEIBNIZ unterscheidet »geometrische« (logische), »physische«, »moralische« Notwendigkeit. Die »geometrische« Notwendigkeit ist jene, deren Gegenteil einen Widerspruch einschließt (Theod. II. B, § 282), die moralische die, welche der freien Wahl der Weisheit in Bezug auf ihre Endzwecke entspringt (l.c. § 349); daher ist die Notwendigkeit Konsequenz des Handelns und Wollens, keine Nötigung, kein Zwang (l.c. II, Anl. 1, § 3). Man kann sagen, »que la nécessité physique est fondée sur la nécessité morale, c'est à dire sur le choix du sage, digne de sa sagesse et que l'une aussi bien que l'autre doit être distinguée de la nécessité géométrique. Cette nécessité physique est ce qui fait l'ordre de la nature et consiste dans les régles du mouvement et dans quelques autres loix générales; qu'il a plu à Dieu de donner aux choses en leur donnant l'être« (Theod. I. A, § 2; vgl. § 124, 175; s. Wahrheit). CHR. WOLF definiert: »Cuius oppositum impossibile, seu contradictionem involvit, id necessarium dicitur« (Ontolog. § 279). Vom »necessarium absolute« ist das »hypothetice necessarium« zu unterscheiden (l.c. § 317 f.); eine Abart des letzteren ist das natürliche, physische Notwendige. »Spezies illa necessitatis hypotheticae, quae a constitutione universi et causarum serie, seu, ut alii loquuntur, a praesente rerum ordine pendet, necessitas physica seu naturalis appellatur« (Cosmolog. § 109). »Moraliter necessarium est, cuius oppositum moraliter impossibile« (Philos. pract. I, § 115). »Was in dieser Welt möglich ist, das muß auch kommen, wenn es nicht schon dagewesen oder noch da ist, und kann unmöglich außen bleiben.« »Es ist aber allerdings ein merklicher Unterschied unter demjenigen, was schlechterdings notwendig ist und was nur unter gewisser Bedingung... notwendig ist.« Man nennt »schlechterdings notwendig, was vor sich notwendig ist oder dem Grund der Notwendigkeit in sich hat: hingegen notwendig unter einer Bedingung, was nur in Ansehung eines andern notwendig wird, das ist, den Grund der Notwendigkeit außer sich hat. Und die letztere Art der Notwendigkeit wird insbesondere die Notwendigkeit der Natur genennet, weil sie ihren Grund in dem gegenwärtigen Laufe der Natur hat, das ist in dem gegenwärtigen Zusammenhange der Dinge«. Die geometrische und metaphysische Notwendigkeit ist in den Dingen befindlich, welche zur Geometrie und Metaphysik gehören (Vern. Ged. I, § 575). Absolut notwendig ist nach BILFINGER, was »per ipsam rei essentiam adest, sine praesupposita aliqua hypothesi et conditione« (Diluc. § 47). CRUSIUS bestimmt: »Notwendig ist, was dergestalt ist oder geschieht, daß es nicht anders sein oder geschehen kann« (Vernunftwahrh. § 120). Nach PLATNER ist notwendig »alles das, was gedacht werden muß« (Philos. Aphor. I, § 834), »was nach der Vernunftidee (als logisches Urteil) gedacht werden muß« (Log. u. Met. S. 90; vgl. MENDELSSOHN, Morgenst. I, 284 ff.).

LOCKE erklärt: »Wo das Denken oder die Macht, nach der Leitung der Gedanken zu handeln oder nicht zu handeln, ganz fehlt, da tritt die Notwendigkeit ein« (Ess. II, ch. 21, § 13). Nach PRIESTLEY (wie schon nach HOBBES, s. Kausalität) herrscht in der ganzen Natur kausale Notwendigkeit. »I maintain, there is some fixed law of nature respecting the will as well as the other powers of the mind and every thing else in the constitution of nature« (Of philos. Necessit. 1777, p. 7). - HUME betont, Notwendigkeit sei nichts Gegebenes, nichts Objektives, sondern rein Subjektiv- psychologisch, Produkt der Assoziation (s. d.). »Ich finde, daß nach häufiger Wiederholung der Geist beim Auftreten eines der Gegenstände durch die Gewohnheit genötigt wird, den Gegenstand sich zu vergegenwärtigen, der ihn gewöhnlich begleitete, und zwar so, daß er vermöge dieser Beziehung zu jenem erstern Gegenstande in helleres Licht gesetzt erscheint. Dieser Eindruck oder diese Nötigung nun ist dasjenige, was mir die Vorstellung der Notwendigkeit verschafft« (Treat. III, sct. 14). »Die Vorstellung der Notwendigkeit entsteht aus einem Eindruck. Kein Eindruck, der uns durch unsere Sinne zugeführt wird, kann diese Vorstellung veranlassen. Sie muß also aus einem innern Eindruck oder einem Eindruck der Reflexion stammen. Es gibt aber keinen andern innern Eindruck, der irgend eine Beziehung zu dem hier in Rede stehenden Phänomen hätte, als jene durch die Gewohnheit hervorgerufene Geneigtheit, von einem Gegenstande auf die Vorstellung desjenigen Gegenstandes überzugehen, der ihn gewöhnlich begleitete. In ihr besteht also das Wesen der Notwendigkeit. Allgemein gesagt, ist die Notwendigkeit etwas, das im Geist besteht, nicht in den Gegenständen; wir vermögen uns niemals eine, sei es auch noch so annäherungsweise Vorstellung von ihr zu machen, solange wir sie als eine Bestimmung der Körper betrachten. Entweder also, wir haben überhaupt keine Vorstellung der oder die Notwendigkeit ist nichts weiter als jene Nötigung des Vorstellens, von den Ursachen zu den Wirkungen oder von den Wirkungen zu den Ursachen, entsprechend der von uns beobachvon uns beobachteten Verbindung derselben, überzugehen« (l.c. S. 224 f.). »Wie also die Notwendigkeit zweimal zwei vier ist, oder daß die drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten sind, nur an dem Acte unseres Verstandes haftet, vermöge dessen wir diese Vorstellungen betrachten und vergleichen, so hat auch die Notwendigkeit oder Kraft, die Ursachen und Wirkungen verbindet, einzig in der Nötigung des Geistes, von den einen auf die anderen überzugehen, ihr Dasein« (l.c. S. 22J). »Unser Begriff einer Notwendigkeit und Kausalität entspringt also lediglich aus der wahrnehmbaren Gleichförmigkeit in der Natur, in welcher gleiche Dinge immer miteinander verknüpft sind und der Verstand durch Gewohnheit bestimmt wird, von dem einen auf das andere zu schließen« (Inquir. VIII, sct. 1).


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